Paul Weller. Q&A
Über Langeweile und Ehrgeiz, Liebe und Wut, Terroristen und eine Frühlingstrilogie
Dieser Mann weigert sich, über seine eigene Vergangenheit nachzudenken. The Jam, The Style Council – alles gut und schön, aber nur die heutige Musik zählt. Man kann über Paul Weller vieles sagen – und zumindest die britische Presse hat das ja ohne Unterlaß getan: Reaktionär, Miesepeter, Langweiler, Stinkstiefel, natürlich auch Modfather, Dandy, Dadrocker -, aber eins ist er ganz bestimmt nicht: einer von den Alten, die sich selbst immer noch am besten finden und alles Neue irgendwie verdächtig. Der Songschreiber weiß zwar um seine Verdienste, aber er strebt immer nach mehr, „As Is Now“ heißt das neue Werk, es ist sein 18. Studioalbum in 28 Jahren, und der Titel könnte nicht besser passen: Für Weller gilt nur, wie gut seine Songs heute sind (sehr gut), ob seine Stimme noch hält (sie klingt komischerweise besser denn je, trotz Bier und Zigaretten), daß die Konzerte mit seiner Band Euphorie erzeugen (fast immer). Paul Weller, der vor einigen Monaten zum fünften Mal Vater wurde, ist also zu Recht ein glücklicher Mann. Gemütlich wird er es sich allerdings nie machen.
Vor einem Jahr sagtest du noch, daß du seit zweieinhalb Jahren keinen Song mehr geschrieben hast. Wann ging es wieder los?
Ich war kurz darauf im Krankenhaus wegen einer Halsinfektion und mußte danach drei Wochen ausruhen. Mir war langweilig, also habe ich Songs geschrieben – sieben oder acht in drei Wochen. Auf einmal klappte es wieder, und die Qualität der Songs wurde immer besser.
Wo schreibst du denn deine Songs?
Meistens zu Hause in meiner Küche, wenn alle schlafen gegangen sind. Aber manchmal auch tagsüber, wo immer ich bin. Diesmal hat es mir richtig Spaß gemacht. Als ich letztes Jahr das Cover-Album („Studio 150“) rausgebracht habe, brauchte ich einfach mal eine Pause vom Songschreiben. Jetzt habe ich wieder diesen Ehrgeiz und Freude daran.
Was ist einfach: Texte oder Musik?
Diesmal war alles leicht. Und das sage ich nicht oft! Es war ausnahmsweise mal gar kein Kampf. Wenn ich nachts etwas geschrieben hatte, konnte ich kaum den Morgen abwarten, um daran weiterzuarbeiten.
Sind die Songs schon mehr oder weniger fertig, wenn die Band zum Aufnehmen dazukommt?
Ich habe schon recht genaue Vorstellungen von meinen Stücken, aber sie können immer Vorschläge machen. Sie machen oft mehr aus meinen Ideen, als ich es allein könnte. Und wir arbeiten sehr schnell, lange Diskussionen gibt es nicht. Im Grunde haben wir nur zwei Wochen für die Aufnahmen gebraucht.
Im Song „Blink“ geht es um Veränderungen. Das scheint eines deiner Lieblingsthemen zu sein.
Ehrlich gesagt, stammt der Song aus dem Jahr ’92, kurz vor „Wild Wood“. Deshalb schließt er thematisch und auch musikalisch so sehr an diese Zeit an. Ich hatte das Stück einfach vergessen, und irgendwann fiel es mir wieder ein. Habe nur ein paar Zeilen geändert, es gefiel mir plötzlich sehr gut. So was passiert leider selten.
Die Single „From The Floorboards Up“ handelt von der Energie bei Konzerten. Wird man nie zu alt dafür?
Ich jedenfalls nicht. Hoffentlich. Wenn man mit dem Touren aufhört, verliert man schnell die Verbindung zum Publikum, und die Platten verlieren an Energie. The buzz, the high of a live gig is so important.
Insgesamt klingt „As is Now“ sehr positiv – abgesehen von „Savages“.
Auf jeden Fall. Es steckt viel Liebe drin, viel Leidenschaft. Der Song „Savages“ das ist einfach ein Blick auf unsere Welt. Terroristen, George Bush, Al Kaida, all der verdammte Scheiß. Jeder terrorisiert irgendwo irgendwen. Am meisten hat mich das Bild von dieser Schule in Beslan verfolgt, wo die Terroristen fliehenden Kindern in den Rücken geschossen haben. Das sind keine Freiheitskämpfer, das sind verdammte Feiglinge, und ich hasse sie. Ich hasse sie viel mehr, als sie uns jemals hassen könnten. Aber Bush und Blair, die Bomben auf Unschuldige im Irak werfen, sind für mich auch Terroristen. Keiner geht die wirklichen Probleme an, die all das verursachen.
Trotzdem wirkst du erstaunlich optimistisch, was die Zukunft angeht.
Ich glaube immer noch daran, daß 95 Prozent aller Menschen ein gutes Herz haben und nur 5 Prozent bösartige Bastarde sind. Das ist gar kein so schlechtes Verhältnis. Vieles hat sich ja auch verbessert. Wir Engländer sind auf jeden Fall toleranter als noch vor 20 Jahren. Ich muß mich nur in meinem West-Londoner Viertel umschauen: Da gibt es jede Sorte Mensch, die man sich nur vorstellen kann. Wenn ich mit meinen Kindern in den Park gehe, bin ich die ethnische Minderheit, weil ich als Einziger nicht Russisch oder Polnisch oder Arabisch spreche. Trotzdem verstehen sich alle.
Auf dem Album singst du gleich ein paar Mal von Gott.
Das ist mir auch schon aufgefallen. Das Thema interessiert mich einfach. Nicht organisierte Religionen, die sind nur mittelalterlicher Mist. Ich glaube, wenn überhaupt, dann ist Gott in uns. Der Song „Pan“ handelt davon, vom Gott der Schöpfung, des neuen Morgens. Das klingt jetzt wie Nonsens, aber ich wollte eigentlich eine Trilogie über den Frühling schreiben, mit „Pan“ und „All On A Misty Morning“ – und den dritten Song dazu habe ich nie geschrieben.
Hattest du vor 30 Jahren gedacht, daß du mal eine Trilogie über den Frühling schreiben würdest?
(lacht) Wohl kaum! Aber damals war ich 17, heute bin ich 47, habe fünf Kinder und viel erlebt. Trotzdem ist es ja so: Lieder wie „Floorboards“ oder „Come On Let’s Go“ hätte ich auch damals schreiben können. Aber es muß auch immer weitergehen, immer.
Du hast gerade den „Mojo“-Songwriter-Award von Ray Davies überreicht bekommen. Eine Ehre?
Klar, wegen Ray Davies war es toll. Aber mir kam das Ganzes irgendwie auch wie eine Verarsche vor. Die haben mich selbst entscheiden lassen, ob ich „Icon“ oder „Songwriter“ gewinnen will. Das fand ich komisch, aber der Abend war gut. Ich habe mal wieder Shane MacGowan von den Pogues getroffen. Er sieht aus wie eine Leiche, die man gerade aus der Themse gezogen hat. Ich weiß nicht, wie er seit fast 30 Jahren überlebt, er ist immer besoffen. Wahnsinn, was manche menschliche Körper ertragen können.
Wie ist das bei dir? Mußt du auf Tour mehr aufpassen als früher, damit du durchhältst?
Das sollte ich, ich werde ja auch nicht jünger. Neulich habe ich mal für drei Monate Rauchen und Trinken aufgegeben und bin ins Fitneßstudio gegangen, war also total fit, aber auf der Bühne war ich dann zu angespannt und gar nicht so gut. Ein bißchen beduselt darf man schon sein – solange man sich trotzdem vernünftig um die Familie kümmern kann und so. Man muß einen Mittelweg finden.