Polly, Pretty Polly
Der schillernde Pop des letzten Albums lag PJ Harvey nicht, jetzt hat sie den Folksong entdeckt
Das ist ein Biest von einem Song. Es ist einer der hässlichsten Songs, die ich jemals geschrieben habe. Er klingt wie jemand, der mit seinen Fingernägeln eine Wand herunterschrappt“, beschreibt PJ Harvey den Titelsong ihres Albums „Uh Huh Her“, der es am Ende allerdings – obwohl einer ihrer Lieblingssongs – gar nicht aufs Album geschafft hat. „Es geht in dem Song darum, wie ein Mädchen durch ein Feld läuft, während es regnet. Quasi ein traditioneller Folksong.“ Auch wenn wir den Song auf dem Album nicht hören können – in dieser Aussage ist alles drin, was man über Polly Harvey und “ Uh Huh Her“ wissen sollte: die Häuslichkeit, der Folk, das Mädchen.
Und das Bild der über die Wand schrappenden Fingernägel kam einem schon häufiger in den Sinn, wenn man die beiden ersten, immer noch essenziellen PJ Harvey-Alben, „Dry“ und „Rid Of Me“ hörte. Die Haare stellen sich auf, man bekommt eine Gänsehaut, man schüttelt sich vor Unbehagen. Man reagiert körperlich, wenn man diese Musik hört. Sonst ist es ja eher die Dancemusik, die auf körperliche Reaktionen hin konzipiert ist: der Rhythmus, die Bässe, die in den Magen gehen und die explizite Thematisierung in den Texten. Auch Polly Harveys Texte waren immer voll von Körpern, von Sexualität und Fleischlichkeit. Sie nickt. „Musik ist in erster Linie etwas Physisches und Emotionales. Was ich an Musik mag, ist, dass sie den intellektuellen Teil deines Gehirns erst mal außen vor lässt. Wenn du Musik hörst, spürst du sofort etwas, ohne genau zu wissen, was du da eigentlich fühlst“
Es ist ein großes Gefühlsspektrum, das PJ Harvey mit ihren Songs abdeckt, von düsterer Romantik bis zur Paranoia, von der traurigen Ballade bis zum rohen Blues. Manche Songs gehen einem nicht mehr aus dem Kop£ manchem hässlichen Biest von Song möchte man lieber nicht in einer dunklen Seitenstraße über den Weg laufen. Auch in der Inszenierung der eigenen Person bewies Harvey oft Mut zur Häuslichkeit. Obwohl von schräger Schönheit, lässt sie sich gerne in wenig vorteilhafter, hysterisierter Pose ablichten.
Doch vor vier Jahren war plötzlich alles anders. Hübsch gestylt mit Sonnenbrille und Handtäschchen schaute sie uns geheimnisvoll vom Cover ihres letzten Albums „Stories From The City, Stories From The Sea“ an. Und die Songs auf dem Album waren schönster melodiöser; himmelstürmender Pop, mit kleinen Widerhaken natürlich, aber bestimmt nicht hässlich. „Uh Huh Her“ ist nun wieder weitaus unangenehmer, aber irgendwie auch schöner, wenn auch bestimmt keine Wiederholung des grandiosen Frühwerks, denn die verblüffendsten, eindringlichsten Statements bewegen sich im Folkidiom. Ursprünglich ja eine fast entkörperlichte oder zumindest entsubjektivierte Musik. „Im Folk geht es weniger um den einzelnen, sondern um eine Gemeinschaft. Folk ist Musik, um Menschen zu vereinen und ihnen Kraft zu geben. Und ich dachte darüber nach, dass das im Pop ja ganz ähnlich ist und welche Rolle ich da als Künstler spiele, Songs zu schreiben, die anderen Menschen die Möglichkeit der Identifikation ermöglichen. Als ich die neuen Songs schrieb, habe ich versucht, Leerstellen zu lassen, alles sehr simpel zu halten, um Raum für Interpretation und Identifikation zu lassen. Aber natürlich ist das immer noch Polly Harvey, die da aus diesen Songs spricht.“