Polyton: Auf der Suche nach der ästhetischen Qualität

Der Preis der Akademie für Populäre Musik ist nun Platzhirsch in Deutschland. Die Auswahl der Awards verblüfft.

Der Pulverdampf vom letzten Jahr hat sich verzogen. Die Vergangenheit ist abgehakt. Zwar schweben die Awards von einst noch wie Geister durch die hohen Studiohallen in Berlin Neukölln. TV-Teams wollen von Herbert Grönemeyer und Kolleginnen am Roten Teppich wissen, ob man hier bei den „neuen Echos“ sei.

Doch das wird weg gelächelt mit dem Verweis auf die „extrem demokratischen“ Strukturen in der Akademie für Populäre Musik. Diese organisiert den Auswahlprozess. Eine Expertenrunde vergibt dann die acht Preise. Die Kategorien heißen Text, Komposition, Performance, Playing, Bühne, Produktion, Wildcard und Digital. Die sonst übliche Einteilung nach Genres, die etwa die amerikanischen Grammys in 91 Sparten auffächern, sind hier abgeschafft.

Polyton hat Lufthoheit

Aktuell hat der „Preis für Popkultur“ keine Förderung von der Initiative Musik erhalten und findet deswegen 2024 nicht statt. „Polyton“ steht in seiner zweiten Auflage nun also allein auf landesweiter Flur. Es besteht Lufthoheit. Auch die Musikindustrie hat hier nichts zu sagen.

Vor Ort wird die neue Monopolstellung keineswegs mit mehr Bling Bling oder Dekadenz zelebriert. Es bleibt hemdsärmelig, im demokratischen Rumsteh-Modus. Geblieben ist auch das Gesamtkonzept, nach dem der eigentliche Award von Diskursrunden und Workshops begleitet wird.

Kabeaushe beim Polyton

Die Ansprache erfolgt im akademischen Jargon, wenn etwa die Rede ist von einem „Mentoring-Programm, das Personen mit marginalisierten Geschlechteridentitäten und Zuwanderungsgeschichte den Zugang zu Musikberufen erleichtern soll“.

Im Vergleich zum Auftaktjahr sind die Strukturen gestrafft. Auf einer riesigen LED-Wand werden vorab die 41 Nominierten in künstlerisch kuratierter Dauerschleife vorgestellt. Man kann den Blick schweifen lassen, wobei die „Initiative Deutscher Gin“ ins Auge fällt, unter deren Schriftzug auf der Teppich-Zone sich der Weddinger Schlager-Altmeister Roland Kaiser den Fragen stellt. Eine durchaus eklektische Mischung aus alten Haudegen und jungen Acts ist am Start. Wobei weiterhin alles, was auf „Rock“ und „Roll“ hört, eher unterrepräsentiert ist.

Die Zeremonie selbst ist weniger esoterisch verspult als 2023. Es gibt eine Moderation auf der runden Drehbühne und die koreanische Pianistin Yoonji Kim begleitet die Ausgezeichneten mit kurzen Werk-Interpretationen am weißen Flügel. Eine schöne Idee. Die Preisträger und Preisträgerinnen müssen sich aus dem (stehenden) Publikum herausdrängeln, um ihre Aschenbecher-ähnliche Trophäe in Empfang zu nehmen. Das macht das Ganze niederschwellig, kollegial. Gute Freunde und Freundinnen stehen zusammen.

Freundliches Achselzucken

Wobei wir bei der künstlerischen Botschaft sind, die vermittelt werden soll. Andere internationale Awards versuchen mit ihren Preisen, eine gewisse Relevanz und Qualität des jeweiligen Jahrgangs herzustellen. Hier hat man dagegen den Eindruck, dass das „Polyton“-Verfahren fast zu einer gewissen Beliebigkeit führt, die beim After-Show-Schwatz vor Ort mit freundlichem Achselzucken gewürdigt wurde.

Lorenz Rhode vom Rundfunk Tanz Orchester Ehrenfeld, einer Truppe aus dem Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen, nimmt etwa den Aschenbecher für seine Arrangements im Segment „Playing“ im Empfang. Soho Bani und Herbert Grönemeyer werden als „Text“-Meister für ihre Hommage an den WM/EM-Klassiker „Zeit, das sich was dreht“ gekürt. Helene Fischer und Shirin David (beide vor Ort abwesend) dürfen sich für die Neubarbeitung des Millionen-Hits „Atemlos durch die Nacht“ über eine „Wildcard“-Ehrung freuen. Offenheit für Mainstream, gleichzeitig ein Ohr für Neues. Warum nicht?

Zusammen mit den Beatsteaks in der Wuhlheide (für ihre „Live“-Perfomance) und den weniger bekannten Gewürdigten ergibt das im Gesamtbild allerdings einen unspezifischen Kessel Buntes. Eine Mischung, die Konventionen sprengt und auch auf verrückte Art eigenwillig ist. Die aber nur wenig Strahlkraft nach außen entfaltet.

Fabian Sommer picture alliance/dpa
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