Rolling Stone Playlist: 10 betörende Songs zwischen Folk und Jazz
ROLLING-STONE-Redakteur Maik Brüggemeyer hat diese Songs für eine „blaue Stunde“ kuratiert.
01 .DAVY GRAHAM: „Better Git It In Your Soul“, 1964
Der britische Folk-Gitarrist Davy Graham war sein Leben lang ein Sammler. Schon in jungen Jahren, Anfang der Sechziger, reiste er auf der Suche nach neuen exotischen Klängen durch die Welt, studierte die Folkmusik aus Griechenland und Nordafrika, den Blues und den Jazz. 1964 coverte er auf seinem Album „Blues, Folk & Beyond“ in seinem charakteristischen Fingerpicking- Stil neben Songs von Bob Dylan, Leadbelly und Willie Dixon auch „Better Git It In Your Soul“, ein Stück des amerikanischen Jazz-Bassisten und -Komponisten Charles Mingus.
02. DONOVAN: „Sunny Goodge Street“, 1965
Die Musik von Charles Mingus findet ihren Weg auch in den Londoner Untergrund. Genauer gesagt in eine Straßenszene vor der U-Bahn-Station an der Goodge Street, die Donovan auf seinem Album „Fairytale“ von 1965 besingt: „Listenin’ to sounds of Mingus, mellow, fantastic“, heißt es da. Man hört in diesem urbanen Folksong den Einfluss von Dylan und den Beats – aber eben auch den Jazz, der sich vor allem durch den Beitrag des jamaikanischen Flötisten Harold McNair bemerkbar macht. McNair hatte vier Jahre zuvor im Proberaum tatsächlich mal mit Mingus gespielt und ist auch auf Platten von Nick Drake, John Martyn, Ginger Baker und Jimi Hendrix zu hören.
03. PENTANGLE: „Pentangling“, 1968
Auf die Frage, ob Pentangle eine Folk-Rock-Band seien, verzog Gitarrist John Renbourn wie unter Schmerzen das Gesicht. Wenn schon, dann Folk-Jazz! Was genau er meint, hört man bereits auf ihrem Debüt, „The Pentangle“ von 1968, vor allem im programmatischen „Pentangling“, in dem sich die Stimmen von Jacqui McShee und Bert Jansch ebenso umschwirren wie die Gitarren von Jansch und Renbourn. Die Stars der Aufnahme sind allerdings Schlagzeuger Terry Cox und Bassist Danny Thompson, die nicht nur das federnde Fundament dieses Tracks bilden, sondern sich ein ums andere Mal virtuos, aber dezent in den Vordergrund spielen.
04. VAN MORRISON: „Astral Weeks“, 1968
Auf „Astral Weeks“ ließ Van Morrison sich gleich von einer ganzen Jazz-Band begleiten. Bassist Richard Davis hatte vorher auf Platten des Saxofonisten und Klarinettisten Eric Dolphy gespielt, der Gitarrist Jay Berliner auf Charles Mingus’ „The Black Saint And The Sinner Lady“, Schlagzeuger Connie Kay gehörte zum Modern Jazz Quartet, Vibrafonist Warren Smith hatte schon für Miles Davis gearbeitet, nur der junge Flötist John Payne hatte keine Jazz-Meriten aufzuweisen, dafür ein Harvard-Studium. Das Zusammenspiel dieser Musiker auf dem Titelstück von Morrisons Klassiker ist so berauschend, dass es einen in höhere Sphären führt.
05. JOHN MARTYN: „Road To Ruin“, 1970
Der Jazz war bei John Martyn immer omnipräsent. Auf seinem zweiten Album von 1968 hatte der Flötist Harold McNair mitgespielt, auf dem zweiten Werk mit seiner Frau Beverley, „The Road To Ruin“, arbeitete er bei einem Stück erstmals mit dem Pentangle-Bassisten Danny Thompson, der in den folgenden Jahren zu seinem wichtigsten Kreativpartner werden sollte. Doch auf dem Titelsong ist der südafrikanische Saxofonist Dudu Pukwana der Co-Star. Die Congas spielt übrigens der ghanaische Perkussionist Rocky Dzidzornu, der auch bei „Sympathy For The Devil“ von den Rolling Stones zu hören ist.
06. TIM BUCKLEY: „Monterey“, 1970
Von Tim Buckleys auf seinem Debüt von 1966 noch offensichtlichen Folk-Wurzeln war vier Jahre später nicht mehr viel zu hören. Bereits die Aufnahmen von seiner UK-Tour zwei Jahre später (mit Danny Thompson am Bass) und sein drittes Album, „Happy Sad“ (1969), zeigten, dass der Jazz allmählich zur wichtigsten Inspiration wurde. Auf „Starsailor“ (1970) lässt Buckley seine Stimme schließlich stellenweise so wild und entgrenzt klingen wie Pharoah Sanders in seinen spirituellen Momenten sein Saxofon.
07. LAURA NYRO: „Upstairs By A Chinese Lamp“, 1970
Eine Folksängerin war die amerikanische Songwriterin Laura Nyro nie – auch wenn ihr erstes Album auf dem Label Folkways erschien und sie nicht selten mit Joni Mitchell verglichen wurde. Aber die beiden Künstlerinnen treffen sich eher in ihrer Nähe zum Jazz als zum Folk. Auf einem ihrer schönsten Alben, „Christmas And The Beads Of Sweat“ (1970), wird Nyro unter anderem von der Harfenistin (und Saxofonistengott-Witwe) Alice Coltrane, dem Bassisten Richard Davis (siehe „Astral Weeks“) und dem Flötisten/Saxofonisten Joe Farrell begleitet, der in der Band des Pianisten Chick Corea spielte und mit Charles Mingus und Andrew Hill zusammenarbeitete.
08. TERRY CALLIER: „Can’t Catch The Trane“, 1973
„The New Folk Sound Of Terry Callier“ hieß das bereits 1964 aufgenommene, 1968 auf dem Jazz-Label Prestige erschienene Debüt des Sängers und Gitarristen aus Chicago. Doch schon in diesen Interpretationen alter Traditionals hörte man seine Soul- und Jazz-Ambitionen. Die wurden schließlich deutlich, als er auf den nächsten Alben als Songwriter in Erscheinung trat. Auf „I Just Can’t Help Myself“ von 1973 covert er nicht nur Duke Ellingtons „Satin Doll“, er spielt mit einer fabelhaften Band auch diese wundervoll freie Hommage an John Coltrane.
09. JONI MITCHELL: „Edith And The Kingpin“, 1975
Niemand hat Folk und Jazz betörender und überzeugender zusammengeführt als Joni Mitchell. Warum man ihrer Musik trotzdem keine Genrebezeichnung wie „Folk-Jazz“ anheften mag, zeigt sich etwa auch an dem von Edith Piaf inspirierten „Edith And The Kingpin“ von Mitchells Meisterwerk „The Hissing Of Summer Lawns“. Hier geht es nicht um Nachahmung oder Hommage, hier kann man keine Nahtstellen erkennen und kein Stückwerk. Diese Musik ist so aus einem Guss und so einmalig, dass die einzige Schublade, in die sie passt, das Label „Joni Mitchell“ trägt.
10. MARK HOLLIS: „Watershed“, 1998
Mehr als 20 Jahre nach Joni Mitchell versuchte sich ein anderer Musiker an seiner ganz eigenen, idiosynkratischen Mischung aus Folk und Jazz (und moderner Klassik): Der Brite Mark Hollis hatte mit Talk Talk in den Achtzigern ein paar Synthie-Pop-Hits, dann driftete die Band in esoterische Gefilde, in modalen Jazz und Improvisation. Nach ihrem letzten Werk, „Laughing Stock“ (1991), schuldete Hollis seiner Plattenfirma Polydor noch ein Album und nahm schließlich das vielleicht stillste, in sich gekehrteste Werk der Pop-Geschichte auf. Ein Album der nicht gespielten Töne, für das selbst ein Titel zu viel Beiwerk gewesen wäre. Daher steht auf dem Cover nur: „Mark Hollis“.