Pelzliebhaber im Zeitsprung
Es ist ein leicht verregneter Abend in London, und die New Yorker Band Furslide gibt ihr erstes Konzert in Europa. In einem kleinen, schmuddeligen Pub? Vor fünf Zuhörern und ein paar Dartsspielern? fan der Pike auf?
Nein, nicht ganz. Einige hundert Leute drängen sich in einen großzügigen, geschmackvoll eingerichteten Comedy Club hinein. Die Herren am Eingang sind elegant gekleidet, die Einladungskarten glänzen schick, die Gästeliste enthält so lapidare Einträge wie „Björk plus three“ oder «ALHucknalT. Und so kommt es: Björk zappelt in einem komischen Plastik-Space-Anzug durch die Tür, und auch ihre Begleiter sehen auf eine groteske, übertriebene Weise hip aus. Mick Hucknall guckt blöde in der Gegend herum und trägt einen Pelzmantel. Natürlich kein Zufall! Fia; Pelz, Furslide-. so ein Schelm.
Furslide sind das erste, wie man so sagt, „signing“ von Nellee Hoopers eigenen Label Meanwhile. Durch seine Arbeit mit Massive Attack, Madonna, Björk, Garbage und den Smashing Pumpkins ist Hooper zum Superproduzenten und Großzauberer der 90er Jahre geworden. Er hat Furslide „über einen Freund“ entdeckt und ist dabei, sie zur Modernität zu bekehren: „Bevor wir Nellee kannten, steckten unsere Köpfe tief in den Siebzigern“, beichtet Jason Ladder, der Bassist „Wir waren eine absolute Retro-Combo, sehr rückwärtsgewandt. Aber Nellee hat uns mit neuen Sounds und Techniken bekanntgemacht Jetzt sind wir auf einem Trip in die Gegenwart“
Dann heißen wir sie doch höflich willkommen: Adam Mac DougalL den Gitarristen und Zynikec. Jason Ladder, den Coltrane-Fan und Spiritualisten. Und schließlich die Sängerin und Gitarristin Jennifer Turner, über die man ein paar Worte mehr verlieren muß. Beim Interview guckt sie einem strudelig in die Augen. Sie sagt Sätze wie „Ich bin sehr sensibel“ und trägt dikke Wollsocken. Gibt es noch WGs, wo sich solche Frauen im Schneidersitz auf Stühle setzen und Milchkaffee trinken? Auf der Bühne erinnert Jennifer eher an Patti Smith oder Chrissie Hynde; mit ihrer Gitarre geht sie um wie mit einem störrischen Kind. Es gibt keinen Zweifel, daß sie der Mittelpunkt der Band ist Furslide haben in der Tat viel gelernt: Sie seien jetzt auch „into drum’n’bass“, und MacDougall philosophiert über East- und Westcoast-HipHop. Doch auf der Bühne ist von diesen Zeitgeist-Studien noch nicht viel zu spüren: Da sind Furslide die Rockband, die sie vermudich schon vor der Entdeckung durch Hooper waren. Ihre erstaunliche Aura beruht auf einer merkwürdigen Mischung aus Innerlichkeit und Explosivität Sie scheinen ganz bei sich zu sein, Coltrane-artig versunken in der Musik. Andererseits könnte man sich keine Band vorstellen, die unvermittelter losschlägt, die äußerlich präsenter ist: Furslide, ein Paradoxon.
Wenn sie ihre Energie und die Fähigkeit, pointierte Songs zu schreiben, tatsächlich mal mit elektronischen Klängen verbinden (und nicht nur veredeln, wie auf ihrem Album „Adventure“)dann könnten Furslide eine der interessantesten Rockbands der nächsten Dekade werden. Dann bekämen Hoopers Aktivitäten ihren finalen Sinn.
Ansonsten droht die Lenny-Kravitz-Falle. Bei dem gilt es schon als Innovation, wenn er das Haar kürzer trägt „Manchmal fühle ich mich, als würde ich mich in einem Zeittunnel bewegen“, sagt Jason. „Über den Rückweg in die Siebziger geht es direkt ins neue Jahrtausend.“