Philosophische Brocken
Zwischen Blues und Bach in Antwerpen: das sehr wunderlich wirre Universum der Querfeldein-Musiker Moondog Jr.
Moondog Jr. aus Antwerpen. Blues aus Belgien. Das klingt irgendwie paradox, oder? Aber Stef Kamil Carlens ist ein Mann, der Widersprüche aushalf. Als Mitglied von dEUS mag er wüsten europäischen Avantgarde-Pop. Bei Moondog Jr. spielt er die Musik der alten Männer.
Gerade kriecht Stef durch den Tourbus und hängt sich wie eine Wäscheleine quer über zwei Sitze. In seinem Gesicht ist in diesem Moment die gesamte Unlust des Abendlandes versammelt. Stef ist so dürr, als wäre er der unbekannte Bruder von Kate Moss. Er hat blasse Lippen, ein blasses Gesicht und blassblonde Haare. Er trägt die ewigen Freak-Klamotten: viel zu großer Pullover, viel zu große Pudelmütze, viel zu kleines gebrauchtes Nadelstreifen-Jackett. Stef ist einer von diesen störrischen, launischen Egozentrikern, die die Popmusik regelmäßig produziert. Keiner kann von ihm entarten, daß er gute Laune hat. Wenn andere im Sommer am Strand liegen, sitzt so ein Bursche im Haus und schreibt pessimistische Gedichte.
Auf die Frage nach seiner Heimatstadt Antwerpen gibt er eine sehr abgebrühte Blues-Antwort: „Weiß ich nichts drüber, kann ich nichts drüber sagen. Ich bin seit Jahren on the road. Wenn ich nach Belgien komme, dann stinkt es mir meistens ziemlich.“ Carlens singt ein bißchen wie Tom Waits und ein bißchen wie Captain Beefheart, das jedoch ist nur die halbe Wahrheit In seiner Stimme ist ein ganz eigenes Schnarren zu vernehmen, und in seinen Melodien sind merkwürdige Kurven. Und das ist es, was Moondog Jn dankenswerterweise von amerikanischen Vorbildern abhebt.
„Und was heißt hier überhaupt amerikanisch?“ fragt Stet „Blues ist doch heute eine Weltmusik, eine Form, zu der global jeder Zugang hat Wenn es morgen eine interessante Blues-Band aus Tibet gibt, kann man ihr doch nicht mehr vorhalten, daß sie nicht aus Louisiana kommt“ Den Bezug auf Blues-Klischees muß man also gar nicht ironisch verstehen, Carlens verbittet sich das sogar. Das erste Album von Moondog Jr. trägt den Titel „Everyday I Wear A Greasy Black Feather On My Hat“. Da könnte man mit Beefheart ergänzen: „And my hat ist my only house unless it rains“.
Der Rest der Band bildet den Gegenpol zu Stef Kamil Carlens poetischer Verschrobenheit: Aarich, Tom, Tomas und Benjamin sind nette Jungs. Unkompliziert Menschen der Sorte „Mit denen würde ich gern mal ein Bier trinken“. Sie behandeln ihren Stef ein bißchen mit Samthandschuhen und entschuldigen sich für die schweren philosophischen Brocken, die er gelegentlich herumschleudert: „Stef nimmt die Dinge manchmal ein bißchen zu ernst“ Geht es dann um die Einflüsse der Band, bekommt man keineswegs nur das übliche schwärmerische Fan-Gerede der eingeschworenen Blues-Freunde zu hören: Tom spielt öfter Bach auf dem Klavier, Benjamin hört gern Jazz. Und im Tourbus liegt ein Egon-Schiele-Bildband herum, der wohl zu Stef gehört – jedenfalls könnte er gut drin vorkommen.
Alle Mitglieder der Band spielen noch in mehreren anderen Bands, die alle „völlig verschieden klingen“ (Tom). Und so ist Moondog Jr. nur eine von vielen Möglichkeiten, ein zufälliges Zusammentreffen im freien Raum. „Es gab keinen Plan, eine bestimmte Musik zu machen“, murmelt Tomas. „Das hat sich erst nach unseren Proben ergeben.“ Um so erstaunlicher, welch homogenen Eindruck die Band auf der Bühne macht: Stefs ausufernder Krächz-Gesang wird von zwei Seiten eingezäunt durch die scharf konturierten Parts von Saxophonen und Fender-Piano, feste Struktur und Improvisation halten sich die Waage wie Disziplin und Groove. Treiben sich in Antwerpen noch mehr Gruppen dieser Klasse herum? „Natürlich gibt es schon einige Bands“, murmelt Tom zögerlich, „aber mit dieser Musik sind wir allein auf weiter Flur. Glaube ich. Das Problem in Antwerpen ist, daß wir so selten andere Gruppen hören, weil es keine ordentlichen Clubs gibt Antwerpen ist gut zum Proben, zu mehr nicht“ Alle anderen nicken leicht deprimiert, bis Stef den Muff der Provinz mit einem kurzen Einwurf vertreibt: „Wir leben im Zeitalter des Internet Völlig egal, wo du wohnst Eigentlich kommt es nur drauf an, was du machst“
Keiner von den fünf Musikern war jemals in Amerika. Logisch denn was, bitteschön, heißt hier überhaupt amerikanisch?