Pop-Künstler Jamie Hewlett: Tank Girl, Gorillaz und Sexfilm-Plakate
Jamie Hewlett, Künstler, Comiczeichner und Gorillaz-Mitglied, prägte das Bild der Band mit seinen genialen, suggestiven Illustrationen. Ein Bildband feiert sein großes Gesamtwerk.
Für einen schüchternen Künstler war es ein genialer Schachzug: Jamie Hewlett erfüllte sich mit der Gründung der Gorillaz den Traum, Teil einer Rockband zu sein, gleichzeitig aber niemals auf einer Bühne stehen zu müssen. Damon Albarn schrieb die Musik, während der britische Zeichner für die Illustrationen sorgte. Eine Idee, die sich in ihrer metareflexiven Ironie auch schnell hätte erschöpfen, wenn nicht gar nach kurzer Zeit erledigen können.
Doch das tat sie nicht. Weil der Blur-Sänger die großen Melodien und Produktionstricksereien lieferte und Hewlett für ein brillant durchkomponiertes Zeichenuniversum sorgte, das sich inzwischen längst ins kollektive Gedächtnis der Musikliebhaber gegraben hat.
Doch den 49-Jährigen lediglich auf seine Gorillaz-Aktivitäten zu reduzieren wäre eine Schande, die sich nur Klotzköpfe erlauben können, die noch nie in ihrem Leben einen Comic in die Hand genommen haben und anstatt in Museen und Galerien zu gehen lieber Kunstpostkarten kaufen. Ein prächtiger Bildband aus dem TASCHEN-Verlag („Jamie Hewlett“, inzwischen als Nice-Price-Variante erhältlich) feiert das Gesamtwerk Hewletts auf mehr als 400 Seiten. Er ist, kurz gesagt, ein Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.
Erster Erfolg mit „Tank Girl“
Zu finden sind darin natürlich Ausschnitte aus den legendären „Tank Girl“-Comics, mit denen der Brite in dem von Brett Ewins und Steve Dillon 1988 gegründeten Comic-Magazin „Deadline“ reüssierte und sofort ein großes Publikum für sich eroberte. Es brauchte mehr als sieben Jahre, bis man hierzulande auf die skurrile Mischung aus feministisch grundierter Punk-Symbolik und „Mad Max“-Story aufmerksam wurde. Und das wohl auch nur, weil in jenem Jahr die gleichnamige Verfilmung des Stoffs von Regisseurin Rachel Talalay in die Kinos kam.
Der Film mit Lori Petty in der Hauptrolle mag zwar die subversiven Untertöne der Vorlage zugunsten von plumpen Witzen arg zusammengestrichen haben. Doch verdient er gerade im Angesicht der immer öder werdenden Comic-Blockbuster der vergangenen Jahre schon deshalb dringend neue Zuschauer, weil die großen Wummen, die sonst im Action-Film den Ton angeben, hier durch jede Menge Sex und Dirtyness ersetzt wurden. Diese Underground-Wonder-Woman hat Eier, Brüste und ein freches Mundwerk.
Der Bildband erinnert aber auch mit großzügigen Beispielen an zahlreiche andere, in Deutschland so gut wie unbekannte Arbeiten des Künstlers. So gibt es Highlights aus dem Strip „Get The Freebies“, der 1996/97 im einflussreichen Style-Magazin „The Face“ erschien. (Kaum zu glauben, wie gut dieses britische Blatt einmal war – und das nicht nur, weil sie Hewlett einfach machen ließen!) Hauptfiguren sind Terry Phoo, ein schwuler Kung-Fu-Strafverfolgungsbeamter und Buddhist und Whitey Action, eine ständig zugedröhnte, rätselhafte Anarchistin. Natürlich eine verflucht kluge Satire auf Popkultur und das Leben in Großbritannien der 90er. Aber eben auch eine herrlich explizit gestaltete Pulp-Nummer.
Alles von den Gorillaz – und noch viel mehr
Neben kaum enden wollenden Einblicken in den Fundus (zum Teil unveröffentlichter) Gorillaz-Illustrationen bekommen vor allem auch Nebenprojekte Hewletts ihren angemessenen (Erinnerungs-)Raum: 2008 reiste der Zeichner für Oxfam nach Bangladesch, um ein Dorf zu porträtieren, das nach verheerenden Überschwemmungen zu verschwinden drohte. Spätestens mit dieser Arbeit reifte Hewlett zum ernstzunehmenden, erwachsenen Künstler, der Reportagetechniken des Street Journalism mit ausdrucksstarken Illustrationstechniken in Wasserfarbbildern verband.
Auch seine Arbeit für das Musik-Artistik-Kunst-Projekt „Monkey: Journey to the West“ wird gewürdigt. Hierfür arbeitete der 49-Jährige erneut mit Albarn zusammen – und die im Band versammelten Bilder zeigen, wie sehr sich Hewlett inzwischen auch von seinen frühen Werken emanzipiert hat. Ein Umstand, der bei seinen Fans nicht immer auf Gegenliebe stieß.
Doch Anhänger der ersten Stunde wie eben auch anspruchsvolle Comic-Fans dürften vor allem Gefallen an den bisher kaum bekannten Skizzen und Nebentätigkeiten Hewletts finden, die ebenfalls einen großen Anteil des mit einem Interview angereicherten Buchs ausmachen. Von groben Zeichnungen, über Tuschemalereien bis hin zu Ölgemälden ist hier alles dabei, woran sich der Brite in der Vergangenheit ausgetobt hat.
Ob es nun derb-erotische Bildkompositionen sind oder „Adolf the Fashion Fascist Student“ (eine freche Bilddemonstration des beknackten Gerüchts, dass Hitler Anfang des 20. Jahrhunderts versucht haben soll, an der Liverpool University Modedesign zu studieren): Deutlich wird hier nun einmal auch, dass die jugendfreien Gorillaz-Arbeiten dann doch nur einen Bruchteil der Inszenierungsmöglichkeiten und des zeichnerischen Potentials Hewletts abriefen.
Seismograph der Popkultur
Brillant ist Hewlett hingegen vor allem, wenn er die Ikonen der Populärkultur raffiniert gegen den Strich bürstet (wie in einer blasphemischen Abendmahl-Variante von „Star Wars“), viel zu wenig beachtete Bildmedien aufgreift (wie Tarotkarten in der Saatchi-Gallery-Ausstellung „The Suggestionists“ in London) oder sich auffallend lustig macht über den im Mainstram der Comicindustrie vorherrschenden männlichen Geifer- und Sabberblick auf den weiblichen Körper.
Einen aufreizenden, geradezu anrührenden Kontrapunkt setzte Hewlett deshalb auch mit seiner Bildserie „Honey“, in der er seine Ehefrau Emma de Caunes zur Heldin eines fiktiven Sexploitation-Movies im 60er und 70er-Stil à la Russ Meyer, Jess Franco oder Tinto Brass werden ließ. Der Künstler erschuf mit mehreren Filmplakaten, die dann in London schön-schummrig für die richtige Bahnhofskino-Atmosphäre ausgestellt wurden, seinen eigenen Schmuddelfilm – nach eigenen Angaben auch deshalb, weil er von der durch die permanente Verfügbarkeit im Internet nach wie vor grassierenden Porno-Welle mehr als abgetörnt sei.
Eine gezeichnete Meditation über die Struktur von Bäumen („Pines“) bildet in dem Band das Gegengift zu solchen verspielten Experimenten und tritt den Beweis an, dass Jamie Hewlett einer der vielseitigsten und inspirierendsten Bildkünstler der Gegenwart ist.