Paul McCartney live in Berlin: eine Feier des Lebens und der Liebe
Auch bei seinem Auftritt in Berlin beschließt McCartney mit seinem „Abbey Road“-Medley den Abend. Weil am Ende die Liebe, die man bekommt, der Liebe entspricht, die man gibt. Und wenn dem so ist, steht die Welt bei Paul McCartney in tiefer Schuld.
Vor der ersten Zugabe kommt die Band mit einer Regenbogenfahne auf die Bühne. „Wir stehen gemeinsam mit Orlando“, sagt Paul McCartney auf Deutsch. Und diese Geste ist in diesem Moment unglaublich stark. Denn die Stunden zuvor waren eine einzige Feier des Lebens, der Freundschaft und der Liebe.
Zum Schlussakkord von „A Day In The Life“ hatte McCartney zweieinhalb Stunden zuvor die Bühne betreten und ihm mit seiner Band den Anfangsakkord von „A Hard Day’s Night“ entgegengesetzt. Davor hatte ein etwas eigentümlicher DJ das Publikum bereits mit Beatles-Stücken, die sich durch Breakbeat-Gewitter kämpften, und Reggae- und Soulcovers von Lennon-, McCartney- und Harrison-Songs angeheizt. So musste niemand ohne sein Lieblingslied nach Hause gehen, selbst, wenn es anschließend nicht auf der Setlist stand. Eine bittersüße Erfahrung: Auf die Euphorie beim Erkennen von „Silly Love Songs“ folgte die Wehmut bei der anschließenden Erkenntnis, diesen Basslauf später nicht aus erster Hand zu hören.
Er freue sich „wie Bolle“ in Berlin zu sein, erklärt McCartney nach der Eröffnung mit „A Hard Day’s Night“ und „Save Us“. Es sei Zeit für eine Party. Er spricht viel Deutsch an diesem Abend, kündigt etwa „Temporary Secretary“ als „elektronisches Lied“ an, erzählt vor „My Valentine“, seine Frau Nancy Shevell sei im Publikum. Er schaut einen dabei von den riesigen Leinwänden direkt an, wirkt so entspannt und vertraulich, dass man das Drumherum, die vielen Menschen, die Bier-, Veggie-Burger und Bratwurststände fast vergisst. Er sei immer in Versuchung, die Schilder zu lesen, die ihm seine Fans entgegenhalten, erklärt McCartney, doch darüber vergesse er dann seinen Text. Da seien sie selbst Schuld. Auf einem Schild steht „My love is in Brazil“. „Was kann ich da tun?“, fragt er und lacht. Dann schickt er seine ganze Liebe nach Brasilien. Die Inszenierung ist so perfekt, sie hebt sich selbst auf.
Selbst die brüchig gewordene Stimme scheint ins Konzept zu passen, treibt einem bei Zeilen wie „Each one believing that love never dies“ (aus „Here, There And Everywhere“) oder „Life is very short and there’s no time for fussing and fighting my friend“ (aus „We Can Work It Out“) die Tränen in die Augen. Und wenn die Stimme mal nicht hält, hilft die Band, wo sie kann. Oder, um es mit McCartneys Worten zu sagen: „Maybe I’m amazed at the way you help me sing my song/ Right me when I’m wrong/ Maybe I’m amazed at the way I really need you.“
Die Band, mit der McCartney schon länger auf der Bühne steht, als er es mit den Beatles oder den Wings tat, ist ein wesentlicher Teil des Abends. Man sieht, wie die Musiker Blicke tauschen, Faxen machen, lachen – der Geist von „A Hard Day’s Night“ scheint in sie gefahren zu sein. Doch auch die Freunde aus vergangenen Zeiten sind natürlich präsent: am Ende von „Let Me Roll It“ spielt McCartney auf der knallbunten Gitarre Jimi Hendrix’ „Foxy Lady“, mit „Love Me Do“ wird George Martin gedacht, bei der Quarrymen-Nummer „In Spite Of All The Danger“, die er als Teenager mit George Harrison schrieb, animiert er zum Mitsingen, als wäre das ein weltbekannter Hit (während er den gemeinsam mit Kanye West geschriebenen Welthit „FourFive Seconds“ spielt wie einen kleinen Folksong). Zu „Here Today“, dem offenen Brief an John Lennon, hat sich die Band diskret verdrückt, und McCartney steht allein auf der Bühne, die sich langsam gen Himmel hebt. Natürlich spielt er auch „Something“ auf Harrisons Lieblingsinstrument, der Ukulele.
„Live And Let Die“ inklusive Abschlussfeuerwerk
McCartney geht auf in der Rolle als offizieller Fab-Four-Botschafter. Im Kreml hätten ihm hohe Minister gestanden, sie hätten mit Beatles-Platten Englisch gelernt, erzählt er, und einer habe ihn mit einem „Hello Goodbye“ begrüßt – „close enough“. „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ erfüllt beim immer gern mitklatschenden deutschen Publikum seinen Zweck und eröffnet den geradezu klassischen Schlussteil mit „Band On The Run“, „Back In The U.S.S.R.“, „Let It Be“ und „Live And Let Die“, inklusive Abschlussfeuerwerk. Nach den nicht enden wollenden „Na Na Na Na“s von „Hey Jude“ verbeugt sich die Band und geht ab. Das Ende ist das natürlich noch nicht. Vor der Regenbogenfahne schwenkt McCartney noch die deutsche Flagge, sein Schlagzeuger Abe Laboriel Junior, ein Amerikaner, den Union Jack. Nach der Erinnerung an die Opfer des Massakers von Orlando spielt McCartney „Yesterday“, was auch sonst.
Nach „Hi Hi Hi“ stehen plötzlich zwei Japaner in Sgt.-Pepper-Kostümen auf der Bühne. Vater und Sohn. McCartney gibt den Gottschalk, stellt jovial Fragen, auf die er die Antworten schon kennt. Die beiden sind aus Tokio angereist, und jetzt brauchen sie eine Entschuldigung für die Schule, weil Junior (so heißt er wirklich – McCartney erwägt halblaut eine Änderung der Setlist: „Hm, like in ,Junior’s Farm‘ …“) deshalb fünf Tage Unterricht verpasst. Am Ende umarmen sich die drei, hüpfen dabei auf und ab wie Fußballer nach einem gewonnenen Spiel.
Auch wenn an diesem Abend niemand Geburtstag zu haben scheint, gibt es anschließend „Birthday“ für alle, die einen Geburtstag haben. Bei McCartney sind die Gefühle immer groß genug für alle und passen doch in jedes noch so kleine Herz hinein. Natürlich beschließt das berühmte „Abbey Road“-Medley den Abend. Weil am Ende die Liebe, die man bekommt, der Liebe entspricht, die man gibt. Wenn dem so ist, steht die Welt bei Paul McCartney in tiefer Schuld.
Paul McCartney, „Something“: