Paul McCartney: Alle Alben im Ranking

Zum Geburtstag von Paul McCartney stellt ROLLING STONE-Redakteur Maik Brüggemeyer sein ganz persönliches Ranking aller Post-Beatles-Alben vor

6. „McCartney III“ (2020)

Es hat einen großen Zauber, Paul McCartney zuzuhören, wenn er sich unbeobachtet fühlt und nicht – Entertainer, der er nun mal ist – versucht, den Erwartungen eines Produzenten oder seines Publikums gerecht zu werden. Während des ersten Pandemie-bedingten Lockdowns im Frühjahr 2020, ging er in sein privates Studio, um ein kleines Instrumentalstück für den Abspann eines auf seinem alten unveröffentlichten Song „When Winter Comes“ basierenden Animationsfilms von Geoff Dunbar aufzunehmen – und blieb dann etwas länger, um sich die durch Konzert- und Festivalabsagen frei gewordene Zeit zu vertreiben. So arbeitete er an ein paar liegengebliebenen Songideen und machte – wie er beteuert – unabsichtlich den dritten Teil der „McCartney“-Reihe. Es ist der freie und ungebremste Spieltrieb, der auch dieses Mal wieder den Reiz ausmacht und sich in den originellen und versponnenen Arrangements jedes Stücks zeigt, besonders aber, wenn die one man band McCartney mit Formen experimentiert; wie beispielsweise im achtminütigen Versuch in zeitgenössischem R&B, „Deep Deep Feeling“, der sich von einem minimalistischen Fundament in psychedelische Höhen schraubt. Klingt ein bisschen wie der amerikanische Pop-Avantgardist Beck, könnte man meinen – wenn man nicht wüsste, dass es eigentlich genau andersherum ist: Es ist Beck, der manchmal wie McCartney klingt. Neben Experiment und Spielerei sind auf „McCartney III“ zudem noch einige der größten McCartney-Songs des 21. Jahrhunderts: der Leadbelly-inspirierte Blues “Women And Wives” etwa und das versponnene Popstück „Find My Way”, in dem er sich direkt auf die Corona-Krise bezieht: „You never used to be afraid of days like this/ And now you’re overwhelmed by your anxieties/ Let me help you out/ Let me be your guy/ I can help you reach the love you feel inside.“ Selbst wenn Paul McCartney sich unbeobachtet fühlt und ganz bei sich ist, denkt er an uns.

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5. „Memory Almost Full“ (2007)

McCartney hatte dieses Album bereits kurz nach den Aufnahmen von „Driving Rain“ (2001) mit dem gleichen Produzenten, David Kahne, und seiner neuen Tourband begonnen, aber schließlich auf Eis gelegt, um mit Nigel Godrich an „Chaos And Creation In The Backyard“ (2005) zu arbeiten. Später stellte er es mehr oder weniger im Alleingang fertig, sodass er auf der Hälfte der Songs alle Instrumente selbst spielt. Insgesamt liegen fünf Jahre zwischen der ersten und der letzten Aufnahme für „Memory Almost Full“. In diese Zeit fiel auch die Trennung von seiner zweiten Frau Heather. „I should stop loving you“, singt McCartney in „Gratitude”. „Think what you put me through/ But I don’t want to lock my heart away/ I will look forward to/ Days when I’d be loving you/ Until then, gonna wish and hope and pray.“ „Memory Almost Full“ ist ein verspieltes, unglaublich vielfältiges Album, das fast klingt wie ein Best-of-McCartney, weil er hier vom Wings-artigen Rocker („Only Mama Knows) bis zur wehmütigen Ballade („You Tell Me“), vom großen, leicht exzentrischen Medley („Vintage Clothes“/„That Was Me“/ „Feet In The Clouds“) bis zum perfekten Popsong („Ever Present Past“) all seine Qualitäten zeigt und mit „Mr. Belamy“ seinem Kabinett aus dem Alltag abgeschauten Figuren – man denke an „Eleanor Rigby“, „Lovely Rita“ oder „Jenny Wren“ – eine besonders interessante hinzufügt. Das erstaunlichste und rührendste Stück hier ist aber „The End Of The End“ – ein Song über die Endlichkeit, der aber nicht etwa die eigene Befindlichkeit in den Mittelpunkt stellt, sondern im Ernstfall denen Trost spenden soll, die ihn lieben: „On the day that I die I’d like jokes to be told/ And stories of old to be rolled out like carpets/ That children have played on/ And laid on while listening to stories of old/ At the end of the end/ It’s the start of a journey/ To a much better place/ And a much better place/ Would have to be special/ No reason to cry.“ Und wenn er dann auch noch fröhlich zu pfeifen beginnt, als sei das alles keine allzu schlimme Vorstellung, sollte man als Zuhörer ein Taschentuch griffbereit haben. In diesen drei Minuten steckt der ganze McCartney. Wer war nochmal der spirituelle Beatle? „Memory Almost Full” ist – mehr noch als „Chaos And Creation In The Backyard“ (2005) – ein ziemlich privates und introspektives Album, doch das schien McCartney mit der fröhlich stampfenden erste Single „Dance Tonight“ ein bisschen verschleiern zu wollen.

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4. „Tug of War“ (1982)

Ursprünglich als nächste Wings-Platte geplant, legte McCartney seine Band nach dem Tod von John Lennon schließlich auf Eis und machte – produziert von George Martin – ein geradezu klassisches Werk, das klingt wie der McCartney-Teil eines späten Beatles-Albums. Doch auch Lennon ist auf der ersten Seite von „Tug Of War“ in fast jedem Song präsent. „We were trying to outdo each other in a tug of war”, singt McCartney etwa im eröffnenden Titelsong, einem sinfonischen Meisterstück, das spielerisch an seine besten Arbeiten mit den Beatles heranreicht. „What’s That You’re Doing“, ein Funk-Jam mit Stevie Wonder, sprengt zwar den beatlesken Rahmen, zitiert aber am Ende „She Loves You“, und in „Here Today“ wendet McCartney sich direkt an Lennon und antizipiert, dass der von dieser Rührseligkeit vermutlich nichts hätte wissen wollen – zu sehr haben sie sich voneinander entfernt, zu viele Welten liegen zwischen ihnen. „But as for me/ I still remember how it was before“, singt McCartney zu akustischer Gitarre und von George Martin arrangierten Streichern. „And I am holding back the tears no more.“ Und dann erinnert er an einen Abend in Key West im September 1964, an dem sich die beiden Freunde betrunken und überfordert von Beatlemania und Tourstress heulend in den Armen lagen: „What about the night we cried/ Because there wasn’t any reason left to keep it all inside?/ Never understood a word/ But you were always there with a smile.” Die zweite Seite von „Tug Of War“ hat mit der großen Klavierballade „Wanderlust“ und dem in seiner Ideenvielfalt an den „Ram“-Track „Uncle Albert/Admiral Halsey“ erinnernden „The Pound Is Sinking“ zwei weitere Klassiker – und am Ende steht natürlich das Hit-Duett mit Stevie Wonder, „Ebony And Ivory“.

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