Plots against America
Reaktionäre Kritiker sahen bei den Oscars die Grundwerte der USA gefährdet
Die Oscar-Verleihung stand in diesem Jahr ganz im Zeichen drogensüchtiger Künstler, Transvestiten, rassistischer Polizisten und Homoerotik. Schade, dass Joaquin Phoenix, als bester Hauptdarsteller nominiert für seine Darstellung des Johnny Cash im Biopic „Walk The Line“, bei der Zeremonie nicht „A Boy Named Sue“ gesungen hat. Das hätte das Jahr im Film gut zusammengefasst. Phoenix verlor am Ende mit seiner Darstellung des drogenkranken Countrysängers gegen Philip Seymour Hoffman, der die Jury als homosexueller, rücksichtsloser und alkoholkranker Truman Capote noch mehr überzeugte. Auch die grandiose Felicity Huffman war für einen Oscar nominiert. In ihrer Rolle als Transsexuelle Bree Osbourne wartet sie in Los Angeles auf die letzte Operation, die sie endgültig auch biologisch zur Frau machen soll. Doch zuvor muss sie ihren Sohn Tobi, der von all dem nichts weiß und von dessen Existenz sie nichts wusste, in New York aus dem Knast holen. Zusammen machen sich die beiden auf den Weg nach L.A., Richtung Westen also, wo man sich dem amerikanischen Mythos nach neu erfinden kann – Bree als Frau, Tobi als Pornostar, beide zusammen als Vater und Sohn. „Transamerica“ heißt der Film, der zeigt, dass man auf dem Weg nach Westen nicht nur soziale, sondern auch Geschlechter-Grenzen überschreiten kann.
Großer Oscar-Favorit war Ang Lees „Brokeback Mountain“, eine leidenschaftliche und zugleich verklemmte Liebesgeschichte zwischen den beiden bisexuellen Männern Ennis Del Mar und Jack Twist, die das Klischeebild des Cowboys voll erfüllen, aber in einem entscheidenden Merkmal von allen großen Westernhelden abweichen. Sie sind keine Helden. Sie ziehen in die Einsamkeit der Berge, fernab der gesellschaftlichen Konventionen, und bleiben doch unfrei, weil sie die Moralvorstellungen des prüden Amerikas der Fünfziger so sehr verinnerlicht haben, dass diese jede ihrer Handlungen bestimmen und kommentieren.
Reaktionäre Kritiker warfen dem Film die Untergrabung christlich-moralischer Wert- und Moralvorstellungen vor – als hätte es davor keine Western-Outlaws gegeben. Ein Kolumnist behauptete gar: „Man kann den Kampf gegen die Islamisten nicht mit schwulen Cowboys gewinnen.“ Ob der ganze Special-Effects-Fetischismus, die einfallslosen Remakes und der Comedy-Trash von den großen Filmstudios nur produziert werden, um die Truppen zu motivieren? Oder steckt Hollywood doch einfach in einer kreativen Krise?
Jedenfalls findet das große Oscar-reife Gefühlskino zurzeit woanders statt. Mit Philip Seymour Hoffman bekam eine Ikone des neuen amerikanischen Independent-Cinema den Preis für den besten Hauptdarsteller. Auch das Episodendrama „Crash“, das den Oscar für den besten Film erhielt, gehört in diese Kategorie. „Brokeback Mountain“ musste sich trotz seiner acht Nominierungen schließlich mit drei Oscars zufrieden geben, „Transamerica“ ging ganz leer aus. Beide Filme hätten mehr verdient gehabt, nicht weil sie moralische Grenzen verletzt, sondern weil sie die Grenzen Amerikas verschoben haben.