Pet Shop Boys: Die Weltherrschaft des Pop
Alles drin: Stilsicher und lässig überzeugten Neil Tennant und Chris Lowe bei ihrem Heimspiel
London, „The O2“, im Juni: Hier also wird in einigen Wochen Michael Jacksons Comeback stattfinden, gleich 50 Comebacks hintereinander, und man weiß kaum, was an dieser Meldung am erstaunlichsten klingt: Ist es die „50“? Alter sollte er nicht werden, wissen wir heute – und der Tod würde sein Comeback sein. Aber da Pop totale Gegenwart bedeutet, springen wir schnell wieder ins Präsens, 19. Juni, 21 Uhr: Auf den Leuchtschriftlaufbändern entlang der Arenabrüstung flimmern Jackson-Konzertankündigungen. Doch heute spielen hier, jetzt gleich!, die Pet Shop Boys. Knapp 20 000 Menschen aus dem Häuschen und in der Arena, olé olé! Zwar ist Neil Tennant älter als Michael Jackson, aber er ist eben noch transportfähig, und so ist dies eins der ersten Konzerte der Welttournee, die Welt muss nicht zu ihnen kommen. Doch reist der wahre Fan natürlich ins Mutterland.
Auf der Bühne stehen zwei schön mickrige Quadrate, aus weißen Würfeln gemauert -ja, auch so kann man Pink Floyd widerlegen. Ordentlich Bummbumm vom Band, und nun erscheinen Neil Tennant und Chris Lowe, Würfel um dem Kopf, quadratische Imkerhüte praktisch, ab jetzt kann man durchlachen und durchweinen: Sie setzen die Imkerwürfel erstmal nicht ab, Löwe latscht hinters Elektro-Kommandopult und hantiert an seinen Geräten, Tennant latscht nicht, Tennant schreitet, und beginnt nun zu singen: „Everytime I see you / Something happens to me“ – das kann man wohl sagen. „My heart starts missing a beat“ – das wiederum kann man nicht sagen, das Herz, und nicht nur das Herz, bumpert jeden Beat dieses Abends mit. Traditionell beginnen die Pet Shop Boys ihre Konzerte mit einem alten Superhit, diesmal also mit „Heart“. Über den Abend verteilt feuern sie – mit Ausnahme von „Rent“ – alle großen Hits ab, sechs Lieder von der neuen Platte und ein paar Überraschungen, zwei nie zuvor live gespielte Lieder ihrer ersten Platte, eine unerwartete B-Seite – und eine wirklich freche, aber überaus schlüssige Coverversion.
Als Muster dient das Medley, mit dem sie die diesjährigen Brit Awards beschlossen, ein dicht gewebter Hit-Teppich, pure Essenz, von manchen Liedern nur ein paar Takte, Sounds oder Worte – wer so viele Hits hat, kann verschwenderisch damit haushalten. Natürlich kracht die Mauer bei „Go West“ ein, es ist zu lustig, und fortan turnt die Tanzformation inmitten der Würfel umher, wirft und türmt sie; zwei Männer und zwei Frauen, vier äußerst biegsame Personen, die all das tun, wofür die Pet Shop Boys erstens zu alt und zweitens zu Pet Shop Boys sind – Musical, Ballett und Oper, aber von allem nur gerade soviel, dass es erträglich und ein Popkonzert bleibt, und was für eins: Gegenentwurf zu stupiden Rockkonzerten und gutgelaunte Parodie ausufernder Stadion-Operetten. Alles drin. Wir sehen hier: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Pop.
Einmal dann Chris Lowe ganz allein im Licht, klimpert eine Piano-Etüde, und nun tritt Tennant im Smoking aus dem Würfelgemüll, und wer die Augen zusammenkneift, kann denken, da vorn stehe Leonard Cohen – oder Frank Sinatra. „Do I Have To?“ singt Tennant, eins der schönsten, verstecktesten PSB-Lieder überhaupt, und jetzt schweben die beiden Tänzerinnen heran, Tennant lässt sie an seinem ausgestreckten Arm Pirouetten drehen, und wir sind beruhigt: So können die Pet Shop Boys auch in 20 Jahren noch auftreten.
Als Tennant dann, selbstverständlich mit Seiden-Poncho und Königskrone, tatsächlich „Domino Dancing“ mit einem Fremdlied kontert, immer hin und her, und mit nicht irgendeinem Fremdlied, versteht man für einen kurzen Moment die ganze Welt: „I used to rule the world…“; ja, er singt nun wirklich Coldplays „Viva La Vida“, und man hat wirklich den Eindruck, Coldplay hätten dieses Lied von den Pet Shop Boys geborgt, Tennant dirigiert den Fußballstadion-Chor: O-ho-o-oooo-o!
Zum Glück setzt sich Chris Lowe zu „Being Boring“ dann eine Art Farnbüschel-Helm auf, kurz mal wieder lachen – dann werden East End Boys und West End Girls entsprechend in die Nacht entlassen.
Eine knappe Woche später, Berlin, Tempodrom: kleineres Auditorium, Show unverändert groß. Sagt einer beim Rausgehen: Was das alles kostet, die Tänzer, die Bühne, bei vergleichsweise niedrigem Eintrittspreis, ob sich das rechnet? Vergiss nicht, sagt sein Begleiter, sie sparen an der Band. Chris Lowes Apparate brauchen kein Hotelzimmer.
Wenn das mal stimmt, denken wir, schmeißen die Taschentücher weg und besprechen alles – und mitten da hinein bombt die Nachricht: Jackson ist gestorben, während wir hier weinten und tanzten. His heart started missing a beat.