Phil Spector: Keine Räuberpistole
Zwei Bücher über den legendären Produzenten Phil Spector versuchen, eine schwierige Biografie gut auszuleuchten.
Als Phil Spector noch regelmäßig seinem Job nachging, vor gut 40 Jahren, waren seine Eskapaden bereits Gegenstand zahlloser Schauergeschichten. Deren Wahrheitsgehalt freilich unbestimmt blieb. Üble Gerüchte, so nahm man zu seinen Gunsten an, in Umlauf gebracht von Neidern. Kaum vorstellbar, dass sich so viel rabiater Irrwitz bei Sessions abgespielt haben soll, die uns den reinsten, arglosesten Pop geschenkt hatten. Wie konnte der „First Tycoon of Teen“, wie ihn Tom Wolfe 1965 in der „New York Herald Tribune“ respektvoll nannte, ein Tyrann sein?
Erst Jahre später, nachdem die Medien gelernt hatten, auch hinter die Kulissen des Musikbetriebs zu blicken, und nachdem Diskretion unter Künstlern aus der Mode gekommen war, nahm ein öffentliches Bild von Spector Gestalt an, dem die Herzen nicht gerade zuflogen. Ein hässliches Bild von einem megalomanischen Spinner, der Frauen mit Füßen trat, Musiker zu austauschbaren Werkzeugen seiner Willkür degradierte und einen obsessiven Umgang mit Schusswaffen pflegte.
Kein falsches Bild, dafür sprachen immerhin spätere Enthüllungen wie das Trommelfeuer bei Aufnahmen mit John Lennon oder die bedrohlichen Psycho-Spielchen, denen sich Leonard Cohen tagelang ausgesetzt sah. Aber doch ein unvollständiges und somit verzerrtes. Phil Spectors Leben und Wirken hatte auch sanfte Seiten, ja sympathische. Der kleingewachsene jüdische Junge aus der Bronx musste allerdings schon früh die Ellenbogen einsetzen und sich gehörig aufplustern, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Erst als Jugendlicher, wider Willen nach West Hollywood verpflanzt, fand Spector einen Sektor, der ihn nicht befremdete, nicht unten hielt: Rock’n’Roll. Nichts besonderes, denn mit dem ewig nervösen, hyperaktiven Teenager lernte eine ganze Generation wie Elvis zu singen und zu swingen. Doch „Spector was way ahead“, wie Mark Ribowsky in seiner Biografie „He’s A Rebel“ schreibt, „true rock’n’roll was a State of mind and soul that bled from open wounds. Spector understood. He had his own open wounds“.
Es war sechs Jahre danach, im Juli 1963, als jene Sessions in den Gold Star Studios am Santa Monica Boulevard stattfanden, die Spectors Vision vom perfekten Pop wahr werden ließen. Er hatte das ideale Vehikel für die Ronettes gefunden, drei Teen-Grazien mit turmhohen Frisuren und verschwenderischem Verbrauch an Wimperntusche. „Be My Baby“ hieß der eigentlich eher unscheinbare Song, doch was Spector für seine Inszenierung aufbot, hätte einer Verdi-Oper zur Ehre gereicht. Zwei Pianisten, vier Gitarristen, je zwei Schlagzeuger und Bassisten, Bläser, Streicher, Perkussionisten. Vier Stunden dauerte es, bis die Noten verteilt und ungefähre Vorstellungen vom Arrangement vermittelt waren, dann lief endlich das Band. Genau 42 Takes später war Spector zufrieden. Nach 42 aufeinander abgestimmten Klanglawinen, die sich, Spur über Spur, zu einer einzigen, gewaltigen ergänzten.
Erst dann wurde die Girlgroup hinzuzitiert, und Ronnie, die Phils Frau werden und dies bitter bereuen sollte, sang mit bebender, sehnsuchtsvoller Stimme zum romantischen Klicken der Kastagnetten: „The night we met I knew I needed you so.“ Wunderschön, voller Unschuld und sexuellem Verlangen. Und dabei traurig, weil dieser Widerstreit der Gefühle der Sängerin noch unerklärlich schien.
Gefühl vor Technik: Von der Umsetzung dieser Devise leben Spectors beste Produktionen, trotz seines ausgeprägten Technologiefimmels und einer Detailversessenheit, die „schlimmer war als sein Despotentum im Studio“, wie Engineer Larry Levine seinerzeit klagte. Der „Wall of Sound“ wurde zum Markenzeichen, Spector kontrollierte alles, bis hin zu Plattenherstellung und Public Relations. Der kleine Mogul am Mischpult wurde zum Hitgaranten, zum Zentrum des Popuniversums, für einige lange Monate. Bis die Beat-Bands der „British Invasion“ Amerikas Charts beinahe lückenlos usurpierten.
Phil Spector verlor keine Zeit, reiste nach England, freundete sich mit den Rolling Stones und mit den Beatles an, deren triumphale US-Tour er beratend begleitete. Mit den anderen britischen Gruppen gab sich Spector nicht ab; sein untrügliches Gespür für Talent habe ihm frühzeitigsignalisiert, mit diesen beiden Combos auf die richtigen Pferde zu setzen. Ribowskys Kapitel über Spectors Kollaborationen mit den frühen Stones und späten Beatles bergen auch für deren Fans einiges Erhellende.
Wie Ribowskys „He’s A Rebel“ (Da Capo, ca. 25 Euro) überhaupt Werk und Wirkung in den Vordergrund stellt, während das ebenfalls dieser Tage publizierte „Tearing Down The Wall Of Sound“ (Bloomsbury, ca. 30 Euro) von Mick Brown der psychischen Verfasstheit des derzeit unter Mordanklage stehenden, seit den 70er Jahren unbeschäftigten Produzenten größere Aufmerksamkeit widmet. Insbesondere Spectors Verhältnis zum anderen Geschlecht nimmt breiten Raum ein. Eine Leidensgeschichte, von den Abweisungen der Jugend über die scheußlich gescheiterte Ehe mit Ronnie bis zu den flüchtigen Bekanntschaften der letzten Jahre. Unglücklich, nicht zuletzt für die drangsalierten Frauen. Ein Scheusal sei Spector, gibt eine zu Protokoll.
Er selbst meint die Ursachen für seine Untaten zu kennen, er sei „inwendig verkrüppelt und manisch depressiv“, erklärte er Brown vor fünf Jahren, und „probably relatively insane“. Nicht exakt schizophren, aber doppelt gepolt, innerlich zerrissen. „I have devils inside that fight me“, so Phil Spector, „I’m my own worst enemy.“ Der laufende Mordprozess wird sich hinziehen, die Filmrechte sind vergeben.