Polytisch und Herbert Grönemeyer: Was so ein Baby Shark alles anrichten kann
Debatte um gerechte Verteilung der Streaming-Erlöse. Ist das „User Centric Payment-System" die Lösung?
Der Himmel über Berlin ist grau, vor dem Brandenburger Tor stromern Schulklassen und Touristen-Familien herum. Im nahen „Europäischen Haus“ ist im Vortragssaal im ersten Stock eine illustre Runde zusammengekommen. Wenn Star-Produzent Moses Schneider (der im Nebenberuf Bassmann der Knyphausen-Supergroup Husten ist), Popkomm- und Viva-Gründer Dieter Gorny, der Chef des Bundesverband Musikindustrie (BVMI) Florian Drücke im Publikum sitzen und andächtig lauschen, wie Spotify-Europaboss Michael Krause mit Chansonette Balbina und Herbert Grönemeyer in den „Dialog gehen“. Flankiert von einem echten EU-Parlamentarier. Dann muss es um etwas Wichtiges gehen.
Und ja, das Oberthema lautet zwar etwas sperrig „Verteilungsgerechtigkeit, faire Algorithmen und Transparenz bei der Verteilung der Streaming-Erlöse“.
Im Grunde geht es aber um das wirtschaftliche Überleben von zig Musikern und (Indie-)Bands, die aktuell im digitalen Musikbiz ökonomisch zerrieben werden. Oder wie es der deutsche EU-Abgeordnete Niklas Nienass (Die Grünen) ausdrückt: Die „Streaming-Frage“ betrifft nicht zuletzt auch die kulturelle Vielfalt in Europa.
Wohin fließen also die neun Milliarden Euro, die allein Marktführer Spotify jährlich an die Musiker und Musikerinnen ausschüttet?
Herbert Grönemeyer übernimmt auf dem Podium die Rolle des Kohlenpott„Bollerkopps“. Er spitzt zu und erntet diverse Lacher:
Er bringt den „Babyshark“ des Youtube-Kanals Cocomelon ins Spiel. Ein Kinderlied oder „nursery rhyme“, das allein im Animations-Remix „Babyshark Dance“ aktuell 14 Milliarden (!) Klicks zählt. Auch im Audio-Streaming eine Art unheimlicher Umsatz- und Abrechnungsweltmeister. „Meine kleine Nichte hört das jeden Tag gleich mehrfach. Ein Megaklopper; und ansonsten ein Hit für Doofe. Nach der bisherigen ‚Pro-Rata-Zählung‘ räumen solche Nummern auch einen Löwenanteil der ausgeschütteten Gelder ab.“
Ist User Centric die Lösung?
Zur Erläuterung: Die Abo-Gebühren aller Musikstreaming-Abonnent/innen werden in den großen Topf geworfen; und die Erlöse nach einem bislang wenig transparenten Modell an die Labels und später auch an die Musiker verteilt. „Pro-Rata“ berechnet den Künstler-Anteil an den Gesamt-Streams eines Jahres: Erhält also eine Band oder eine Musikerin 00,25 Prozent aller Streams bei einer Streaming-Plattform, dann stehen diesen Musikern 00,25 Prozent aller ausgeschütteten Abo-Gelder zu. Bei den meisten der geschätzt 11 Millionen etwa bei Spotify angemeldeten Musikern sind es einige Nullstellen mehr vor dem Komma. Und bei 000000,17 Prozent vom Gesamt kommt letztlich nur Kleckerkram bei der finalen Abrechnung raus.
Eine Lösung aus dem Dilemma heißt „User Centric“. Nach diesem in diversen Studien durchgerechneten Modell würden etwa 25,4 Prozent aller Abo-Umsätze künftig umverteilt werden. Wie es heißt, würden 68 % der Musiker und Musikerinnen dabei rund 40 % weniger bzw. mehr Einnahmen erhalten. Bei 19 % davon sollen sich die Einnahmen im Mittel verdoppeln. Kurz gesagt: Die „Reichen“ würden etwas weniger bekommen, und der Topf der „Armen“ würde um einiges größer.
Spotify-Mann Krause kann in dieser Debatte auftreten wie die Schweiz. Als quasi neutraler Geldspeicher der Ausschüttungs-Milliarden. Zwar bedeutet die vom EU-Parlament und Team Grönemeyer zusätzlich geforderte Transparenz auch mehr weitaus mehr Redebedarf und somit „Bürokratie“. Doch wie Krause betont, ist sein Unternehmen offen für jeden fairen Dialog.
„Wir fühlen uns in all den Jahren des Streaming-Wachstum nicht gesehen und wollen nun endlich mitreden“, fordert Musikerin Balbina. Das ständige Drehen an den Stellschrauben wird vom EU-Parlament unterstützt. Daraus ein international bindendes Gesetz müsste allerdings die Kommission in Brüssel schmieden. Und das kann bekanntlich dauern.
EU-Vertreter Ninass und Spotify-Krause sind sich einig, dass eine Einigung außerhalb der Politik das Beste für alle wäre. Dafür müssten sich vor allem die drei Majorlabels Universal, Sony und Warner (die wiederum an Spotify beteiligt sind) bewegen. Und diese fahren mit der gegenwärtigen Regelung offenbar recht gut. In die Bücher schauen (wie das früher im analogen Schallplattenhandel noch für die Künstler und ihre Managements möglich gewesen ist) lassen sich diese nämlich nicht.
Nach etwa 90 Minuten Debatte, abgerundet mit einem „Bericht aus der EU-Politik“, gewinnt man den Eindruck, dass es nun zu anstrengenden und zeitintensiven Verhandlungen kommen wird.
Michael Krause von Spotify sieht letztlich „35 Meinungen bei 40 Vertretern aus unterschiedlichen Musikfeldern“ auf sich zukommen. „Ich weiß wirklich nicht, ob eine politische Regulation immer das Beste ist“, so Krause. „Da bin nicht sonderlich euphorisch. Der ‚Babyshark‘ würde auch bei einem neuen Abrechnungsmodell nicht soooo viel verlieren.“