Pixies live in Köln: Keine aufgeschlitzten Augäpfel!
Pixies spielen zum ersten Mal seit, nun ja … zum ersten Mal überhaupt vielleicht in Köln? Ein aufregender Abend, auch, weil er unfreiwillig lustig wird. Neun Momentaufnahmen aus dem Palladium.
1. Black Francis hat Chuzpe. Und man muss schon sehr viel Chuzpe haben, um den vielleicht beliebtesten Song seiner Band – nicht den größten Single-Hit, aber den Fan-Favoriten – anzuspielen, ihn wegen einer technischen Panne abzubrechen, ihn aber dann nicht wieder aufzugreifen. So geschehen mit „Debaser“, Lied Nummer 31 beim Pixies-Konzert im Kölner Palladium.
Statt der rasanten Ode an Regisseur Luis Bunel und der Aufforderung zum „Slicing Up Eyeballs“ gibt’s nach eineinhalb Minuten und dem unvermittelten Abbruch stattdessen die gute, aber nicht überragende Clash-Hommage „U-Mass“. Grund: Francis‘ Gitarre fiel aus, wurde nicht mehr verstärkt. Pixies haben das bei dieser Tour schon öfter gebracht: Songs mittendrin beendet (beenden müssen). Und dann was Anderes vorgezogen. Hat die Band keine Lust mehr auf den Song, wenn die Technik einmal gehakt hat?
2. Apropos Hits: Die fünf bekanntesten Singles lassen Pixies an diesem Abend aus: Kein „Monkey Gone To Heaven“, kein „Here Comes Your Man“, auch kein „Velouria“ oder „Planet Of Sound“. „Gigantic“ wird nicht gespielt, weil der Song mit Ex-Bassistin Kim Deal verknüpft wird, ihr zu Ehren unangetastet bleibt.
Alles in allem ein gutes Signal von den Pixies: Das andere Material ist auch stark genug, außerdem sollte man nicht jeden Abend dieselbe Setlist aufführen.
3. Der Beamte wird zum Rocker: Mit seinem Anzug und der Kassenbrille sieht Black Francis mittlerweile ja eher aus wie unser Mann von der Deutsche Rentenversicherung Bund, aber vielleicht ist die Sehhilfe auch nur Show. Die Brille fällt ihm runter, der Roadie am Rand fängt schon an zu fuchteln, aber die Brille landet wie magisch angezogen auf dem Gitarren-Hals und bleibt dort liegen, während des ganzen restlichen Stücks. Francis singt weiter. Der Mann hat in seiner Karriere so viel über Kunst und Literatur philosophiert und wird von vielen doch nur als passiv-aggressiver Schreihals wahrgenommen. Irgendwie ein schönes Bild: Nun ruht die Denker-Brille auf den strapazierten Saiten und ruft zur Ordnung.
4. Die neuen Stücke haben ihren Welpenschutz aufgebraucht. „This is a new one“ – wahrscheinlich eine der zehn häufigsten Bühnen-Ansagen der Musikwelt. Pixies müssen keine Ansagen machen, man erkennt die neuen Songs aus dem jetzt seit drei Monaten bekannten Werk „Head Carrier“ auch so (aus dem Comeback-Album „Indie Cindy“ wird gnädigerweise nichts gespielt). Kaum eines der neuen Lieder besteht den Praxistest, „Oona“ nicht, „Tenement Song“ nicht. Sie klingen wie spätes Frank-Black-Solomaterial, bluesig, zu lang und zu langsam. Außerdem wie fertige Lieder, die Gitarren-König Joey Satiango dann nur noch an den Rändern ausstopfen durfte. Keiner der „Head Carrier“-Songs hat eine eingenständig umherwandernde, psychotische Lead-Gitarre. Einzig „Baal’s Back“ oder „Um Chagga Lagga“ reißen mit – sie sind keine Geniestreiche, aber kurz und brachial. Gegen den Sturm kann sich keiner wehren.
5. Joey is back! Das ist die vielleicht beste Nachricht. Im Sommer verkündeten Pixies, dass ihr Gitarrist in die Reha müsste, wegen Alkohol- und Drogenproblemen. Bis zur Tour aber, so hieß es, sollte er wieder an Bord sein. Und sie hielten Wort. Schlanker sieht Santiago aus, und Black Francis, der früher auch kein Problem damit hatte, seinen wichtigsten Mitmusiker auf offener Bühne zu tadeln, steht ihm nun deutlich aufbauend zur Seite. Beide reden viel miteinander.
6. Mit „Where Is My Mind?“ eröffnen Pixies das Konzert, ihre Anhänger lieben dieses Lied über geistigen Zusammenbruch, und dann, hey, wird es im Publikum in der Mitte des Sets wieder richtig laut, denn die Band spielt den Song … nochmal! Oh, nein, das ist das neue Stück „All I Think About Now“! Auf diese Erkenntnis folgt der wohl auffälligste Lautstärkeabfall des Abends. Darf man der Band aber nicht vorwerfen: Der Song ist als Hommage an „Where Is My Mind?“ komponiert worden, und er soll so ähnlich klingen. Man stellt sich dennoch die Frage: Warum eigentlich spielt kaum eine Band einen tollen Song zweimal am selben Abend, wenn die Menge das so wollte?
7. Ausgerechnet Schlagzeuger David Lovering liefert einen lustigen Moment, wie ihn sonst vielleicht nur David Brent aus „The Office“ hinbekommen könnte. Am Ende des Gigs stehen alle vier vorne an der Bühne, verbeugen sich. Dann hämmert der Drummer auf seine Brust und formt Richtung Fans mit den Lippen Worte, die „You Want Me?“ sein könnten. Während die anderen drei sich noch Richtung Publikum verneigen, sprintet Lovering wie von der Hornisse gestochen hinter sein Drumkit. Auch er ist ja als Sänger der Band aktiv, etwa in „La La Love You“, das Pixies gerne im Zugabenteil bringen; und Lovering schaut ready aus, Santiago und Black Francis hängen sich die für den Song entsprechenden Gitarren um. Dann aber tauschen die Gitarristen ihre Modelle wieder aus. Während sie „Vamos“ anstimmen, nicht „La La Love You“, hat Lovering dreißig Sekunden Zeit, etwas konsterniert, auf jeden Fall gedankenverloren auf seine Snare zu starren, bevor er den Rhythmus zu einem anderen Song anschlagen muss. Träume sind Schäume?
Der Autor dieser Zeilen liegt mit seiner „Vamos“- statt „La La Love You“-Beobachtung vielleicht aber auch völlig daneben, womöglich war „Vamos“ exakt im Plan. Man hat ja keine Setlist vom Bühnenboden geklaut, um zu schauen, was auf dem vorgesehen war – es wäre alles nur zu komisch gewesen.
8. Auf jeden Fall ist Lovering wieder ganz der Alte, als die Band für die finale Zugabe ein letztes Mal auf die Bühne kommt. Die Ekstase der Fans beantworten die vier Musiker nicht mit einem weiteren Song, sondern mit einer weiteren Verbeugung. Und noch einer. Und noch einer … immer wieder. Der Drummer ruft seinen Kollegen im Spaß zu, „Let’s Go!“, „Let’s Go Now!“, sie mögen es wie im Theater machen und gehen – dort führen die Schauspieler ja auch nicht als Zugabe eine weitere Szene auf.
9. Aber dann kommt „Into The White“ und Pixies lassen Neuzugang Paz Lenchantin erstmals ein Kim-Deal-Stück singen. Die Musiker spielen, dem Titel entsprechend, im Nebel. „Into The White“ ist eines der vielleicht deprimierendsten, aber eben auch besten Lieder über das, was nach dem Tod kommen könnte. Eben das weiße Nichts. „And there ain’t no day /And there ain’t no night“. Es würde aber auch gut funktionieren als Ansage: dass es einst auch eine Zeit gab, in der nach den Pixies nicht mehr viel kommen konnte.