Paul & Linda McCartney – „Ram“
Es war damals sicherlich ein kluger Marketing-Schachzug, jedem Beatle eine bestimmte Rolle im Bandgefüge zuzuteilen: Ringo der Spaßvogel, George der Stille, Paul der Süße und John der Rebell.
Dass es aber 40 Jahre später immer noch Menschen gibt, die diese wahrscheinlich für den Teenie-Markt ausgeklügelte Charakterisierung ungebrochen übernehmen, zeugt einerseits davon, wie unkritisch man noch immer mit der Vergangenheit umgeht und wie wenig man andererseits eigentlich hingehört hat. Immer noch gilt das kreuzdumme Dogma: “Dein Lieblings-Beatle war nicht John sondern Paul/ Halt’s Maul” (Heinz-Rudolf Kunze). Man hatte es nicht leicht, sich damals in der Schule gegen Klugscheißer wie Kunze durchzusetzen.
Natürlich bleibt die Schnoddrigkeit von Lennon-Songs wie “You’ve Got To Hide Your Love Away”, “Norwegian Wood” oder “Strawberry Fields” im Beatles-Kosmos unerreicht. Aber es waren clevere Songs wie “Things We Said Today”, “For No One” oder “We Can Work It Out” (alle wohl hauptsächlich aus McCartneys Feder), die einen Großteil der Popbrillanz der “zentralen Tanzschaffe aus Liverpool” (Werbetext) ausmachten und einen Brian Wilson zunächst zu “Pet Sounds” und dann in die Verzweiflung trieben. Auch die tape loops und Effekte auf dem verstörenden “Tomorrow Never Knows” stammen vom netten Paul. Zumindest musikalisch war er der Bilderstürmer und Experimentalist und (neben Gerorge Harrison und George Martin) für den Sound der Band verantwortlich.
Auch in McCartneys Solo-Werk ist keineswegs alles so schmalzig, belanglos und albern, wie es oft dargestellt wird. Am Ende hat er doch mehr gute Alben auf seiner Seite, als die anderen drei Beatles zusammen – und das nicht nur, weil er auch bei weitem die meisten veröffentlicht hat. Die selbstbetitelten Platten Anfang der 70er und Anfang der 80er Jahre sind für jemandem mit seinem Status ziemlich gewagt – und in ihrer Lo-Fi-Ästhetik überaus gelungen, vielleicht sogar wegweisend. “Red Rose Speedway”, “Band On The Run” und “Venus And Mars” zeugten bis Mitte der 70er Jahre von ungetrübter Pop-Brillanz.
Das Meisterwerk aber ist “Ram”: Ein Album, das ebenso bei Art-Rock wie bei Folk, Blues und Country, vor allem aber bei den Beach Boys abgeguckt ist (als ich Brian Wilson vor einigen Monaten bei einem Telefoninterview erzählte, dass McCartney ihm hier ein ums andere Mal Tribut zollt, freute er sich wie ein Kind). “Uncle Albert/ Admiral Halsey” erinnert in seiner Fragmentiertheit an “Good Vibrations” und die Harmonien auf “Ram” sind wohl die schönsten, die man jemals auf einem Nicht-Beach-Boys-Album hören konnte. Es singen: Paul und Linda McCartney. Moment. Linda kann doch gar nicht singen? Kann man doch überall nachlesen. Mumpitz! Hören Sie mal ”Dear Boy”, “Backseat Of My Car” und eben ”Uncle Albert/ Admiral Halsey”. Paule gab “Lovely Linda” bei der Hälfte der Songs gar als Co-Autorin an, aber das hatte wohl eher monetäre Gründe und sollte John zeigen, dass auch seine Ehe eine künstlerische war.
Darüber, dass McCartney einer der größten weißen Rock- und Bluessänger ist, muss man ja eigentlich schon seit dem furiosen “I’m Down” (der Rückseite der “Help!”-Single) kein Wort mehr verlieren, aber man höre sich “Smile Away” und “Monkberry Moon Delight” an, wenn man eine Bestätigung sucht. Dass McCartney Schnulzen schreiben kann wie kein Zweiter, ist ja auch hinlänglich bekannt. Hier heißen sie “Long Haired Lady” und “Heart Of The Country” (besonders Letzteres ist schön verspielt und ganz famos).
Kurz nach den Aufnahmen zu “Ram” machte McCartney sich übrigens noch an eine orchestrale Fassung der Songs, die er dann aber erst vier Jahre später unter dem Pseudonym Percy Thrillington veröffentlichte. Ein wundervolles Werk aus Big Band Swing, Jazz und ausgeklügeltem Pop, das heute leider nur noch äußerst schwer zu bekommen ist.
Bekannt geworden ist “Ram” aber nur als bübische Beatles-Reminiszenz. Auf dem Cover sieht man McCartney, wie er einen Hammel an den Hörnern packt. Der steht natürlich für den störrischen Ex-Intimus John Lennon; ebenso wie die Zeilen: “That was your first mistake/ You took your lucky break/ And broke it In two” (“Too Many People”). Ein anderer Song heißt “3 Legs”, der natürlich selbstredend von den drei übrigen Beatles handelt. Die passenden Antworten ließen allerdings nicht lange auf sich warten. Lennons Imagine-Album lag eine Postkarte bei, auf der er ein Schwein (also Paul) bei den Ohren packt, das gehässige “How Do You Sleep” (mit George Harrison an der Gitarre) brilliert mit der Zeile: “All you ever did was yesterday (oder “Yesterday”?)/ But since you’ve gone you’re just another day (bzw. “Another Day”, so hieß die damals aktuelle McCartney-Single)”. Doch vor allem hatte Lennon der Ehrgeiz gepackt, mit seinem Album ebenso gekonnte Pop-Preziosen vorzulegen, wie sein Ex-Partner – was sicherlich nur teilweise gelang.
Nachdem Galileo Galilei 350 Jahre ausharren musste, bis er 1992 vom Papst rehabilitiert und somit vom Ketzerstatus freigesprochen wurde, sollte man mit der Rehabilitierung von Paul McCartneys Post-Beatles-Werk vielleicht nicht ganz so lange warten.
Capitol, 1971