Petroleum für Volkes Seele
Mit HipHop machen sich deutsche Türken als CARTEL bemerkbar - gefeiert werden sie in der fremden Heimat.
Alper ist das alles peinlich. In seiner Hand hält er ein mit Buntstiften gekrakeltes Bild. Der Portier eines schicken Hotels in Ortakoy, dem In-Viertel Istanbuls, hat es ihm gerade voller Ehrerbietung überreicht Es sind Vögelchen und Herzen darauf zu sehen und ein Satz auf türkisch. „Ich liebe dich,“ übersetzt sein Manager özan Sinan feist grinsend und fugt in akkuratem Berlinerisch hinzu: „Ey, Alter, bald biste in der Bravo‘!“ Alper verzieht schmerzverzerrt das Gesicht, sogar die grimmige Comic-Figur im Graffiti-Style auf seinem T-Shirt sieht im Moment fröhlicher aus als er. „Educated Kanake“ ist sie überschrieben, darunter steht: Cartel.
Cartel, das ist nicht Alper allein, Cartel ist der Zusammenschluß dreier HipHop-Formationen in Deutschland aufgewachsener Türken: Karakan aus Nürnberg, Da Crime Posse aus Kiel und Ergi E. aus Berlin. Im Mai diesen Jahres haben sie als Cartel einen Sampler veröffentlicht, im September wurden sie dafür in der Türkei mit Doppel-Platin ausgezeichnet.
Sie sind Popstars im Land ihrer Eltern, das die fünf Türken des Cartel (ein Deutscher und ein Kubaner verstärken die Formation zur internationalen Truppe) ihr Leben lang nur von Urlaubsreisen kannten. Die gegenwärtige Tour folgt einer neuen Route, kreuz und quer durch das Land, von einer ausverkauften Halle zur nächsten. Gehen sie tags von Bodyguards hermetisch abgeschirmt durch die Städte, zischen kleine Jungs mit Bonbon-Bauchläden ihre Namen durch die Luft, und Taxifahrer klopfen ihnen anerkennend auf die Schultern: „Unsere Jungs in Deutschland, wir sind sehr stolz auf euch.“
40 000 Platten haben sie in der Türkei verkauft – in Deutschland, dem Land, in dem die Rapper Ali und Alper, Kerem und Ergi, Manager Ozan und der Rest der Posse, DJs und Break-Dancer, leben, haben sie es immerhin schon auf 35 000 gebracht Das war nicht geplant. In ihren türkischen Texten erzählen die Mitglieder des Cartel vom Leben „zu Hause“, von Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit Die türkischen Landsleute, die sie erreichen wollten, wohnen in Kreuzberg oder arbeiten bei Mannesmann. Der Erfolg in der Türkei kam für alle Beteiligten „total überraschend“.
Doch der Kulturschock beruht auf Gegenseitigkeit: HipHop war bis zur Ankunft des Cartel in der Türkei so bekannt und beliebt wie Polka in der Bronx. „Wenn hier morgen Ice-T. auftreten würde“, konstatiert Alef – die Promotion-Beauftragte von Raks, der türkischen Lizenzfirma von Polygram International – leidenschaftslos, „kämen keine 100 Zuschauer.“ Die Tausende, die allabendlich in Izmir und Ankara, in Istanbul und Antalya „Cartel“ skandieren, als jubelten sie dem örtlichen Fußballverein zu, hörten in ihrem früheren Leben türkische Folklore, Arabesk, orientalisch versetzten Pop-Dancefloor oder allenfalls Ace Of Base. „Ali Normalverbraucher“ sagt Alper, „kennt keine amerikanische Musik.“ Die seltenen Exemplare in Grunge-Gewand und Lederkluft, die Nirvana und Pearl Jam bervorzugen und allabendlich in US-gerecht gestylten „Rock-Bars“ begeistert Freunde beklatschen, die dort mit aller Inbrunst Lenny Kravitz covern, „gehören alle zur oberen Bildungsschicht, sind entweder Studenten, Bildungsbürger oder sogar richtige Künstler.“
Ein Anhänger aus der östlichen Provinz fand die richtigen Worte für den ersten Auftritt von Cartel in der Türkei. „Der sagte, wir seien hier aufgeschlagen wie grüne Männchen vom Mars“, erinnert sich Da Crime Posse-Rapper Ali. Die Mannen von Cartel pflegen trendgerechte Uniformierung und kleiden sich für öffentliche Auftritte in amerikanische Workwear von Carhartt In gegenseitigem Einverständnis: Der offizielle Ausrüster vieler HipHopper dieser Welt sponsert die deutschen Türken sogar. Und das ist angesichts ihres Riesenerfolges in der Türkei sicher kein ungeschickter Schachzug für eine Marktausweitung von Carhartt-Produkten. Den Türken jedoch flößten die graugrünen Kapuzenpullis und das erste Cartel-Video, in dem sich ihre deutschen Repräsentanten so gefahrlich gaben – „wie das halt in jedem Hardcore-Rap-Video heutzutage der Fall ist“ – Furcht und Schrecken ein: „Bevor wir in der Türkei die ersten Interviews gaben, dachten die Leute, wir seien irgendwelche Psychopathen, die wild mit der Axt herumrennen.“
Und als bei ihrer Ankunft Anhänger der rechtsradikalen Partei „Die grauen Wölfe“ begeistert salutierten, war das Cartel in öffentlichen Auftritten zunächst verhement damit beschäftigt, sich politisch von allen radikalen Strömungen zu distanzieren und gleichzeitig bei Konzerten vor Übergriffen der PKK zu zittern. Mittlerweile sind in der Türkei Kritik und Unverständnis in kollektive Begeisterung umgeschlagen. Die ersten Türken auf MTV: Cartel sind Petroleum für das helle Feuer des Stolzes, das in der türkischen Volksseele lodert.
Die erzieherische Botschaft von Selbstvertrauen und Widerstand, die Cartel und allen voran ihr omnipräsenter Manager Ozan gern den in Deutschland lebenden Leidensgenossen nahebringen wollen, sorgt nun zunächst in der alten Heimat für späte Aufklärung. „Hier unten haben die keine Ahnung, wie wir in Deutschland leben. Die glauben, die Straßen dort seien mit Gold gepflastert Einmal im Jahr kommt der Onkel aus Deutschland mit dem Mercedes, und die Täter aus Mölln und Solingen werden ab verrückte Einzeltäter behandelt“
Man hat genug eigene Sorgen in dem Land, das ihre Väter verließen, und: „Türken sind extrem harmoniesüchtig.“ Das ist es auch, was Alper als Rapper von Karakan in Rage versetzt: „Als der Anschlag von Mölln passierte, fand ich zum ersten Mal die richtigen Worte, um türkisch zu tappen.“ Die waren deutlich: mDefol Dazak – verpiß dich, Skin!‘ Das war das, was damals alle türkischen Jugendlichen dachten, nur hat es keiner laut gesagt“
Als Ozan Sinan 1992 diese erste selbstproduzierte Single von Karakan in die Hände fiel, begann er sich für Rap in seiner Muttersprache zu interessieren. Bald stieß er auf Da Crime Posse und Ergi E., und die Idee zum Kollektiv Cartel nahm Formen an. Sinan gründete ein eigenes Label, Spyce Records in Berlin, „um uns eigene Strukturen zu schaffen, die eine vernünftige Arbeit ermöglichen“. Mit der Plattenfirma Mercury kooperiert Spyce Records auf Label-Ebene, ansonsten rühmt sich Marketing-Profi Sinan, der außerdem eine eigene Werbe-Agentur besitzt und maßgeblich am Aufbau des Berliner DJ-Radio-Senders Kiss FM beteiligt war, „das Spiel selber zu bestimmen“. Zumindest in Deutschland.
Dort, wo sie als Stars gehätschelt werden, in der Türkei, muß man Zugeständnisse machen an die „Gepflogenheiten eines fremden Landes“. Zu Hause in Berlin, Kiel und Nürnberg ist der Anspruch von Sinan und dem Cartel, von Spyce Records und allen Beteiligten klar: „Als Türke in Deutschland mußtest du immer schneller rennen und weiter springen, um gleich weit zu kommen. Wir wollen uns nicht mehr an den Türken der ersten Generation in Deutschland und ihren Minderwertigkeitskomplexen orientieren, und schon gar nicht mehr an dem beschissenen deutschen System, das in den letzten Jahren einen völlig heuchlerischen Integrationismus propagiert hat, der einfach verlogen ist.
Wir wollen Selbstbewußtsein vorleben. Wir wollen nicht mehr um Akzeptanz betteln. Der grundlegende neue Schritt ist zu sagen: „Ich bin, wie ich bin, ich lebe hier, zwischen den beiden Kulturen, und ich sage den beiden Seiten kompromißlos, was mir paßt.'“