Pokey LaFarge: „Ich würde gerne in einem Gangsterfilm mitspielen“

Der amerikanische Singer-Songwriter über sein Roots-Verständnis und Hollywood-Ambitionen.

Pokey LaFarge ist eine Marke. Kein Wunder, dass der als Andrew Heissler in Illinois geborene Künstler am liebsten gleich sein eigenes Genre sein will. Den Künstlernachnamen einst von Folk-Sänger Peter La Farge („The Ballad of Ira Hayes“) geborgt, hat der Roots-Singer-Songwriter über den Verlauf von zehn Studioalben – darunter auch ein kurzer Zwischenstopp im Jahre 2013 auf Jack Whites Label Third Man Records – seinen Sound um Blues, Swing, Jazz, Calypso, Soul und Reggae stetig erweitert. Konsequenterweise nennt er sein neues Album augenzwinkernd „Rhumba Country“. Bei aller Liebe zu nostalgisch geprägten Klängen und Rhythmen ist das Musikverständnis des Vierzigjährigen jedoch keinesfalls museal.

ROLLING STONE: Vor 18 Jahren begann deine Karriere mit dem selbstveröffentlichten Debüt „Marmalade“. Seitdem hast du dich vom puristischen Folk emanzipiert und dein stilistisches Spektrum in vielerlei Roots-Richtungen erweitert…

Pokey LaFarge: Was ich nie wollte, ist, mich in eine bestimmte Schublade stecken zu lassen, sodass ich fortan nur noch den Blues oder Country spielen kann, so wie manch andere Künstler dies tun. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber es ist nicht mein Ding. Leute wie Bob Wills oder Bill Monroe waren der Grund, warum ich mit der Musik angefangen habe. Sie nahmen sich verschiedene Genres und machten daraus ihr eigenes. Etwas ähnliches war auch immer mein Ziel. Tom Waits, der für mich auch eine große Inspiration ist, verändert sich kontinuierlich. Und die Leute lieben ihn dafür. Ich frage mich, ob er deshalb über die Jahre auch Fans verloren hat. Ich habe das nämlich, weil meine Musik ständig im Fluss ist. Interessanterweise haben viele Leute eine natürliche Abwehrhaltung gegenüber Veränderung.

Woher beziehst du heute neue musikalische Inspiration?

Ich habe immer schon viel Howlin‘ Wolf gehört, genauso wie ich brasilianische Musik von Jorge Ben oder aber auch kubanische und kolumbianische Musik sehr mag. Mein Ziel ist es, all diese Dinge authentisch zusammenzuführen. Dazu bemühe ich Gedankenspiele: Wie hätte Bo Diddley geklungen, wenn er nach Cuba gegangen wäre? Was wäre Jorge Bens Sound, wenn er nach Chicago gezogen wäre? Jedes Land hat seine eigene Art von Country Musik und die muss nicht zwangsläufig mit Steel Guitar, Fidel und Cowboy-Stiefeln daherkommen. Das ist lediglich das, was Amerikaner Country Musik nennen. Dabei gäbe es diese ohne die Deutschen und Tschechen, die in Mexiko und Texas siedelten und ihre Polka-Einflüsse mitbrachten, vielleicht gar nicht. Jamaikas Rocksteady-Sound ist jedenfalls ebenso eine Art von Country Musik. Ich versuche lieber ein Weltmusiker zu sein, der Country spielt, als nur ein Amerikaner.

Pokey LaFarge – “So Long Chicago”

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Auf deinem neuen Album coverst du Reggae-Sänger Ken Boothes und dessen ‘Home Home Home’ und machst daraus fast ein Gospel-Stück …

Den Song habe ich vor Jahren für eine Session aufgenommen, aber es wurde nie veröffentlicht. Ich mochte ihn immer sehr und fand, dass er nun perfekt auf dieses Album passt. Die Leute hören meist primär nur den Reggae-Groove, aber was mich an der jamaikanischen Musik der Sechziger und frühen Siebziger so fasziniert, sind die Songs an sich. Die sind wirklich gut und bekommen nicht den Respekt, den sie verdienen.

Könntest du dir vorstellen ein komplettes Cover-Album in dieser Art zu machen?

Ich persönlich nicht, nein. Was ich aber klasse fände wäre, eine Gruppe von Leuten wie Nick Waterhouse oder Charley Crockett zusammenzutrommeln und eine Art Kompilation zu machen. Ein Sechziger-Kompilations-Album mit all den tollen Songs des Studio-One-Labels oder denen von Trojan Records. Das fände ich sehr cool. Wenn auch vermutlich kompliziert – wegen der verschiedenen Lizenzen. Aber allein schon eine Studio-One-Cover-Compilation, auf der diverse Künstler diese alten Reggae-Songs jeweils in ihrem Stil spielen und neu interpretieren wäre schon eine tolle Sache.

Das könnte heutzutage allerdings auch eine Debatte bezüglich kultureller Aneignung nach sich ziehen …

Eine Debatte, die es seit Menschengedenken gibt – auch wenn Musik nun mal eben genau dadurch erschaffen wird. Jedes Genre besteht aus so vielen unterschiedlichen Einflüssen. Diese Grenzen, die manche Leute gerne ziehen, versuche ich ständig zu verschieben und zu erweitern. Wenn ich nun versuchen würde, einen traditionellen afrikanischen Song und dazu noch in einer Sprache, die ich nicht spreche, darzubieten, wäre das allerdings auch für mich eine nicht gutzuheißende Grenzüberschreitung. Oder wenn ich mir bestimmte Kleidung mit einem spezifischen kulturellen Hintergrund überstreifen würde, wäre das ebenso eine.

Du verkörperst den Typus des umtriebigen, fahrenden Künstlers. Während der Pandemie hingegen bist du sesshafter denn je geworden, indem du in Maine auf einer Farm gearbeitet hast …

Das Paradox des Typen auf Achse, der wortwörtlich Wurzeln auf dem Feld schlägt ist mir durchaus bewusst. Meine Frau (die Singer-Songwriterin Addie Hamilton) und ich haben uns inzwischen auch in Maine – sie stammt daher – ein altes Haus gekauft, welches wir derzeit renovieren. Das ist nun unser Hafen, auch wenn wir weiterhin ständig unterwegs sein werden. Für die Möglichkeit, während COVID als Farmer arbeiten zu können, bin ich sehr dankbar, weil dies mein Leben verändert hat. Ich habe wertzuschätzen gelernt, was Ackerbau für eine Kunstform ist. Das Farbenspiel der Anzucht und dann der Ernte ist dem der Malerei nicht unähnlich. Selbst wenn ich nie wieder anbaue, hat diese Zeit meine Perspektive durchaus verändert. Als begieriger Bibel-Leser begleiten einem diese Bilder vom Sähen und Ernten, die metaphysisch und metaphorisch sind, zudem immer schon.

Die diametral entgegengesetzte Glanz- und Glitzerwelt von Film und Fernsehen ist dir ebenfalls nicht fremd: Nach Auftritten in der TV-Serie „Sun Records“ (2018), in der du den kanadischen Country-Sänger Hank Snow verkörperter hast oder in der Netflix-Filmproduktion „The Devil All The Time“ (2020) wird man dich in Zukunft noch in ein weiteren Produktionen sehen können. Ist Schauspiel so etwas wie dein zweites Standbein?

Film ist kein Karriereweg, den ich bewusst verfolge. Es läuft eher so, dass ich einen Anruf und ein Angebot bekomme, und dann abwäge. All meine schauspielerischen Gehversuche waren bis dato zudem immer mit einer musikalischen Komponente verknüpft. Aber ich würde wirklich mal gerne in einem Gangsterfilm mitspielen. Genauso wie in einem Weltkriegsfilm. Ein Schauspieler, mit dem ich mal gearbeitet habe, hat zu mir gesagt, ich hätte ein „altes Gesicht“. Solange Historienfilme nicht aus der Mode kommen, habe ich also eine Chance.

Elegant: Pokey LaFarge
Elegant: Pokey LaFarge

Konntest du aus der Schauspielerei und den Blicken hinter die Hollywood-Kulissen etwas als Songschreiber mitnehmen?

Abgesehen von einer begleitenden Krankenversicherung – und das ist für Amerikaner sehr bedeutsam – nicht viel. Im Ernst, die Schauspielerei hat mich bis dato nichts gelehrt. Ich mag den Prozess auch nicht sonderlich. Man wartet zwölf Stunden auf seine 15 Minuten Arbeit. Was ich aber immer genossen habe, war die Möglichkeit am Set zu sein, und sich mit den ganzen Leuten hinter den Kulissen unterhalten zu können. Diese Bekanntschaften und Verbindungen fand ich stets spannend.

Du erwähntest vorhin die Charakterisierung als „altes Gesicht“. Der Song „Sister André” vom neuen Album wurde von der wahren Geschichte einer erst kürzlich verstorbenen französischen Nonne namens Lucile Randon inspiriert, die 118 Jahre alt geworden ist. In welchem vergangenen Jahrzehnt würdest du gern leben?

Ich würde mich immer für das hier und jetzt entscheiden. Klar, es gibt spannende Zeiten und Orte wie etwa Kuba in den Vierzigern und Fünfzigern oder auch L.A. zur gleichen Zeit. Das Detroit der Sechziger zu bezeugen, fände ich auch ziemlich faszinierend. Aber letztlich bin ich froh, heute zu leben. Es ist vermutlich die sicherste Zeit. Zumindest von unserer glücklichen privilegierten Perspektive aus gesehen.

Pokey LaFarge – „Sister Andre“

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Deine Kunst speist sich aus traditionellen Elementen, aber du gehst alles auch mit einem Augenzwinkern und einer Portion Humor und ohne überbordende konservatorische Verbissenheit an …

Das stimmt. Auch wenn ich vermute, dass der Ursprung dieser Beobachtung daher rührt, dass ich in meinen Musikvideos recht schrullig rüberkomme. Was wiederum daran liegt, dass ich Musikvideos nicht sonderlich mag. Aber davon ab: Dass ich nicht so puristisch wirke, ist vermutlich auch darin begründet, dass auch wenn ich Geschichte und alte Musik liebe, ich kein Historiker bin. Vielleicht ist Kochen eine gute Referenz. Verschiedene Zutaten machen ein gutes Gericht aus. Es geht um die richtige Mischung und nicht um Purismus. Schmeckt es gut? Ja? Dann ist doch alles richtig. Egal, ob die Ingredienzien aus Mexiko, Italien und Frankreich stammen und der Koch ein Weißer ist. Noch ein weiteres Glas Wein dazu? Perfekt.

Stilvolle Heritage-Kleidung spielt für dich ebenso eine wichtige Rolle. Wie nimmst du es mit der Mode – müssen Sachen original Vintage sein, oder sind bei dir auch Replika erlaubt?

Couture ist genau wie Kochen, Landwirtschaft und Gärtnerei oder Musik: Kleidung ist eine Kunstform, die sich in den letzten 100 Jahren – zumindest für Männer – nicht sonderlich weiterentwickelt hat. Wir tragen im Grunde genommen seit Erfindung des Anzugs dieselben Sachen. Die breiten Sakko-Revers der Siebziger waren lediglich ein Rückgriff auf die Dreißiger. Das gilt ähnlich für die Achtziger, die sich mit ihren Kastenschnitten wiederum die Vierziger zum Vorbild nahmen. Nur in den Neunzigern, in denen ich aufgewachsen bin, habe ich keine Ahnung, was auch immer sie da versucht haben. Der Punkt aber ist, dass man bis vor zehn Jahren alles gebraucht und original kaufen musste, weil es gewisse Schnitte und Designs ansonsten nicht gab. Mittlerweile aber gibt es genug Leute in unserem Alter, die das alles neu reproduzieren. Und diese Sachen trage ich genauso gern. Klamotten waren mir schon immer wichtig, sogar noch vor der Musik. Kleidung ist Kunst für den Körper, es ist eine weitere Ausdrucksform. Ich mag den Stil von italienischen Strickwaren aus den Fünfzigern und Sechzigern, englischen Tweed, Shetlandwolle oder den amerikanischen Sack Suit. Warum sollte man sich auf nur eine Sache beschränken?

Im Dezember kommst du für drei vom ROLLING STONE präsentierte Konzerte zurück nach Deutschland. Was wird uns dann erwarten?

Eine heiße Band. Ich bringe meine Jungs und meine Frau mit. Sie singt die Satzgesänge, tanzt und spielt Tamburin. Dazu gibt es noch Piano, Gitarre, Trompete, Kontrabass, Schlagzeug und Percussion.

Das Album „Rhumba Country“ ist seit dem 10. Mai erhältlich.

Fabian Fioto (Promo)
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