PJ Harvey – Stuttgart, Theaterhaus
Mit John Parish spielte Polly Harvey ihre gemeinsamen Songs - und trippelte barfuß über die Bühne.
Sie schwärmt von der Mörderseele, die der Leidenschaft innewohnt, träumt sich in einen Krieg, in dem sie als Soldat über tote Frauen marschiert, erzählt die Geschichte von ihr und Billy und von deren Ende auf dem Rücksitz seines roten Autos. Stets spielen diese Tragödien des Verlangens und Verzweifelns, die Gedichte der Hingabe, Sehnsucht und Raserei, die Polly Jean Harvey flüstert und kreischt, säuselt und bellt, unter einem trostlos leeren Himmel.
Dieser hat sich beim Auftritt von PJ Harvey und John Parish an einem Mittwoch im Mai im Stuttgarter Theater‘ haus in eine weiße Leinwand über der Bühne verwandelt. Ein Leinwand, die fast den ganzen Abend leer und ausdruckslos bleibt. Nur einmal wird sich ihre Leere mit einem verheißungsvollen Orange füllen, wenn der spröde Walzer „California Leaving“ erklingt, der aber je de Hoffnung gleich wieder fahren lässt, wenn Harvey mit hoher krächzender Stimme vom Ende der Illusionen singt.
PJ Harvey ist in Deutschland ein selten gesehener Gast – und nach Stuttgart hat es sie noch nie verschlagen. Vielleicht liegt das daran, dass sich in dieser Stadt ihre exotischen Catering-Vorlieben nicht erfüllen lassen. Der örtliche Veranstalter jedenfalls, so hört man von gut informierten Kollegen, ist ratlos angesichts der kulinarischen Wunschliste der Britin. Trotzdem findet nun im Schwäbischen das erste der beiden Deutschlandkonzerte von PJ Harvey und John Parish statt, die ihr gemeinsames Album „A Woman A Man Walked By“ vorstellen. Das zweite werden sie einen Tag später in Berlin geben. Am nächsten war PJ Harvey Stuttgart vor fünf Jahren gekommen, als sie beim Southside-Festival in Neuhausen ob Eck auftrat. Doch ihr Konzert damals im Nachmittagsprogramm im ultrakurzen Rock, grünem Top, in roten Stiefeln und einer verstörenden Vorliebe für breitbeinige Posen, scheint aus einer anderen Welt zu stammen.
Die PJ Harvey, die nun mit „Black Hearted Love“ das Konzert eröffnet, tanzt barfuß, trägt ein schwarzes Sommerkleidchen und dezent roten Lippenstift. Sie trippelt über die Bühne, bewegt sich sanft, lässt John Parishs Gitarrenriff, der immer wieder für einen Augenblick den Herzschlag des Songs still stehen lässt, den eigentlichen Star dieser Nummer sein.
Das Wilde, Exaltierte wird in den Songs gebündelt, nicht in ihrer Bühneninszenierung. Selbst bei den anfallartigen Ausbrüchen der Lust oder Wut, die die Dramaturgie der Songs prägen, wirkt Harvey kontrolliert. Man bekommt ein Konzert zu hören, das das Exzessive in den Songs nach innen kehrt, das sich auf Parishs Kompositionen, auf Harveys Texte und ihre unfassbare Stimme konzentriert, das keine Ablenkung zulässt von der verstörenden Poesie und der widerspenstigen Musik. Auch bei „Sixteen, Fifteen, Fourteen“, das mit wirbelnden Toms beginnt und von Parish mit sperrigem Banjo-Geklimper begleitet wird, ist Harvey eher Trotzkind als Furie, wenn sie meckernd Erica und Danielle beim Versteckspielen zuschaut, sich linkisch verrenkt, nervös herumzappelt, kiekst, auf einen Bein steht und am Ende in den Applaus auf Deutsch „Dankeschön“ sagt.
Das Repertoire des Abends beschränkt sich auf die Songs, die Harvey und Parish gemeinsam für die Alben „Dance Hall At Loose Point“ (1996) und „A Man A Woman Walked By“ (2009) geschrieben haben, obwohl Parish auch an fast allen anderen PJ-Harvey-Platten irgendwie beteiligt war und sie schon als 17-Jährige protegiert hat. Die Band auf der Bühne entspricht der, die das aktuelle Album eingespielt hat. Dem Keyboarder Eric Drew Feldman, der bei Captain Beefheart spielte, dem Bassisten Giovanni Ferrario und dem Schlagzeuger Jean-Marc Butty gelingt es aber, die Intensität der Studioaufnahmen live noch zu übertreffen.
Und wie gut sich Harvey und Paris ergänzen, zeigt etwa die Interpretation von „Rope Dress Crossing“, bei der Parishs Gitarre über einem schlurfender Beat herumirrt, während Harvey in dieser betörenden Blues-Impression mit einer Andeutung von Laszivität mal gegen den Rhythmus ansingt, mal sich von ihm fortziehen lässt.
Zwar wird es immer wieder laut an diesem Abend. Am besten gelingt die Choreografie der Empfindlichkeit, Versehrtheit und Erregung aber in Nummern wie der Kammer-Pop-Suite „The Soldier“: mit Parish an der Ukulele, einer wehmütigen Melodica-Melodie, verhuschten Klavierakkorden und Harveys wackeliger Stimme, die „Send me home restless/ Send me home damaged/ And wanting“ singt, bevor blitzend und grollend die Granateneinschläge näher kommen. Oder in „Cracks In The Canvas“, das sich – von Banjo und Orgel zusammengehalten – in ein Gebet verwandelt. Und obwohl PJ Harvey darin von den Rissen in der Leinwand erzählt, die zu Straßen werden, die niemals enden, verweigert sich die Leinwand über der Bühne weiterhin Bildern, Bedeutungen.
Und wird auch, wenn mit dem zarten „April“ die letzte Zugabe erklungen ist, bleich, leer und ohrenbetäubend schweigen.