Phantom der Angst
In "Verschwörung gegen Amerika" entwirft Philip Roth eine beklemmende Rückwärts-Utopie von faschistischen USA
Ein Faschist im Weißen Haus? Was wäre passiert, wenn Hitler den Krieg gewonnen und die USA besetzt hätte? Wäre es vorstellbar, daß die größte Demokratie der Welt zu einem totalitären Regime mutiert? Wilde Szenarien, die immer wieder die Vorstellungskraft von Schriftstellern angefeuert haben. Nobelpreisträger Sinclair Lewis hatte schon 1935 in „Das ist bei uns nicht möglich“ die Gefahr eines faschistischen Amerika heraufbeschworen, und Philip K. Dick ließ 1962 in „Das Orakel vom Berge“ Hitler den Krieg gewinnen und die Nazis die Ostküste besetzen.
Plumpe Attacken waren nie die Sache von Philip Roth. Aber das Bush-Bashing war die Hintergrundmusik, zu der vor einem Jahr, wenige Wochen vor der Wahlentscheidung, sein neuer Roman „Verschwörung gegen Amerika“ in den USA erschien. Roth entwirft darin eine beklemmende „Was wäre, wenn“-Geschichte und verändert den Verlauf der Geschichte. Statt Roosevelt lässt er 1940 den US-Fliegerhelden und Nazi-Sympathisanten Charles Lindbergh Präsident werden und einen Nichtangriffspakt mit Hitler schließen. In den folgenden zwei Jahren werden auch in den USA Juden vertrieben und ermordet. Der Groß-Schriftsteller hat diese meisterhaft erzählte historische Fiktion zu einer Phänomenologie der Angst verdichtet. Die „New York Times“ bejubelte zu Recht die „terrific political novel“. Roth zeigt, wie ein tolerantes Land unter der Führung eines politischen Fanatikers zerfällt. Es war vor allem dieser Aspekt, der in der Hitze der Wahlkampf-Debatte auf die Gegenwart übertragen wurde. Auf einmal galt Roths historisches Schreckensbild als Agitationsschrift gegen Bush: Der Republikaner sei der eigentliche Verschwörer gegen Amerika.
Roth war not amused, schrieb in einem Essay, es sei ein Fehler, seinen Roman als Schelte gegen den US-Staatschef zu lesen. „Ich habe mit der Arbeit an dem Buch begonnen, noch bevor Bush im Amt war“, wiegelte der Schriftsteller ab, um dann allerdings seinen Artikel mit einer Präsidentenschelte zu beenden: „Bush ist zu dumm, einen Baumarkt zu leiten, ganz zu schweigen von einer Nation.“
So darf sich Roth nicht wundern, daß die Debatte über die aktuellen politischen Bezüge jetzt auch zum Erscheinen der deutschen Übersetzung wieder auflebte. „Die Leute lesen Bücher auf die unterschiedlichste Weise, auf nützliche und weniger nützliche. Was soll ich dagegen machen?‘ stöhnt Roth. Und dann lacht er laut, als wäre das Rätseln um Dichtung, Wahrheit und Zeitbezüge auch ein schönes Verwirrspiel, an dem er gerne mitmacht. In seinem Rechtfertigungs-Essay steht auch noch ein anderer gewichtiger Satz: Eine Gewißheit, daß es so etwas wie in Nazi-Deutschland nie in den USA passieren könne, gebe es nicht. Das klingt dann doch so, als sei sein Glaube an das Fundament der US-Demokratie etwas durchgeschüttelt worden. „Ich weiß, worauf Sie anspielen. Aber so schlimm ist es nicht. Und ich bleibe beim Kern meiner Aussage: Man kann tatsächlich nie Gewißheit haben. Nur glaube ich nicht, dass wir uns in den USA derzeit in einer ernsthaft gefährlichen Situation befinden“, sagt er, „wir haben eben nur eine rechte Regierung, die aber demokratisch gewählt wurde. Aber was fragen Sie mich das? Ich bin kein öffentlicher Intellektueller, nur ein Schriftsteller, der sich Geschichten ausdenkt.“
Schwer zu sagen, ob das nun pure Koketterie oder nobles Understatement ist. Denn Roth hat es ¿wie kein anderer lebender US-Schriftsteller verstanden, politische Momente in einer zwingenden Romanhandlung aufgehen zu lassen. Auch „Verschwörung gegen Amerika“ ist von autobiographischen Bezügen geprägt. Roth, der Sohn jüdischer Einwanderer aus Osteuropa, schildert die Bedrohung durch die Augen des siebenjährigen Schuljungen Philip Roth, der hilflos miterleben muß, wie seine Familie unter dem Druck und den Anfeindungen auseinander bricht. „Der Roman gab mir die Möglichkeit, meine toten Eltern wieder zum Leben zu erwecken, meine Familie wieder zusammenzubringen. Ich habe sie so wahrhaftig geschildert wie möglich die Fiktion war, daß sie nie unter einem weißen Arier im Weißen Haus zu leiden hatten. Glauben Sie mir, ich habe mich wirklich sehr angestrengt, dieses Szenario glaubwürdig erscheinen zu lassen.“
Lindberghs Präsidentschaft ist Fiktion, seine antisemitischen Reden sind dagegen dokumentiert. Eine davon hat Roth im Wortlaut abgedruckt. Daß er ausgerechnet diese Rede, vom 11. September 1941, auswählte, mag man auch als typisch Rothschen Gegenwartsbezug deuten – ein Assoziations-Link zum 11. September 2001. Roth selbst war zur Zeit der Attacke in New York. „Ich wollte am nächsten Tag eigentlich nach Connecticut fahren. Danach war mir dann doch nicht mehr zumute“, erzählt er, „ich bin dann einen Monat in New York geblieben. Ich war fasziniert, wütend, neugierig und verwirrt. Alle waren unter Druck, waren verängstigt. Ich wollte dort sein, um zu studieren, was passierte.“ Konnte er die Twin Towers aus dem zwölften Stock seines Studios sehen? ,Ja, aber ich habe sie eigentlich nie beachtet. Die islamistischen Extremisten sind tragische Opfer ihrer eigenen religiösen Intoleranz und der undemokratischen Länder, aus denen sie kommen. Aber statt gegen die Unterdrücker in ihren Ländern zu rebellieren, sahen sie in diesen beiden Türme in New York ihre Unterdrücker. Das ist eine tragische Lächerlichkeit oder eine lächerliche Tragödie.“
In wieweit die Angst vor dem Terror die Identität seiner Landsleute verändert hat, vermag Roth nicht zu sagen. „Ich weiß immer noch nicht, was dieses Ding, der 11. September, eigentlich ist. Nur spüre ich keine Angst, wenn ich Menschen sehe. Wobei ich nicht mehr viel unter Leute komme. Ich lebe die meiste Zeit in Connecticut. Es reicht mir heute, meine Arbeit zu machen, ein paar Freunde zu besuchen und den Krähen in meinem Garten zuzuhören.“