Pearl Jam und „Ten“: Hardrock, aber verdammt seelenvoller Hardrock
Vor 26 Jahren veröffentlichten Pearl Jam ihr Debüt "Ten". ROLLING STONE hat dem epochalen Album die Höchstwertung von fünf Sternen verliehen.
Pearl Jam – Ten ★★★★★
Reissue von 2009, Deluxe-, Legacy-, Super-Collectors Edition) ROLLING STONE 9/2009
Bei Pearl Jam lief fast nie etwas nach Plan. Da ist es konsequent, dass das opulente Reissue von „Ten“ krumme 18 Jahre später erscheint. Tatsächlich will die Band bis zu ihrem 20. Jubiläum 2011 all ihre Alben in Neuauflagen veröffentlichen, dies ist also nur der Anfang- und gleichzeitig schon der Höhepunkt der Feierlichkeiten.
„Ten“ ist eines dieser klassischen Alben, deren Hits („Alive“! „Even Flow“! „Jeremy“!) so oft gespielt wurden, dass man darüber in all den Jahren fast vergessen konnte, was für eine Leistung das gesamte Debüt war. Selten klang eine so junge Band so entschlossen. Es muss ein magischer Moment gewesen sein, als die Musiker, die in Seattle schon kleine Stars waren, auf Eddie Vedder trafen, der in San Diego bislang nur als Surfer aufgefallen war.
Gitarrist Stone Gossard war jedenfalls schnell klar, dass Vedder kein gewöhnlicher Mucker war wie all die Biertrinker, mit denen er bislang gejammt hatte. Der Sänger schenkte ihm gelegentlich Gedichte oder Zeichnungen, als kleine Aufmerksamkeit. Gossard fand das rührend und wohl auch ein bisschen seltsam, und so ist das im Grunde bis heute geblieben: Pearl Jam sind eine großartige Rockband, doch ohne Vedder wären sie eben nur das: sehr gute Musiker und Melodienfinder, die das Spiel mit der Dynamik perfekt beherrschen. Der Identifikationsfaktor und die Innerlichkeit kamen mit dem belockten Grübler, der Zeilen schrieb wie „Thoughts arrive like butterflies …“
Kurt Cobain warf den Kollegen bekanntlich immer vor, dass sie im Herzen Hardrocker waren, aber sie waren verdammt seelenvolle Hardrocker, und in keinem Moment überschattete die gelegentliche Breitbeinigkeit die enorme Wucht der Gefühle. „Ten“ war damals von Rick Parasher produziert worden, es klang der Band immer etwas zu massig. An die Remaster-Version ließen sie nun ihren Stammproduzenten Brendan O’Brien, der die Songs sorgfältig, aber sacht neu abmischte.
Lässt keine Wünsche offen
Er reduzierte den Breitwandsound zugunsten einer tatsächlich ansprechenderen Direktheit. Interessanter als die kleinen Unterschiede zwischen Original und Aufbesserung sind allerdings die sechs Bonus-Tracks, die zeigen, dass Pearl Jam trotz der recht kurzen gemeinsamen Zeit schon genügend Material hatten, um auch starke Songs erst mal liegenzulassen. Das kraftvolle „Just A Girl“, angeblich der erste Song den Pearl Jam je zusammen geschrieben haben, hätte sich auf „Ten“ gut gemacht, „State Of Love And Trust“ wurde später dank des „Singles“-Soundtracks dann ja dann noch zum Hit.
Es gibt von diesem gewaltigen Debüt nun eine Legacy-, eine Deluxe-, eine Vinyl- und eine Super-Collectors-Edition, wobei letztere gar keine Wünsche mehr offenlässt. In der großen Klappbox gibt es neben den beiden „Ten“-Versionen zusätzlich das Vinyl von Original- und Remaster-Album und zwei weitere LPs mit Konzertaufnahmen („Drop In The Park“- live in Seattle, September 1992). Nostalgische Gefühle schürt eine Replik der sagenumwobenen „Momma-Son“-Demo-Kassette mit den ersten Aufnahmen von „Alive“, „Once“ und „Footsteps“.
Ein Notizbuch von Eddie Vedder wurde originalgetreu nachgedruckt, auch diverse Pässe, Tickets, Sticker und Poster liegen bei. Man sieht also sehr viele wehende Haare auf verschwommenen Polaroids, detaillierte Tour-Pläne und immer wieder Sinnsprüche wie „Don’t give up“ oder „Promote your first record by making your second“. Erstaunlich oft sieht man die Band dabei lächeln. Ihr Bedenkenträger- bis Miesepeter-Image erwarben sie sich erst ein wenig später, als ihnen der Ruhm schon wieder zu viel wurde.
https://www.youtube.com/watch?v=MS91knuzoOA
Auf der- nun erstmals erhältlichen- „MTV Unplugged“-DVD kann man noch einmal schön beobachten, wie Pearl Jam als Band funktionieren. Während alle eher gemütlich auf ihren Stühlen sitzen und sich aufs Klampfen und Trommeln konzentrieren, schüttelt die Kraft der Songs Vedder immer wieder durch, er windet sich und singt sich frei, springt schließlich auf den Barhocker und lacht am Ende befreit auf: „This didn’t feel like a TV show at all, actually!“ Der Zauber des Anfangs – so unbedarft waren sie nie wieder.