Rolling Stone Playlist: 10 Songs mit unzuverlässigen Erzählern

Dies Ist Kein Liebeslied: 10 Songs mit unzuverlässigen Erzählern - Von Robert Rotifer

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01 LEONARD COHEN: „Chelsea Hotel #2“, 1974

Sexuelle Indiskretionen beiseite: Was immer sich zwischen Leonard Cohen und Janis Joplin damals auf ihrem ungemachten Bett im Chelsea Hotel zugetragen haben mag – das eigentliche, subtile Meisterstück dieses Songs ist seine beiläufig hingeworfene Schlusszeile. Ein schlechterer Songwriter hätte hier seine Trauer offenbart. „That’s all“, resümiert Cohen dagegen trocken, „I don’t even think of you that often.“ Na klar doch, Leonard, und deswegen schreibst du sechs Jahre danach noch einen Song über sie.

02 10CC: „I’m Not In Love“, 1975

Das Verleugnen von Liebesschmerz ist eigentlich ein Genre für sich, von Hoagy Charmichaels „I Get Along Without You Very Well“ bis zu Bob Dylans „Most Of The Time“. In 10ccs Beitrag zu dieser edlen Tradition erklärt der Erzähler der Frau, ihr Bild hänge bloß an seiner Wand, um einen hässlichen Fleck zu verbergen. „I know you know it doesn’t mean that much to me.“ Sie, er und wir wissen, das ist eine blanke Lüge.

03 BOBBIE GENTRY: „Ode To Billie Joe“, 1967

Nicht alle unzuverlässigen Erzähler lügen. In Bobbie Gentrys Ode an den Selbstmörder Billie Joe McAllister täuscht die Erzählerin uns vielmehr durch das Vorenthalten ihrer eigenen Sicht. Alles, was wir über ihre Beziehung zu Billie Joe erfahren, ergibt sich aus ihrer von der Mutter beklagten Appetitlosigkeit, den Bemerkungen ihres Bruders und des örtlichen Priesters. Natürlich weiß sie, was sie und Billie Joe vor seinem Tod von der Tallahatchie Bridge warfen, aber sie behält es lieber für sich. „Nehmen wir an, es wäre ein Ehering gewesen“, hat Bobbie Gentry einmal – wenig überzeugend – zur Abwehr der ewigen Fragen gesagt. Was käme sonst noch infrage? Billie Joes Einberufung zum Vietnamkrieg? Die Schmusepuppe der Erzählerin, wie im gleichnamigen Film? Oder gar ihr uneheliches gemeinsames Kind?

04 MICHAEL JACKSON: „Billy Jean“, 1983

In Zeile eins ist Billie Jean noch eine filmreife Schönheitskönigin, aber sobald sie mit ihrem Balg daherkommt, schon nur mehr „just a girl who thinks that I am the one“. Von allen Methoden, eine Vaterschaft abzustreiten, ist die Herabwürdigung der Mutter unter Verweis auf die eigene Unwiderstehlichkeit wohl eine der unsympathischsten. Dem Autor zufolge war „Billie Jean“ von einschlägigen Erfahrungen seiner älteren Brüder auf den Tourneen der Jackson 5 inspiriert. Groupies, die einem ihre Babys unterjubeln wollen – man kennt das. Der liebe Michael ging offenbar tatsächlich davon aus, dass wir den Beteuerungen seines eingebildeten Protagonisten Glauben schenken würden. So was nennt man dann wohl einen unbewusst unzuverlässigen Erzähler.

05 ELVIS COSTELLO & THE ATTRACTIONS: „I Want You“, 1986

Wie schon in seinem Frühwerk „Alison“ spielt Costello hier die Rolle eines gefährlich eifersüchtigen Liebhabers. Man sollte nicht meinen, wie viele Menschen in Internetforen diesen Song als „sexy“ bezeichnen oder gerührt davon erzählen, wie ihre Boyfriends ihnen den Text als Liebesbrief geschickt haben. Was finden diese Leute an Zeilen wie „You’ve had your fun, you don’t get well no more“ oder „Be careful, darling, you might fall“ so romantisch? Die Besungene wäre jedenfalls gut beraten, sofort die Polizei zu rufen.

06 CARLY SIMON: „You’re So Vain“, 1972

„You’re so vain, you probably think this song is about you.“ Ein Escher’sches Treppenhaus von einem Song. Er ist also eitel, wenn er denkt, dieser Song über ihn sei ebendas: ein Song über ihn. Carly Simons schlaues Verwirrspiel mit der Autorinnenperspektive entblößt das männliche Ego und schmeichelt ihm doch zugleich. Schließlich hat er ja immer noch die Macht, ihr das Herz zu brechen, wer immer er einst gewesen sein mag. (Warren Beatty wird übrigens dieser Tage 84 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch!)

07 XTC: „Making Plans For Nigel“, 1979

„We’re only making plans for Nigel/ We only want what’s best for him/ We’re only making plans for Nigel/ Nigel just needs that helping hand.“ Seine Eltern wollten damals wohl wirklich nur das Beste für ihn. „We’re only making plans for Nigel/ He has his future in a British Steel.“ 42 Jahre später wurde sein garantierter Job im Stahlwerk wohl längst abgebaut und Nigel sollte vor der Pensionierung stehen. Da könnte man ihn doch endlich einmal selbst fragen, ob er wirklich so glücklich war in seiner Welt, wie Mama und Papa immer behaupteten.

08 RANDY NEWMAN: „Short People“, 1977

Ein allegorischer Song über Bigotterie mit einem, wie der Autor seither klargestellt hat, „crazy guy“ als Ich-Erzähler. „Man sollte ihm nicht glauben“, versichert uns Newman. Kleine Menschen sind also nicht wirklich böse. Sarkastische Texte für intelligente Menschen zu schreiben war schon vor dem Zeitalter des Sich-strategischblöd-Stellens in sozialen Medien eine sehr riskante Kunst. Eigentlich gehörte ja auch Newmans „Rednecks“ (1974) in diese Liste, ein Song, der aus Sicht eines einfältigen Südstaatlers die ganze rassistische Heuchelei des weißen Amerikas offenlegt, das Paradebeispiel für einen legitimen Gebrauch des N-Worts aus weißem Mund. Aber leider ungeeignet für den Fall, dass diese Playlist auf unvorbereitete Ohren treffen sollte. (Randy Newman ist übrigens 1,83 Meter groß. Die Harmonies singenden Eagles Glenn Frey, Timothy B. Schmit und J. D. Souther sollen einen Kopf kürzer sein.)

09 SIMON & GARFUNKEL: „I Am A Rock“, 1966

Er bedürfe keiner Freundschaft, behauptet Paul Simon, und mit Liebe brauche man ihm gar nicht erst zu kommen, denn: „Ich bin ein Fels, ich bin eine Insel.“ Aber wenn seine Gefühle wirklich „gestorben“ sind und er sich in seiner inneren Festung eingerichtet hat, wieso hat er dann Angst, sie wiederzuerwecken? Scheint eher so, als wollte hier einer seinem Mädchen zeigen, wie sensibel er unter seiner harten Schale doch ist. „I have my books and my poetry to protect me.“

10 NICK CAVE & THE BAD SEEDS: „The Mercy Seat“, 1988

Kann man den Worten eines Mörders vertrauen, wenn er schon auf dem elektrischen Stuhl sitzt? Vielleicht – aber hier geht es nicht nur um seine Schuld oder Unschuld, darum, ob er sich tatsächlich nicht vor dem Tod fürchtet oder sich bloß Mut macht. Nein, sein wahres Dilemma offenbart sich erst in der letzten Wiederholung des mantrischen Refrains: „And anyway, I told the truth, but I’m afraid I told a lie.“ Was, dämmert es Nick Caves Erzähler, wenn er sich mit seiner „Wahrheit“ am Ende selbst belogen hat? Dann wird er auch im Tod keine Gnade finden.

 

Text und Inhalt der Playlists wurden aus der aktuellen April-Ausgabe des Rolling Stone entnommen. 

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