Plädoyer fürs Schweigen
Die amerikanische Autorin Nicole Krauss, Ehefrau von Jonathan Safran Foer, beschreibt in, ,Das große Haus“ Menschen mit gestörter Kommunikation – und einen Schreibtisch.
Vor ein paar Jahren fiel einem leicht genervten Familienvater auf, womit eigentlich seine meiste Zeit draufgeht. Dinge anschaffen, säubern, reparieren, sich um sie kümmern. Der Amerikaner entschloss sich dazu, einen der letzten großen Kämpfe im Postmaterialismus aufzunehmen: den Kampf gegen die Dinge. „100 Thing Challenge“ hieß das heroische Projekt; er wollte sein Leben auf 100 Dinge beschränken, den Rest wegschmeißen, verschenken, verkaufen. Das Vorhaben kündigte er in seinem Blog an, und all seine Besucher fanden das Vorhaben fantastisch und wahnsinnig mutig. Wie vom Kapitalismus, der hinterhältigen Schnalle, nicht anders zu erwarten, produzierte die Idee der neuen Askese wieder neue Dinge: „The Story of Stuff: Wie wir unsere Erde zumüllen“, „No Shopping: Ein Selbstversuch“, „Genug: Wie Sie der Welt des Überflusses entkommen“ undsoweiter hießen die Bücher.
Nicole Krauss hat die neue Enthaltsamkeit aus der Selbsthilfe-Ecke bugsiert und einen Roman über die Liebe zu Dingen und die Abneigung gegen sie geschrieben. „Das große Haus“ ist ihr dritter Roman, er stand auf der Shortlist des National Book Award. Sie ist mit Jonathan Safran Foer verheiratet, und zusammen sind die beiden das schillernde New Yorker Schriftstellerpaar. Nachdem er sich mit „Tiere essen“ dem einen Trend-Thema Vegetarismus gwidmet hat, kümmert sie sich mit der materiellen Enthaltsamkeit (mit „lessness“ ist da ein besonders dämliches Label gefunden worden) um ein anderes.
Konsum ist allen Personen in ihrem neuen Roman nicht wichtig. Und doch sind die Protagonisten auf einen außergewöhnlichen Schreibtisch fixiert. Er ist monströs, hat unendlich viele Schubladen und kommt trotz seiner Massivität in 50 Jahren erstaunlich viel durch die Gegend. Aus vier Perspektiven erzählt Krauss ihre Geschichte, die sich natürlich als ein raffiniert verschachteltes Rätselspiel lesen lassen kann. Auf die Frage, wo heute der Schreibtisch steht, gibt es unterschiedliche Antworten. Aber das trifft es nicht recht, denn Krauss sagt selbst, dass sie „Romane ohne ein Zentrum“ verfasst: „Beim Schreiben wandere ich immer nach vorn und wieder zurück.“ Und so schunkeln sich ihre Personen auch hin und her, und nach 100 Seiten vergisst der Leser die Frage, worum es hier eigentlich genau geht. Er treibt zwischen den Menschen, die einen ausgeprägten Wunsch nach Einsamkeit und einer unterentwickelte Fähigkeit zur Kommunikation haben.
Da ist Nadia, die Schriftstellerin aus New York, die ihre Arbeit allem anderen unterordnet, die sich zeitlebens „für etwas Besonderes gehalten“ hat und nun, mit 50, fürchtet, dass ihr ganzes Leben ein einziger peinlicher Bluff war. Lotte ist eine Schriftstellerin, die vor der Judenvernichtung aus Deutschland entkam. Sie ist „ein leibhaftiges Bermudadreieck“, wie ihr Mann über sie sagt. Er darf sie weder auf ihre Vergangenheit ansprechen noch mit seinem latenten Kinderwunsch belästigen. Der dritte Erzähler ist ein alter Vater, der die Verschlossenheit seines Sohnes beenden will.
So ist Nicole Krauss‘ Buch auch als ein Plädoyer für das Schweigen zu verstehen, durchaus sympathisch in einer Zeit der Selbstentblößung und des Endlosquatschens. „Letztendlich interessiert mich nicht, wie man sich in seiner Einsamkeit einrichtet“, sagt Krauss, „mich interessiert der Kampf, sie zu überwinden.“