Paul McCartney verrät (wieder einmal), wer „Eleanor Rigby“ wirklich war
„Eleanor Rigby“ handelt von einer alten, einsamen Dame – und so wie diese oft dazu neigen, Geschichten wieder und wieder zu erzählen, verliert sich auch Paul McCartney darin, die Geschichte des Songs neu aufzurollen.
Paul McCartney hatte sich bereits mehrmals über die Entstehungsgeschichte des berühmten Beatles-Songs „Eleanor Rigby“ geäußert. „The New Yorker“ veröffentlichte nun in ihrer Printausgabe im Oktober ein Essay von McCartney, das die Hintergründe des Songs erklärt. Was als Neuerkenntnis verpackt wird, ist im Grunde längst aufgearbeitet.
„Eleanor Rigby“ ist ein Stück über die Einsamkeit („Look at all the lonely people“ [Sieh dir all die einsamen Menschen an]). Obwohl es eine der melancholischsten Tracks der Beatles ist, sollen viele der im Song gezeichneten Bilder tatsächlich aus schönen Kindheitserinnerungen stammen.
McCartney „Ich kannte eine Menge alter Damen, als ich groß geworden bin – zum Teil durch die so genannte Bob-a-Job-Week, in der Pfadfinder für einen Schilling Hausarbeiten erledigten. Man bekam einen Schilling für das Ausmisten eines Schuppens oder das Mähen eines Rasens. Ich wollte einen Song schreiben, der sie [die alten Damen] zusammenfasst.“
Sie, die alten Damen, die Paul McCartney in seiner Jugend kennenlernte und deren Einsamkeit ihn geprägt hätten. In einem 2020er-Interview mit der US-Ausgabe des ROLLING STONE sagte Macca zur Person, „‚Eleanor Rigby‘ basiert also auf alten Damen, die ich als Kind kannte. Aus irgendeinem Grund hatte ich gute Beziehungen zu ein paar älteren Frauen aus der Gegend. Neulich dachte ich, ich weiß nicht, wie ich sie kennengelernt habe, sie gehörten ja nicht zur Familie. Ich bin ihnen einfach über den Weg gelaufen und habe ihre Einkäufe für sie erledigt.“ Langsam lüftet sich das Geheimnis.
Auch der Name Eleanor Rigby hatte immer wieder Fragen aufgeworfen. Mal war die Rede davon, dass er auf einem Grabstein des Friedhofs stand, auf dem McCartney und John Lennon regelmäßig spazieren waren. Anders wurde berichtet, dass der Name in einer Verkettung von Zufällen entstanden ist – so hatte es McCartney 1984 dem Playboy-Magazin gegenüber erklärt. 2015 hatte McCartney schließlich für Klarheit gesorgt. Dem britischen „Independent“ sagte er:
„Ich hatte ein paar Probleme mit dem Namen, und mir war es immer sehr wichtig, einen Namen zu finden, der richtig klingt. Wir haben mit Eleanor Bron an [dem Film] Help! gearbeitet, und ich mochte den Namen Eleanor; es war das erste Mal, dass ich mit diesem Namen zu tun hatte. Als ich eines Abends durch die Stadt ging, sah ich ‚Rigby‘ an einem Laden in Bristol […] und so wurde es ‚Eleanor Rigby‘. Ich dachte, und ich schwöre, dass ich mir den Namen Eleanor Rigby so ausgedacht habe […]. Aber es scheint, dass oben auf dem Woolton-Friedhof, wo ich mich oft mit John herumgetrieben habe, ein Grabstein für eine Eleanor Rigby steht. Entweder war es reiner Zufall oder es war in meinem Unterbewusstsein.“
Neu ist allerdings, dass McCartney der Figur Eleanor Rigby nun doch eine reale Person zuschreibt. Eine der älteren Frauen, denen er in seiner Jugend in Liverpool unter die Arme gegriffen hat. Ihr Name: Daisy Hawkins. „Ich sehe ein, dass ‚Hawkins‘ ganz nett ist, aber es war nicht richtig“, schreibt er in dem Essay. „Jack Hawkins hatte Quintus Arrius in ‚Ben-Hur‘ gespielt. Dann war da noch Jim Hawkins, aus einem meiner Lieblingsbücher, ‚Die Schatzinsel‘. Das war nicht richtig. Aber das ist das Problem mit der Geschichte. Selbst wenn man dabei war, was ich offensichtlich war, ist es manchmal sehr schwierig, sie genau zu bestimmen.“
Die personifizierte Einsamkeit im Alter
Auch zur Umschreibung einzelner Zeilen gibt es neue Erkenntnisse: „Die Lieblings-Kühlcreme meiner Mutter war Nivea, und ich liebe sie bis zum heutigen Tag“, erklärte McCartney in dem Essay. „Das ist die Creme, an die ich bei der Beschreibung des Gesichts dachte, das Eleanor ‚in a jar by the door‘ [in einem Glas neben der Tür] aufbewahrt. Ich war immer ein wenig erschrocken darüber, wie oft Frauen Cremes benutzen.“
Viel eher steht Eleanor Rigby dann rezeptionsgeschichtlich wohl für eben die alten, einsamen Damen und Herren, die „den Reis in der Kirche auf[heben], in der eine Hochzeit stattfand“ („Picks up the rice in the church where a wedding has been / Lives in a dream“), und formt daraus die personifizierte Einsamkeit im Alter. „Die Idee, dass jemand nach einer Hochzeit Reis aufhebt, hat die Geschichte in diese ergreifende Richtung gebracht, in die Richtung ‚einsame Menschen‘“, heißt es in der „Beatles Anthology“.
Eine alte Dame, die in einer ruhigen Straße in Liverpool lebte und Paul McCartney mit ihren traumhaften, ihrer Kryptomnesie entspringenden Geschichten aus ihrer eigenen Jugend den Einfluss bot, den Song „Eleanor Rigby“ zu komponieren. Eine Welt voll von Eleanor Rigbys, traurige Seelen, die unbemerkt einen Teil dieser Gesellschaft ausmachen; in Erinnerungen schwelgen und sich darin verlieren, wenn sie dazu kommen, davon zu erzählen. Anstatt es wie alle anderen abzutun, hat Paul McCartney ihr zugehört – oder zumindest über sie geschrieben.