Peanuts oder Politikum? Mit einem Lied über Kinderprostitution verschreckt Stefan Remmler alle Abspielstationen
Wenn Radio und Fernsehen schweigen, gibt es ein Echo in den Printmedien. Es geht um ein Lied, das wenige gehört haben dürften, und weniger noch haben wohl das Video dazu gesehen. Als Stefan Remmler von seinem neuen Album „Amnesia“ die Single „Schweinekopf“ auskoppelte, mit einer Kindermelodie über Kinderprostitution, spielten zwölfRadiosender das Lied einmal ab. Viva zappte das Video einmal in die News-Nische. Da Abspielstationen kaum kommentieren, bleiben sie hier stumm.
Auch ein anderes Stück von „Amnesia“ hätte es nicht in die Rotation der Sender schaffen müssen. Dieses jedoch ist in Form und Inhalt „eingeholt worden von den erschütternden Kinderschändungen in Belgien“, wie Remmler es nennt, also an der allgemeinen Betroffenheit gescheitert. Die vorrauseilende Pietät der elektronischen Medien evozierte allerdings ein Mißverständnis, das auch nach Interviews im „Stern“ („Mißbrauch zum Mitschunkeln“) und in der „Woche“ („Schweinerei der Woche“) nicht aufgelöst wurde. „Diese einzelnen psychisch kranken Triebtäter sind nicht mein Thema, auch das Opferbild ist ein anderes“, erklärt Remmler. „Das Lied handelt von Kinderprostitution in der Dritten Welt.“ Viele Journalisten würden ihn „mit boulevardmäßigen Fragen zum Belgien-Fall angehen“, Talkshows wollen mit ihm „die Hausfrauen-Schiene“ abfahren.
Berechtigt macht Remmler feine Unterschiede, die Schlagzeilen nicht erfassen können – selten aber auch ein Pop song. Mit „Schweinekopf“ erzählt Remmler die Gefühle und Gedanken einer zehnjährigen Prostituierten in Rio de Janeiro: „Wenn du meine kleinen Titten hältst, will ich was von deinem Schweinegeld/ (…) Du bist so reich und geil und dumm, und wenn ich groß bin, bring ich dich um/ (…) Weiße Nudel unterm Hängebauch, gib mir Dollars, dann steht er auch/ (…) Alle Mädchen sagen, weißer Mann, fahr nach Hause und steck die Gattin an.“ Dabei plätschern Karnevalsklänge, strahlt die Sonne in die Ohren und phrasiert Remmler wie ein Animateur im Ferien-Club. Keine Sterne in Rio.
Der Urlaub war gewollt „Ich glaube, die Mädchen fühlen so“, begründet Remmler die Assoziationen von Text und Ton. „Das Lied ist für mich schlüssig, indem ich es aus der Sicht des Mädchens erzähle. Es würde mir gar nicht gefallen, in Betroffenheit zu schwelgen – und würde auch nicht zu der Erzählerposition passen. Es bleibt außerdem mehr hängen, wenn man ein Lied verfremdet und beim zweiten Hinhören erst merkt, wie bitterböse alles ist“ Brecht drängt sich ihm auf, mir eher Trio. „Da da da, ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht“ war ein hinterhältiger Refrain über Beziehungskälte, Tanzwütige aber verstanden den Sarkasmus als Spaßslogan. Auch „Schweinekopf“ folgt dem minimalistischen Ansatz, daß „ein Bild, nicht die Botschaft vorne steht“ – nur die Methode greift hier nicht Meinetwegen, okay, anwortet Remmler: „Der Song hat mehr obviously message, das Thema ist größer-“ Er weiß längst, daß sein Song für viele nicht so funktioniert, wie er ihn noch immer im Kopf hat. Er wollte nicht als „Missionar große Reden halten, nur ein Lied schreiben, damit sich mehr Leute mit dem Thema beschäftigen“, redet aber vom „Nachholprozeß, um in Gesprächen weiter zu kommen als im Song“. Es spricht der Bürgen den der Musiker knapp hält.
Die Qualität von „Schweinekopf“ ist keine Geschmacksfrage oder Frage der Moral. Da auch die Radio-Version „ohne die four letter words“ nicht gespielt wird, wirft der Song als Einheit Mißverständnisse auf. Die Bilder sind billig, sie treffen nicht das Herz des Hörers, da sie die Hölle der Mädchen verfehlen. Im Entertainment das auch Remmler bedient bleiben kolportagehafte Kompromisse zurück. Daß so Päderasten von Bangok bis zum Ballermann das Lied als Polonäse mißbrauchen könnten, ist im Pop angelegt „Sonst hätte ich eine Oper schreiben müssen.“ Das hätte er.