Penelope Houston – Vorerst gesundet
Nach acht Jahren kehrt die New-Folk-Ikone Penelope Houston zurück: als Bibliothekarin.
Keine leichte Zeit: Nach der Veröffentlichung ihres letzten Solowerks, „The Pale Green Girl“ von 2004, musste Penelope Houston eine Scheidung durchstehen und ein Konzept für die zweite Lebenshälfte entwickeln. Houston, die in den Neunzigern eine große Karriere vor sich zu haben schien (die dann aber nicht kam), begann eine Arbeit bei der städtischen Leihbücherei von San Francisco (sie lebt im benachbarten Oakland) und nahm ihr Kunststudium wieder auf. Damit sie eine richtige Bibliothekarin werden kann, muss noch ein Bachelor-Abschluss her. Mit den Avengers – Punk-Legende und Houstons erste Band – geht sie in den USA wieder auf Tournee.
Auf dem Cover von „On Market Street“, Houstons neuem Solo-Album, sieht man ein Selbstbildnis der Künstlerin in Öl. Weiche Konturen, kräftiges Rot: Houston sieht die Welt wohl etwas milder an, hat aber ihre Leidenschaft nicht verloren. Die neue Musik ist voluminöser und knarziger als die der früheren Alben, mehr Americana und Roots-Rock als cleverer Sixties-Post- Wave-Folkpop.
Ihre neuen Lieder haben etwas Großzügiges, Freundliches. Man hat den Eindruck, dass Sie ihren Adressaten etwas Gutes tun möchten.
Das höre ich gern. Früher waren meine Texte immer ziemlich dunkel, ich sah in ihnen das Schlechte an den Dingen und den Menschen. Zum Ausgleich ist auf fast jedem Album ein Song von Pat Johnson (langjähriger musikalischer Partner Houstons) – seine Lieder haben genau diese großzügige, warme Note. Ich habe mir immer gewünscht, dass meine Texte etwas freundlicher werden.
Dabei behandeln Sie auf dem Album doch eine unangenehme Phase Ihres Lebens.
Das stimmt. Die meisten Songs sind mehr oder weniger direkt aus fünf, sechs Jahre alten Tagebucheinträgen entstanden. Damals ging ich durch eine Scheidung gegangen, ich war traurig und traumatisiert. Was ich in mein Tagebuch schrieb, klang oft poetisch – ich dachte dann, oh, das wird wohl ein Lied! Heute ist mein Leben viel voller und besser, mir geht es gut. Ich habe einfach ein paar Jahre gebraucht, bis ich die Kraft hatte, ins Studio zu gehen und diese Platte zu machen.
Neben den Texten wirkt auch die Musik mitfühlender und weniger kühl als früher.
Ich denke mittlerweile, dass man mehr vom Leben bekommt, wenn man sich nicht mit einem Panzer umgibt, sondern sich ein bisschen verletzlich macht und mit offenen Augen durch die Welt geht – vielleicht kommt das in der Musik durch. Du musst bereit sein, ein bisschen zu sterben, um wirklich am Leben zu sein.
Sie zitieren aus „If You’re Willing“, einem Ihrer neuen Lieder.
Ja, richtig. Ich erinnere mich, wie es entstand, als ich morgens um fünf Uhr nach einem Gig in Hamburg zu Fuß ins Hotel Atlantic ging und dachte: Mein Stern hängt vielleicht etwas tiefer, ich bin nicht perfekt, meine Stimme ist ein bisschen kaputt, und ich sehe die Dinge auch nicht mehr so schwarz und weiß wie früher. Ich habe mich verändert und doch bin ich dieselbe. Wer ein bisschen mit mir stirbt, wird mich verstehen.
Klingt differenzierter als zu Beginn Ihrer Karriere.
Bei den Avengers war das natürlich anders. Mein Gott, war ich selbstgerecht! Ich habe meine Wahrheiten herausgeschrien, so laut ich konnte. Dabei war damals Jimmy Carter Präsident – wir hätten uns unsere Energie aufsparen sollen.
Woher kam die Wut? Haben Sie gegen Ihre Eltern rebelliert?
Nein, meine Eltern haben mir kaum einen Grund gegeben, mich gegen sie aufzulehnen – sie haben mich sehr liberal erzogen und mir die Freiheit gelassen, mich auszudrücken. Wir lebten in einem ziemlich konservativen Vorort von Seattle – da waren wir ziemliche Außenseiter. Schon während meiner Schulzeit hing ich dann mit schwulen Theatergruppen rum und umgab mich mit Leuten, die nicht der Norm entsprachen. Als ich dann in San Francisco zu studieren begann und der Punk kam, war es für mich sehr natürlich, dabei zu sein.
Entdecken Sie diesen Punk-Geist immer noch in sich, wenn Sie mit den Avengers auf Tournee sind?
Ich gehe auf die Bühne und – boom! Da ist die alte Energie wieder und zieht mich mit. Es geht mir in meiner eigenen Musik mittlerweile um andere Sachen, aber ich sehe noch immer die Dinge, die ich früher gesehen habe. Und ich kann immer noch über sie singen.
Occupy America?
Ich bin dabei! Es ist gut zu sehen, dass die Menschen endlich aufstehen und den Lärm machen, der gemacht werden muss. Ich verfolge genau, was da passiert und gehe auf die Märsche – nur die, auf denen Pfefferspray gesprüht wird, versuche ich zu vermeiden. Jörn Schlüter