Politik ist Pop – Der Flirt mit den Ikonen der Jugendkultur
Politik ist längst Pop, der Flirt mit den Ikonen der Jugendkultur schon die halbe Miete. Kann sich auch Deutschlands Pop-Prominenz mit dem BLAIR-MODELL anfreunden?
„Deutsche Politiker“, klagte Thomas Stein auf der letztjährigen Branchenmesse PopKomm, „interessieren sich einfach nicht für Popkultur.“ Neidisch blickte der Vorsitzende des deutschen Phono-Verbandes zu den glücklicheren Nachbarn. ,“Vaclav Havel empfangt die Stones, Clinton spielt Saxophon, Blair lädt Oasis ein und beruft Pop-Unternehmer wie Richard Branson in eine ,Creative Taskforce‘,um neue Wirtschaftsbranchen zu entwickeln.“ Die Zuhörer, darunter der dynamische Guido Westerwelle und der nicht minder zupackende Wolfgang Clement, nickten schuldbewußt. Natürlich passierte nichts.
Doch nun kommt der Mann, der die Barrikaden mit jugendlichem Elan einreißen wilL Ausgerechnet am „Tag der Arbeit“ will Gerhard Schröder (von linken Parteifreunden gern schon mal als Vollstrecker des globalen Kapitalismus verspottet) den Schulterschluß zur degoutanten Pop-Szene suchen. „With a little help from his friend“ Udo L. soll auf einer Wahlkampf-Veranstaltung in Potsdam der Sonderzug ins Kanzleramt endgültig ins Rollen gebracht werden. Der Genosse der Bosse soll eine zündende Rede halten, Lindenberg – unterstützt vom Film-Orchester Babelsberg – die kulturellen Weihen liefern. Ob vielleicht gar mit einem trauten Duett zu rechnen sei, wollen die SPD-Strategen nicht verraten. „Das sehen wir, wenn’s soweit ist“, sagt ein Sozi aus Brandenburg – und kann die Freude über das geballte Medien-Interesse kaum verbergen.
Daß Schröder, die Wahlkampfstrategien von Clinton und Blair fest im Auge, auch diese Karte zücken würde, kommt eigentlich nicht überraschend. Aber auch Deutschlands Pop-Prominenz, durch eine Dekade Kohlscher Machtfülle anästhesiert, sieht sich nun vor die Gretchenfrage gestellt, ob man dem Betspiel englischer Kollegen folgen sollte und einen Pop-kompatiblen Kandidaten unterstützt, der zumindest einen Bruch mit dem ungeliebten Status quo zu versprechen scheint.
Selten zuvor wurde im deutschen Blätterwald so heftig über die Wechselwirkung von Pop und Politik debattiert wie in den vergangenen Wochen. Direkt oder indirekt verweisen dabei alle Kommentatoren auf den Rock-Theoretiker Greil Marcus und seine These, daß die Mechanismen des Pop auch in der Politik gelten. Der weit abgeschlagene Präsidentschaftskandidat Clinton habe 1992, so Marcus, Bush nicht zuletzt deshalb noch überholt, weil er in einer TV-Show JHeartbreak Hotel“ ins Saxophon – und der Nation den Geist der neuen Unorthodoxie ins Gesicht blies. So schön, so spekulativ.
Die „Süddeutsche Zeitung“ will davon nichts wissen und begründet ihre These von der Unkonvertierbarkeit von Pop und Politik mit der kühnen Prämisse, daß Popstars qua Definition Autokraten, Politiker hingegen Demokraten seien. Ganz anders der „Spiegel“. „Schlägt das Imperium der Mick Jagger-Fans nun zurück?“, fragt man hier angesichts des möglichen politischen Generationswechsels – und verweist auf eine diffuse Sehnsucht nach Veränderung, die offenbar nur einem Politiker zugetraut wird, der jung genu^ sei, um dereinst von den Stones und Beatles sozialisiert worden zu sein.
Clinton mit Dylan, Havel mit Zappa, Blair mit Oasis: Die von den Polit-PR-Pro& gezielt inszenierten Gipfeltreffen hatten – neben dem unbestreitbaren Unterhaltungswert – auch eine ebenso banale wie wirksame Botschaft: Die Verbrüderung mit den alten und neuen Ikonen der Jugendkultur sollte dem politikmüden Wähler nicht nur einen Generations-, sondern auch einen W^rte-Wechsel signalisieren: hin zu einer neuen, unverkrampften Politik.
Daß derartige Allianzen in Deutschland nie ernsthaft zur Diskussion standen, mag auch an den abschreckenden Erfahrungen liegen, die politisch engagierte Musiker wie Lindenberg, BAP oder Wecker in den 80er Jahren machten: Bei alternativ organisierten Demonstrationen wie Wackersdorf regierten Chaos und Eitelkeit, während Engagements für eine Partei („Grüne Raupe“) kaum über sporadische Frei-Konzerte hinausgingen. Heute hingegen geht es nicht mehr um symbolische Gesten, sondern um den vollen Körpereinsatz-Pop-Credibility.
Wenn sich nicht-., ja wenn sich nicht an dem vermeintlichen Hoffnungsträger aus Hannover die deutschen Geister wieder einmal scheiden würden. Von einer Welle spontaner Solidarisierung wie im Falle von Clinton und Blair ist in Deutschland wenig zu spüren. Lindenberg (der sich einst als Kanzler-Kandidat für die Panik-Partei auf dem „endlos weiten Feld des politischen Lebens“ nach Kräften blamierte) hat offenbar Angst vor der eigenen Courage und hält sich zu seinem Schröder-Support lieber bedeckt-Über seinen Agenten ließ er lediglich verlautbaren, daß er a) tatsächlich mit Schröder befreundet sei, aber b) bislang nicht darüber nachgedacht habe, sein Engagement als Wahlhelfer über den 1. Mai hinaus zu verlängern.
Der Rest der üblichen Verdächtigen, von unserem Rundruf überrascht, gibt sich rat- und sprachlos. Über seinen Manager ließ Konstantin Wecker ausrichten, daß er nicht in Erwägung ziehe, die SPD zu unterstützen; wenn überhaupt, würde er nur für Freund Rudolf Scharping singen, nicht aber für die Partei Gleiches gut für Maffayund den Duzfreund aus Saarbrücken. Campino, der – bei einer TV-Diskussionsrunde zur Niedersachsen-Wahl ansatzweise Sympathie für Schröder durchblicken ließ („Aber nur, wenn Sie sich für die Freigabe von Haschisch starkmachen!“), schickte ebenfalls seine Pressesprecherin von Nicht mal mit einem Negativ-Statement wolle er Werbung für einen Kandidaten machen. Grönemeyer hat auf Parteien eh keinen Bock, und auch Wolfgang Niedecken (der Schröder in einem ROL-LING STONE-Gespräch das Talent zum „Ehrenvorsitzenden der Jungen Union attestierte“), versicherte Abstinenz: „Die Amerikanisierung der Wahl, wo man statt Programmen nur noch Köpfe wählt, ist für mich mehr ab fragwürdig.“
Fanta 4-Mann Thomas D. hat sogar die Haßkappe auf. Nebulöse Quellen hatten die Meldung in Umlauf gebracht, daß seine Hit-Single „Rückenwind“ der offizielle Soundtrack zum Schröder-Wahlkampf sei. Thomas D. ließ energischst dementieren.
Und was ist mit Schröder? Würde man ihm den Pop-Flirt überhaupt abnehmen? Anders ab Blair und Clinton hat er bislang nicht mit profunden Pop-Kenntnissen glänzen können. Immerhin: Ab Westerwelle höhnte, das Phänomen Schröder sei das Phänomen Guildo Horn, reagierte er souverän: Er freue sich, daß „der Meister“ Deutschland in Birmingham vertrete. (Was aber auf wenig Gegenliebe stieß: Auch für Horn kommt ein Schröder-Support nicht in die Tüte.)
Sonst noch was? Aber ja: Schröders Lieblings-Song ist „In The Ghetto“, weil „das der beste Elvis-Song“ sei.
Diese Antwort indes, so Greil Marcus, sei eher geeignet, ihn zu disqualifizieren: „Ich kenne Schröder nicht, aber diese Aussage erinnert mich an Jimmy Cartet Der erzählte auch, er sei Dylan-Fan – bis man ihn nach seinem Lieblings-Song fragte. Carter: ,Alle!‘ -,Aber einen müssen Sie doch besonders mögen!‘ – ,Nein, alle sind gut.‘
Bei Clintons Inauguration spielte Dylan, und niemand mußte Bill anstoßen und flüstern: Jetzt klatschen! Das bringt uns Wähler‘.“