Perlenfischer aus der Schweinebucht – Musik aus Kuba im Film
Es war ein Zufall, der die MUSIK AUS KUBA und ihre Protagonisten dem westlichen Hörer zugänglich machte. Nun werden die betagten Legenden gar für den Film entdeckt.
Ziemlich exakt ein Jahr, nachdem die Musikbranche in seltener Eintracht das Erscheinen des „Buena Vista Social Club“ ignorierte, wird ihr Produzent Ry Cooder auf einer Pressekonferenz gefragt, wie er sich die erstaunlichen Verkaufszahlen (über eine Million weltweit) erklärt. Ein paar Sekunden wirkt der Amerikaner, als würde er leise vom Stuhl kippen. Dann murmelt er müde: „Haben Sie die Platte mal gehört?“ Was soll er sagen? Das Album dieser kubanischer Musik-Legenden ist ein Monstrum – als hätten Brian Wilson, Lennon und Hendrix „Smile“ neu eingespielt. Und alle haben es gemerkt. Außer den Experten.
Dabei ist es ganz einfach: Zum einen ist der jetzt so erfolgreiche kubanische Stil Son keine herbeigeredete World-Ethno-Global-Village-Schimäre, sondern eine klassische Liedform, die aus dem französisch beeinflußten Danzon entstand und – trotz komplexer, afrikanisch verwurzelter Rhythmen von Melodien getragen wird. Zum anderen verfugen die Protagonisten über einen derartigen Erfahrungs-Fundus, daß die jungen Keyboardknöpfchendrücker und Gitarrenschwinger neben ihnen arg unbedarft wirken. Da freuen sich junge Damen, die hier das rare Gut „alte Romantik“ finden, aber auch Vielhörer über 30, die die Alternativen zum torvermarkteten Zielgruppen-Pop suchen. Ein „Trend“ für Leute also, die Trends partout nicht interessieren. Wäre er nicht über uns gekommen – man hätte ihn glatt erfinden müssen.
Aber nun ist er ja da und bringt Freude, zunächst einmal mit einem Album von Compay Segundo alias Francisco Repilado. Der 1907 geborene Vollblutmusiker, der eine selbst erfundene, siebensaitige Gitarre namens Armunico spielt, bleibt auf „Lo Mejor De La Vida“ („Das Beste im Leben“) dem beschwingten „Buena Vista Social Club“-Sound treu: Mit trickreichen Percussion-Orgien, feinen Instrumental-Parts und zündenden Melodien zeigt der einstige Klarinettist, was er in 80 Jahren gelernt hat – in kleinen Gruppen, Bigbands oder als Hälfte des Duos Los Compadres, von dem sein Name Compay (Slang für Compadre) stammt.
Im April kam der Veteran nach Europa, wo er allen erzählte, wie vor dem zweiten Weltkrieg der Son entstand: „Die Rhythmen wurden damals auf Kisten geschlagen. Und statt Gitarren nahm man Därme, die man auf Holz zog.“ Ein Rezept für langes Leben hatte der Alte auch parat: „Alles in Maßen: Arbeit, Spaß, Alkohol, Liebe. Nichts übertreiben.“ Ihm selbst hilft wohl auch, daß er die richtigen Gene erwischt hat: Oma wurde 115! Dann gab der fröhliche Charmeur („meine Freudin ist 28“) noch einige umjubelte Konzerte, auf denen er im Quartett Kuba-Musik von der Straße spielte: lebendig, ruppig, zeitlos jung. Ein überzeugender Besuch.
Kurz daraufwar auch Pianist Ruben Gonzalez da. Im Vergleich zum hüfteschwingenden Compay wirkt der 80jährige etwas zittrig, doch wenn er zu spielen beginnt, ist er ein altersloser Gott, der simple Lieder in Kunst verwandelt – und den Ry Cooder zu Recht mit Thelonius Monk vergleicht Gonzalez hat ebenfalls eine lange Karriere hinter sich, die mit dem guten Rat des Bandleaders Arsenio Rodriguez begann. „Er sagte: »Ruben, scher dich nicht darum, wie die anderen spielen. Spiel auf deine Art‘.“ Zeitweise verschwand Gonzalez trotzdem in der Versenkung, sogar sein Klavier gab den Geist auf: „Die Termiten waren drin. Es stand in der Ecke, eines Tages wollten wir es bewegen, da ist es in sich zusammengefallen.“
In dieser Situation traf ihn Ry Cooder: „Wir waren eigentlich nach Kuba gefahren, um ein Album mit Musikern aus Mali zu machen, doch sie kamen nie. Also suchten wir eine Alternative. Ich hatte Rubens Musik jahrelang gehört, wußte aber nichts über ihn. Zunächst hieß es, er sei tot, dann, er habe Arthritis. Schließlich kam er ins Studio. Und spielte großartig.“ Als nach den Jiuena Vista „-Sessions noch zwei bezahlte Studiotage übrig waren, bekam Gonzalez die Chance, das erste Album unter eigenem Namen aufzunehmen. So entstand die Kuba-Jazz-Perle ^ntroducing“, die Gonzalez unter anderem ein neues (japanisches!) Klavier finanzierte – und der in Kürze eine weitere Platte folgen wird.
Erscheinen wird sie bei World Circuit, dem Label von Nick Gold. Der britische Kuba-Fan, der diverse Alben veröffentlichte (darunter die brillanten „Goodbye Mr. Cat“ von Nico Saquito und „El Carretero“ von Guillermo Portabales), ohne auf nennenswerte Resonanz zu stoßen, nutzt nun die Gunst der Stunde. So kommen neue CDs von Sierra Maestra und Afro Cuban All Stars sowie das Debüt von Ibrahim Ferrer, mit 75 der Jüngste unter den Alten. Da er „von ihnen tief beeindruckt“ war, dreht Wim Wenders nun gar einen Film über Kubas Legenden.
Wer die glücklichen Alten getroffen hat, die nun – auch zur eigenen Überraschung – die ältesten Stars der Pop geschichte sind, gönnt es ihnen. Ihre Freude, Begeisterung, Liebe zum Leben ist auf Planet Pop fast so rar wie die Qualität ihrer Musik.