Perfect Album Closer: 15 großartige Schluss-Songs auf Platten
Der letzte Track eines Albums trägt ebenso wie der Opener maßgeblich zur Wahrnehmung einer LP bei. Die ROLLING-STONE-Redaktion hat 15 legendäre letzte Lieder gesammelt.
The Clash – “Train in Vain (Stand by Me)” vom Album „London Calling“ (1979)
Das letzte Lied von „London Calling“ ist schamloser Pop. The Clash bedienen sich bei sämtlichen populären (afro)amerikanischen Genres und behalten von jedem das Beste: vom Disco den Beat, vom Funk das Lead-Gitarren-Motiv, vom Soul den bettelnden Gesang, vom Blues die Mundharmonika und das Riff, vom Gospel die repetitive Coda. Sie vermischen diese Elemente zu einem für sie so seltenen Liebeslied und daraus wird – richtig! – schamloser Pop.
Elliott Smith – “Say Yes” vom Album „Either/Or“ (1997)
“Say Yes” beginnt als einfache Gitarrenballade. Wenn man es ganz genau nimmt, beginnt das Lied mit einem Räuspern und einem dahingeworfenen G-Akkord als Stimmgabel, so als würde Smith den intimen Charakter seiner leisen Musik noch überhöhen wollen. Was auf diesen Akkord und die erste Strophe folgt, ist allerdings kein Lagerfeuer-Geklampfe zum Nachmachen, sondern ein wunderschön komponiertes, hochkomplexes Stück Musik, das die epischen Pop-Symphonien Smiths späterer Alben schon vorausahnt.
Girls – „Jamie Marie“ vom Album „Father, Son, Holy Ghost“ (2011)
Das letzte Lied auf dem letzten Album von Girls ist ein angemessener Ausklang für diese besondere Band. Hier erhellt ihr Stern ein letztes Mal die dunkle Nacht. Zu kitschig? Wahrscheinlich. Aber genau das machte das Duo ja aus: die Verwundbarkeit, der Camp, der schon mal Kitsch wurde, die in ihrer simplen Aufrichtigkeit präpubertäre Lyrik, die schwache Stimme von Christopher Owens, die einen ins Mark trifft, die hervorragende Produktion seines Kollegen Chet “JR” White. Kann man alles auf “Jamie Marie” nachhören, diesem Wahnsinnslied.
Moneybrother – „Stormy Weather“ vom Album „Blood Panic“ (2003)
Heute fast vergessen, waren Moneybrother aus Schweden Anfang der Nuller-Jahre kurz der heiße Scheiß. „Blood Panic“, das Debüt der Band um Anders Wendin, wurde von Charlotte Roche und Sarah Kuttner bei VIVA und MTV gepusht, besonders die Single „Reconsider Me“ rotierte im Dauerlauf. Dabei ist es vor allem der letzte Song des Debüts, der auf drei Minuten alles verdichtet, womit Moneybrother während ihrer 15 Minuten Ruhm so verzückten: überlebensgroße Springsteen-Refrains, in hibbeliger Euphorie aus den Hüften geschossen, wie es nur jemand hinbekommt, dem das Leben bis in die Haarspitzen pulsiert.
Eels – „Mr E’s Beautiful Blues“ vom Album „Daisies of the Galaxy“ (2000)
Nachdem Mark Oliver Everett den Selbstmord seiner Schwester und die Krebserkrankung seiner Mutter auf dem winterlichen „Electro Shock Blues“ verarbeitet hatte, hieß er mit „Daisies of the Galaxy“ einen neuen Frühling willkommen. Die Aufbruchstimmung von Songs wie „Packing Blankets“ ist noch zaghaft, der „Bonustrack“ mit seinem kernigen „Goddamn Right It’s a Beautiful Day!“ dagegen fast aufdringlich.
Everett wollte die lebensbejahende Hymne auch eigentlich nicht mehr auf das Album packen, seine Plattenfirma, die zu Recht von deren Ohrwurmqualität überzeugt war, bestand jedoch darauf und setzte sich außerdem damit durch, den Song für die Frat-Boy-Klamotte „Road Trip“ freizugeben. „Eine der wenigen Dinge, die ich wirklich bereue“, schrieb E in seinen Memoiren. Man sieht es ihm an, wenn er im Musikvideo mit griesgrämiger Miene den Film-Cast um Tom Green und Sean „Stifler“ Scott in einem Bus herumkutschiert.
Steely Dan – „West Of Hollywood“ vom Album „Two Against Nature“ (1999)
Das elektrische Klavier klimpert versonnen wie in den 70er-Jahren, dann setzt das Schlagzeug wie ein Metrum ein, die Orgel schwillt, die Gitarre spielt liebliche kleine Figuren: „Swingin‘ so hard/ We burned right through the summer/ Till the axis of pain/pleasure sheared the arc of desire.“ Was ist westlich von Hollywood? Wer sind Kid Clean und Anne de Siecle – und vor allem: Wer ist Dr. Warren Kruger – und warum soll man ihn treffen?
Der Chor ist so suave wie bei jedem großen Song von Steely Dan: „Look in my eyes/ Can’t you see the core is frozen?“ Vielleicht sind es wieder die Drogen wie in „The Glamour Profession“, 19 Jahre vorher, auf „Gaucho“. Und dann setzt ein langes, erratisches Saxofonsolo ein, und der Rhythmus wird durchgehalten, und das Solo wird wild, bäumt sich auf und wird wieder ruhiger und dann noch wilder, und man hört die ganze Geschichte von Donald Fagen und Walter Becker, die einst aus New York nach Kalifornien gekommen waren, und man hört auch ganz Kalifornien in diesem Solo: „A weekend of bliss/ Then the rainy season.“
The Smiths – „Suffer Little Children“ vom Album „The Smiths“ (1984)
Auch wenn man nichts wusste von den Moor-Morden in und um Manchester zwischen 1963 und 1965, bewegt einen dieses Lied wie nur je ein Wiegen- oder ein Abschiedslied oder eine Moritat. „Over the moor, take me to the moor/ Dig a shallow grave/ And I’ll lay me down“, singt Morrissey mit seiner schwelgerischsten Stimme, und Johnny Marrs Gitarre spielt die verführerischsten Licks, und Morrisseys Text wird zum Gebet, zum Requiem, zur Anrufung: „Lesley-Anne, with your pretty white beads/ Oh John, you’ll never be a man/ And you’ll never see your home again/ Oh Manchester, so much to answer for.“
Marrs Rickenbacker-Gitarrenspiel steigert sich in eine schmerzliche Ekstase, die den Wahnsinn des Lustmords ebenso evoziert wie die Nachtmahre,die niemals aufhören werden. Die Leichen von mindestens drei der fünf Kinder, die Ian Brady und Myra Hindley ermordeten, wurden im Saddleworth Moor in der Nähe von Manchester vergraben. Ein Jahr nach dem Smiths-Lied wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen, und noch 1987 wurde ein Grab entdeckt. Myra Hindley starb im Jahr 2002, Ian Brady lebt noch immer in einer geschlossenen Klinik.
Jackson Browne – „The Load-Out/Stay“ vom Album „Running On Empty“ (1977)
Die Behauptung, man höre auf „Running On Empty“ DIE RÄDER DES BUSSES der Reisegesellschaft, hält sich hartnäckig. Jackson Brownes Platte ist ein Konzept- wie ein Live-Album, die Songs wurden in Hotelzimmern, beim Soundcheck, beim Konzert und eben im Reisebus aufgenommen. Es ist das paradigmatische Album über die Entstehung und die Umstände von Rockmusik in den 70er-Jahren, und „The Load-Out“, der Hymnus auf die helfenden Hände der sogenannten Roadies, ist die Apotheose des Unterwegsseins und des Rapports mit dem Publikum.
Nur Jackson Browne konnte diese rührselige Betrachtung („working for that minimum wage“) so singen, dass sie wie das schönste Lied über Liebe und Geografie klingt, und nur er konnte Maurice Williams‘ alten Hit „Stay“ zum Schlusslied aller Schlusslieder machen – mit einem lustig gefistelten Beitrag des Slide-Gitarristen David Lindley. Die Mellow Mafia, eine Band aus brillanten kalifornischen Studiomusikern, spielte den letztgültigen, tiefenentspannten Westcoast-Rock. war Fortan musste Browne jedes Konzert mit den beiden verbundenen Stücken beenden – was er aber, wie zuletzt bei Konzerten in Deutschland, nicht immer tut.
Nirvana – „Where Did You Sleep Last Night“ vom Album „Nirvana: Unplugged“ (1993)
Schon am 18. November 1993 schien Kurt Cobain Abschied zu nehmen: Bei den Aufzeichnungen für das MTV-Unplugged-Konzert ließ er die Bühne mit reichlich Lilien und Kerzen schmücken, platzierte seine engsten Vertrauten in die vordersten Reihen und spielte neben eigenen Songs jene Lieder, die ihn inspirierten. Bowie, Meat Puppets, The Vaselines und zum großen Finale sogar einen appalachischen Folk-Song aus dem 19. Jahrhundert. „Where Did You Sleep Last Night“ reißt Fans bis heute das Herz aus der Brust – spätestens beim letzten tiefen Seufzer am Ende des Songs.
Bon Iver – „Re:Stacks“ vom Album „For Emma, Forever Ago“ (2007)
Dieser Herzensbrecher aus Wisconsin… Das Debütalbum „For Emma, Forever Ago“ von Bon Iver avancierte 2007 überraschend zu einer der erfolgreichsten Albumveröffentlichungen des Jahres und bescherte Zartbesaiteten durchheulte Nächte – weniger, weil man der Platte anhört, dass Justin Vernon drei Monate lang in einer abgeschiedenen Hütte mit Pfeifferschem Drüsenfieber vor sich hin vegetierte, sondern vielmehr, weil er dadurch die emotional sehr belastende Trennung von Freundin und Band verarbeitete. Ehrlicher als „re:Stacks“ kann es kaum werden, „When your money’s gone / And you’re drunk as hell“.
Kyuss – „Whitewater“ vom Album „Welcome To Sky Valley“ (1994)
Wer schon einmal durchs Death Valley gebraust ist, während die Sonne hinter den steinigen Wüstenfelsen untergeht, kennt vielleicht das Gefühl von uneingeschränkter Freiheit und aufbäumender Beklemmung, das sich Kyuss Mitte der Neunziger auf die Fahnen geschrieben hatten. Jugendliche, die in der unbarmherzigen Wüste Kaliforniens und Nevadas Grenzen ausloten und ihre Gitarren so tief stimmen können, wie sie wollen – kein Wunder, dass aus Josh Homme so ein Freigeist geworden ist. „Oh, sunshine / Though love and beauty pass me by / Should I waste my time / In your valley beneath your skies? / I am home“: „Whitewater“ ist eine Ode an den Sonnenschein, ans verdörrte Zuhause.
Queen – „The Show Must Go On“ vom Album „Innuendo“ (1991)
Mit „The Show Must Go On“ endete die Plattenkarriere von Queen – nicht einmal ein Jahr nach Erscheinen des Songs auf dem Album „Innuendo“ verstarb Freddie Mercury an Aids. Natürlich verabschiedete sich die Band mit einem Knall: Die kraftvolle Überlebenshymne fasste noch einmal alle musikalischen und inhaltlichen Themen im Werk der Briten zusammen. Mercury sang so majestätisch und prägnant und beseelt wie nie zuvor. „Inside my heart is breaking/my make up maybe flaking/but my smile still stays on…“
Talking Heads – „Road To Nowhere“ vom Album „Little Creatures“ (1985)
Das schillerndste Schlusslied der Talking Heads, die in dieser Disziplin wahre Meister waren (man denke an „Pulled Up“, „The Big Country“, „Drugs“, „This Must Be The Place“), und wohl auch ihr größter Hit. Was damals kaum jemandem auffiel: Die Band schrieb mit der verschmitzten Pop-Nummer den offiziellen Soundtrack zur untergangsbesessenen Postmoderne. Das Ende der (Popmusik-) Geschichtsschreibung war nahe, die Talking Heads wussten aber schon damals, dass man besser dazu fröhlich lacht, als in Panik zu geraten.
R.E.M. – „Find The River“ vom Album „Automatic For The People“ (1992)
Wie so viele Songs von R.E.M. handelt auch dieser von Abschied und Aufbruch, von Traurigkeit und anschließendem Trost. Michael Stipe murmelt empfindsam: „Strength and courage override/ The privileged and weary eyes/ Of river poet search naivete/ Pick up here and chase the ride/ The river empties to the tide/ All of this is coming your way.“ Schönere Zeilen sind dem Dichter nie wieder eingefallen. Und all die Dramen der Kindheit ziehen vorbei – und die der Erwachsenen bleiben, wenigstens für einen Moment, ein zartes Rauschen im Fluss.
Neil Young – „Words (Between The Lines Of Age) “ vom Album „Harvest“ (1972)
Allein wie der Song in das Geklatsche des live aufgenommenen „The Needle And The Damage Done“ hineingeprescht kommt, ist ergreifend. Nach „Cowgirl In The Sand“ auf „Everybody Knows This Is Nowhere“ steht auch dieser Song wie Stein gemeißelt am Schluss. Der unruhige Rhythmus und die lamentierenden Gitarren bilden den vorzüglichen Kontrast zu dem melancholischen Opener „Out On The Weekend“. Live ist „Words“ zudem in seiner 11-Minuten-Variante ein Erlebnis für sich.