Phil Collins im Interview: „Ich gehe nicht nach Hause und ärgere mich!“
Phil Collins über seine Reissue-Reihe, sein Comeback als Songwriter und Livemusiker – und warum ihm Kritiker egal sind.
Aus dem RS-Archiv vom 11. März 2016:
„Take A Look At Me Now“ heißt eine Reihe mit Neu-Auflagen sämtlicher Phil-Collins-Alben. Der Brite feierte seinen Durchbruch als Schlagzeuger von Genesis, nach dem Ausstieg Peter Gabriels 1975 wurde er auch deren Sänger. Sein Solodebüt „Face Value“ machte ihn 1981 zum Superstar, bis zum Ende des Jahrzehnts landete er einen Hit nach dem anderen („One More Night“, „Another Day in Paradise“). 2011 dann der Rückzug aus der Musik. Collins litt unter Schwerhörigkeit und kämpfte gegen Depressionen; Wirbelsäulen-Probleme und eine Nervenschwäche führten dazu, dass er nicht mehr Schlagzeug spielen konnte. Heute möchte er sich eine Rückkehr ins Geschäft wieder vorstellen. Zum Interview, das für sein Album „Hello, I Must Be Going!“ (1982) anberaumt wurde, kommt der 65-Jährige nach einer Rücken-OP aber kommt noch mit Krückstock.
Kritiker haben jahrelang auf Sie eingeprügelt. R&B-Musiker wie Kanye West oder Soulsängerinnen wie Adele haben Sie verteidigt. Eine Genugtuung?
Über diese Thematik denke ich ausschließlich dann nach, wenn mich jemand danach fragt. Ich bin keiner, der nach Hause geht und sich ärgert: „Brrr, schon wieder eine schlechte Besprechung bekommen!“. Sie haben mir jetzt diese Frage gestellt, ich überlege mir daraufhin eine Antwort. Natürlich fühle ich mich geschmeichelt, wenn Adele, Beyoncé, Pharrell oder Usher, die HipHop-Community, meine Arbeiten mögen. Gerade, wenn andere sagen, meine Musik sei nur Middle of the Road oder schlicht scheiße.
Es heißt schließlich, „man kann es nicht allen Recht machen!“
Ein Großteil der Leute, die sich eine spezielle Meinung bilden, kennen vor allem „Against All Odds“, „A Groovy Kind Of Love“, „Separate Lives“ und „One More Night“. Balladen. Balladen, die sie die ganze Zeit im Radio hören. Daraus schließen sie dann auf meine Persönlichkeit. Gerade Kritiker hören sich meine anderen Songs nicht an, dadurch verpassen sie viel.
Sie waren in den Achtzigern aber auch omnipräsent. Ob mit Genesis oder solo, sie hatten in jedem Jahr mindestens einen Super-Hit. Aus „Hello, I Must Be Going!“ koppelten Sie, rekordverdächtig, innerhalb von zehn Monaten acht Singles aus!
Acht? Das wusste ich gar nicht! Die Platte hat doch nur zehn Lieder. Jedes Jahr eine Single? Mit dieser Art Statistik habe ich mich noch nie beschäftigt. Aber ich hatte damals genug zu tun. „Hello…“ erschien 1982, ich ging auf Tour. Ich kam nach Hause, Genesis warteten auf mich. Die „Mama“-Tour stand an. Ich lebte als Musiker zwei verschiedene Leben. Das ist mehr, als die meisten Musiker heute führen. Sie sind entweder solo unterwegs, oder in Bands. Ich hatte das Beste aus zwei Welten.
1982 gelang Ihnen mit der Coverversion des Supremes-Songs „You Can’t Hurry Love“ ihre erste Nummer Eins. Wie muss man sich diese Zeit vorstellen – ein weißer Sänger, der in den Früh-Achtzigern das Soulgenre wiederbeleben will?
Mir ging es nicht einfach nur um ein Phil-Collins-Cover – das Lied sollte noch authentischer sein. Ich wollte eine exakte Kopie des Originals von 1966. Für meine Reissue-Reihe habe ich mir den Song wieder angehört und kann sagen: Wir hatten damals einen guten Job gemacht. Ich mochte das Stück, eines meiner Motown-Lieblinge, damals so sehr – bevor ich es über Jahre und Jahre immer wieder singen musste.
Wie hatte in den Achtzigern ihre Plattenfirma reagiert, als sie auf ihr erfolgreiches Solodebüt „Face Value“ (1981) ausgerechnet ein Motown-Cover nachfolgen ließen?
War alles okay. Ich bin in der glücklichen Position, und auch Genesis sind, nein: waren in der glücklichen Position, dass uns keiner reingeredet hat. Ein weiterer, in den Achtzigern erfolgreicher weißer Soulmusiker war Daryl Hall, aus dem Duo Hall & Oates. Und die schrieben ihre Soulsongs sogar selbst. Ach, letzten Endes habe ich doch einfach nur eine Version eines bekannten Songs aufgenommen. Ich coverte ja auch Anderes, zum Beispiel „Tomorrow Never Knows“ der Beatles. Mit „Don’t Let Him Steal Your Heart Away“ habe ich dann selbst einen beatleesken Song komponiert.
Dafür war die Scheidung von Ihrer ersten Frau damals ein Thema. Nach „Face Value“ handelte auch ihre zweite Platte, „Hello, I Must Be Going!“, von dieser Erfahrung …
„‚Face Value‘ ist nicht DAS Scheidungsalbum!“
Es war aber auch die Platte, bei der ich meine nächste Mr. Collins kennen gelernt hatte! Alle denken, ich dachte es manchmal auch, „Face Value“ sei „das Scheidungsalbum“. In Wirklichkeit ist es das „Übergangsalbum“! Die Komposition und Aufnahme von „Face Value“ umfassten eineinhalb Jahre, kurz vor Ende lernte ich dann Jill kennen.
Und dann eröffnen Sie „Hello …“, ihr nächste Album, dennoch mit dem desillusionierenden „I Don’t Care Anymore“?
Ein Freund sagte mir mal, das Stück verpasse ihm einen Adrenalinschub. Er werde seine Wut los, wann immer er es hört. Aber natürlich ist jeder meiner Platten auch autobiographisch. Und „Hello …“fällt in diese Kategorie: Teile davon wurden während einer Trennung geschrieben, man durchlebt Dinge – aber dann kommt auch schon der Scheidungsanwalt. Deshalb, wie im Songtitel, „war es mir jetzt nur noch egal“, und „ich kann nicht glauben, dass das wahr ist“ (Anspielung auf einen weiteren Titel, „I Cannot Believe It’s True“).
1982 gingen Sie dann mit den Phenix Horns, der Bläsergruppe von Earth, Wind & Fire, auf Konzertreise. Warum macht so was heute keiner mehr: Mit einer bereits prominenten Begleitband auf Tour gehen?
Es ist einfach zu teuer. Vier Extra-Musiker, zwölf insgesamt, also mindestens zwölf Hotelzimmer … Die meisten Musiker touren heute nicht mit Bläsern. Die lassen sie auf dem Synthesizer nachspielen. Ich unterhielt mich mit Charlie Watts darüber, als ich 1996 mit meiner „Phil Collins Big Band“ unterwegs war. 20 Leute powern auf der Bühne! Charlie sagte, „Whoa! Ein echtes Saxofon!“
Die Phenix Horns veränderten Ihre Stücke. Dem auf der Platte aggressiven „Like China“ verpassten sie live eine Art Samba-Gewand.
„Like China“ ist doch ein humorvolles Lied! Nun, ich habe noch mit einem Journalisten darüber gesprochen, aber dieser Song handelt davon, wie ich zum Elternhaus meiner neuen Freundin fahre. Vater dort, Mutter, dort, ich musste beide überzeugen, dass ich ihre Tochter wie Porzellan behandle – „I Treat You Like China“. In der Live-Version provoziere ich Lacher: “ I Treat You Like Chhhhhinnna!“. Aber so ist das, wenn man sein selbst eingespieltes Material auf Tour mit Musikern zusammenbringt: Neues entsteht. „Hand in Hand“ ist auf Platte eher ein unauffälliges Lied. Auf den Konzerten wuchs es zu einer Hymne, es wurde jeden Abend das Eröffnungsstück, das Publikum sang mit.
Ihr bis heute letztes Album, „Going Back“ von 2010, enthielt hauptsächlich Coverversionen von Motown-Stücken.
Ich hatte hier wirklich das Gefühl, dass wir den Spirit von Motown einfingen. Ich schickte Chester Thompson (Fusion- und Jazzdrummer, der auch mit Collins tourte) das fertige Album, damit er es schon mal erlernen konnte. Chester hörte es und dachte, ich hätte ihm eine echte Motown-Platte aus den Sechzigern geschickt!
Sie sagten, „Both Sides“ von 1993 wäre, in Anlehnung an Bruce Springsteens Werk, ihre „Nebraska“-Platte: intim, schutzlos. Könnten Sie andere Ihrer Werke auch mit denen des Kollegen vergleichen?
„‚No Jacket Required war mein ‚Born In The USA‘“
Springsteens „Born In The USA“ war gigantisch. Eine Platte in Cinemascope. „No Jacket Required“, mein drittes Album, war dann mein eigenes Cinemascope-Album. Eine anderes Werk, „Dance Into The Light“, entstand 1996, als ich in der Schweiz, nach dem Ende von Genesis, ein neues Leben begann. Ich hörte Bob Dylan und Paul Simon und versuchte, Songs auf der Gitarre zu schreiben. Dahinter stand die Hoffnung, dass sich auch mein Songwriting in eine andere Richtung entwickeln würde, schließlich komponierte ich zuvor immer am Klavier. Wie erfolgreich ich darin war? Das kann ich nicht beurteilen.
Mit „Face Value“ kreierten Sie ihren eigenen Schlagzeugsound – sowohl einen echten, als auch einen per Drum Machine. Das kannte man in den Achtzigern sonst nur von Prince. In dieser Hinsicht haben Sie beide keine Nachfolger.
Schauen Sie sich HipHop und R&B an. Dort werden kontinuierliche Sequenzer genutzt. Natürlich gibt es bestimmte Rhythmen schon sehr lange, und die sind unverkennbar an einen Künstler gebunden. Für „In The Air Tonight“ nutzte ich den Roland CR-78. Der Song wurde, mit dieser Maschine, ein Hit, das Gerät auf mich gemünzt. That and „In The Air“ Killed It For Everyboy Else. Wann immer der Sound auf einer anderen Platte zu hören war, dachte man: Das ist diese In-The-Air-Sache. Vielleicht sind Drum Machines deshalb heute nicht mehr so beliebt – sie nageln einen fest. Auf „One More Night“ nutzte ich wiederum den Roland TR-808. Aber ich fühle mich geschmeichelt. Geschmeichelt, in irgendeiner Kategorie mit Prince verglichen zu werden.
Gibt es Stücke, zu denen Sie live gerne Schlagzeug spielen würden, die aber nicht gleichzeitig beim Singen zu meistern sind?
Glauben Sie mir, ich denke oft daran, wie gerne ich kontinuierlich singen und gleichzeitig Schlagzeug spielen würde. Schließlich wäre das die perfekte Umsetzung der Vision, die ich von meinen eigenen Kompositionen habe. Ich liebe Chester Thompson, meinen Tour-Drummer, wir arbeiten seit mehr als 30 Jahren zusammen – aber natürlich spielt er seine eigenen Interpretationen meiner Stücke. Aber aus Publikumssicht gäbe es sowieso ein Problem, würde ich ständig hinter den Trommeln sitzen. Das Drumkit wäre eine Barriere.
Sie könnten doch wie Mick Fleetwood mit einer Art „Touchpad“-Schlagzeug-Jacke auftreten und sich dann im Stehen auf den Oberkörper trommeln …
(Ernst) Das wäre eine Option, aber nicht für mich. Levon Helm (Drummer von The Band) hat die Herausforderung gemeistert, musikalisch wie visuell. Sein Kit stand direkt vorne an der Bühne.
Haben Sie wieder mit dem Schlagzeugspielen begonnen?
Nein, aber ich sollte in meinem neuen Haus ein Schlagzeug aufstellen und langsam mal anfangen. Denn ich rede zu viel davon, dass ich nicht mehr spielen könnte. Ich habe es in den letzten sechs, sieben Jahren nicht mehr probiert.
„Ich muss wieder mit der Arbeit beginnen“
Vielleicht kann ich meine Probleme mit der Hand auch einfach lösen, indem ich zu spielen anfange – auch, wenn ich nie wieder so loslegen könnte wie damals. Wenn ich neue Songs schreibe, würde ich dafür auch wieder ans Klavier setzen. Aber diese Hand hier (krümmt seine linke) macht sowas nicht immer mit. Wenn es kalt wird, zieht sie sich noch mehr zusammen. Bei einem kälteren Open-Air-Konzert könnte ich nicht an den Flügel.
Werden Sie ein neues Album einspielen oder auf Tour gehen?
Ich denke über Konzerte nach, eine Tour kommt wohl nicht in Frage. Noch vor drei Jahren war ich sicher: Ich bleibe im Ruhestand. Aber meine jüngsten Kinder, sie sind 14 und 11 Jahre alt, haben mich immer wieder gedrängt: Schreibe Songs, spiele sie live! Wir wollen Dich auf der Bühne sehen! Noch habe ich keine Lieder komponiert. Aber: Ich bin unlängst nach Miami gezogen, und dort wird im Februar mein Tonstudio fertig gestellt (Kunstpause). Dann werde ich keine Entschuldigungen mehr vorbringen können: Ich muss mit der Arbeit beginnen …und das ist der klassische Ablauf: Wenn man die ersten Songs fertig hat, ist der nächste Gedanke: Daraus könnte ein Album wachsen.
Und was ist dran an den Gerüchten, es könnte eine Genesis-Reunion geben – inklusive Peter Gabriel?
Die Ur-Besetzung mit Peter Gabriel wäre sicher möglich. Ich halte nur eine Wiedervereinigung in unserer Besetzung mit mir an den Drums, wie wir zuletzt mit Peter auf der Bühne standen, für unwahrscheinlich. Wer soll dann Schlagzeug spielen