PJ Harveys Debüt „Dry“: Provokante Verletztlichkeit
Das markerschütternde erste Album der solitären kreativen Künstlerin - nun mit unverzichtbaren Demos.
„Gonna wash that man right out of my hair/gonna take my hips to a man who cares“, singt Polly Jean Harvey in „Sheela-na-gig“ zwischen erotischer Hingabe und entrüsteter Lossagung. Der Song offenbart seine erotische Energie schon im Titel mit seiner Referenz an jene antiken Steinreliefs weiblicher Figuren mit überdimensionierten Vulven.
Es ist nicht das einzige anspielungsreiche Stück auf „Dry“, das aufgrund seiner ambivalenten Mischung zwischen provokanter Pose und zur Schau gestellter Verletztlichkeit berührt. Das ambitionierte Debüt von PJ Harvey schlug 1992 mit einer feministischen Botschaft, die weniger Kampferklärung als vielmehr Selbstbehauptung ist, ein wie einst Patti Smith‚ „Horses“.
Mit grimmigem Humor gegen die Fallstricke der Liebe
Wie ihre Schwester im Geiste entwickelte sich die Musikerin aus dem Stand zu einer solitären kreativen Künstlerin, obwohl ihr Vorbild eher eine andere Smith gewesen sein dürfte, die Empress of the Blues, Bessie Smith. Harvey legte in ruppigen und zugleich poetisch verdichteten Bekenntnisstücken wie „Dress“ mit Punk-Rock-Attitüde und dämmrigem Humor fatale Machtkonstellationen in Liebeskonstellationen offen.
Obwohl Harvey, gerade aus einer Beziehung geflüchtet, reichlich Anschauungsmaterial für ihre makaberen und sinnlichen Geschichten mitbrachte, behauptete sie stets, nicht ausschließlich Beobachterin ihres eigenen Gefühlslebens zu sein, sondern hellsichtige Dramatikerin. Eine unnötige Erinnerung, die Parallelen mit Angela Carters sexuell aufgeladenen Grotesken und die psychoanalytischen Metaphernkonstrukte („Water“, „Hair“) sind offensichtlich.
Auch wenn die delikaten Melodien und die Wucht der eingesetzten Instrumente später noch dunklere Blüten trugen, ist hier doch schon alles im Kern vorhanden. Vielleicht auch, weil Harvey fürchtete, kein weiteres Werk mehr liefern zu können. Den nimmermüden Ideenausstoß der Sessions demonstrieren nun die (nackt anmutenden) Demos, die das Bemühen um Klarheit und Kürze ausstellen und zugleich raffinierte Variationen einige ihrer erschütternd ehrlichen Seelenerkundungen liefern.