Patti Smith: Requiem für einen Freund
Anlässlich der Ausstellung "Spuren des Geistigen" inszeniert die New Yorker Schamanin einen Totenkult für einen Lebenden. München, Haus der Kunst.
Die Ausstellung „Spuren des Geistigen“ im Münchner Haus der Kunst widmete sich der Beschäftigung der Kunst mit Spiritualität, Metaphysik und Religion. Natürlich durfte hier Martin Kippenbergers Holzfrosch am Kreuz nicht fehlen, der im Vorfeld auch für die größte Aufregung sorgte. Zumindest unter Gläubigen.
Patti Smith, als Fotografin in der Ausstellung mit einer Aufnahme vertreten, schaute als langjährige Freundin des Hauses auf Einladung des Direktors Chris Dercon selbst in München vorbei. Nicht für ein herkömmliches Konzert, sondern um eine ganz persönliche Annäherung an das Thema der Ausstellung aufzuführen. Am ersten Tag ihres Besuchs lud sie zu einem Gespräch mit dem Künstler und Regisseur Christoph Schlingensief. Die beiden hatten sich bei Schlingensiefs umstrittener „Parzival“-Inszenierung kennen und – man kann wohl wirklich sagen: lieben gelernt. Auf den ersten Blick ein seltsames Paar: die hippieske Schamanin, die von sich selbst sagt, für Ironie sei sie nicht intelligent genug, und der oft zu drastisch sehen Mitteln greifende Provokateur, der eher Wunden schlägt als sich um Heilung und Versöhnung zu bemühen.
Doch während des Gesprächs werden die Gemeinsamkeiten der Freunde zunehmend deutlich. Beide haben etwa ein besonderes Verhältnis zum Zufall. Smith sieht darin ein Aufblitzen des göttlichen Plans, Schlingensief ein wildes Element im eigenen schöpferischen Prozess. Und in beider Werk spielt der Tod eine große Rolle. Patti Smith hat eine Art Totenkult um ihre verstorbenen Freunde errichtet und sie in einem persönlichen Pantheon neben ihre große Idole Rimbaud und Blake gestellt, Schlingensief, dessen Kunst schon immer radikal subjektiv war, inszenierte – an einer heimtückischen Form des Lungenkrebses erkrankt – bei der Ruhrtriennale im vergangenen Jahr unter dem Titel „Kirche der Angst“ seine eigene bewegend-irritierende Totenmesse. Er wolle nicht in die Eso-Ecke gesteckt werden, sagt er, doch die spirituelle Frage, was am Ende die Erlösung bringe, beschäftige ihn schon sein ganzes Leben. „Der größte Wunsch ist allerdings, auf Erden zu bleiben“, erklärt er mit gebrochener Stimme. Patti Smith singt ihm zu Ehren zum Abschluss ihren Song „Grateful“: „It all will come out fine/ I’ve learned it line by line/ One common wire/One silver thread/All that you desire/ Rolls on ahead.“ Man hat den Eindruck, ein Hauch des Göttlichen durchwehe den Raum. Vorm Haus der Kunst halten derweil einige Christenmenschen aus Protest gegen die Ausstellung eine Sühneandacht ab. Am nächsten Tag kehrt Patti Smith noch einmal ins Haus der Kunst zurück. Begleitet von dem Cellisten Adrian Brendel singt und rezitiert sie aus ihren Werken. Einige ihrer Fotografien und Ausschnitte aus Stephen Sebrings Smith-Porträt „Dream Of Life“ werden dazu auf die Wand hinter der Bühne projiziert. Im Vordergrund stehen aber natürlich die spirituell geprägten Texte, die sich an diesem Abend in einer Mischung aus Meditation und Rausch entfalten. Im ersten, von William-Blake-Zitaten durchwirkten Song erzählt Smith von all den Statuen, die die Stadt bevölkern und von denen niemand mehr weiß, wer sie eigentlich sind. Ein Stück wider das Vergessen also. Es werden noch weitere folgen. Singt sie wieder „Grateful“, dann intoniert sie Neil Youngs „Helpless“, das – so Smith – dem Andenken ihres Ehemanns Fred „Sonic“ Smith gewidmet sei. „Beneath The Southern Cross“ singt sie für Robert Mapplethorpe. Mit Lesebrille rezitiert sie anschließend „Birdland“. Ekstatisch. Trauernd. „Sha da do wop, da shaman do way“. So allmählich wird deutlich, dass Smith hier eine Art Messe inszeniert, ein Requiem für einen Lebenden: Christoph Schlingensief.
Wie bei Messen in Bayern üblich, folgt auf das Evangelium die Predigt, die an diesem Abend allerdings etwas deplatziert wirkt. Weder das schwache „People Have The Power“ noch die Ansprache zu einem neuen Song, in der Smith Murat Kurnaz zum Märtyrer erhebt, überzeugen die versammelte Gemeinde. Doch dann erzählt sie wieder von ihrem deutschen Freund, dessen Namen sie immer noch nicht aussprechen könne: Schlöngenseeef. Hinter ihr erscheint ein am Vortag aufgenommenes Bild des von der schweren Krankheit Gezeichneten. Er habe sie künstlerisch neu belebt, so Smith. Er sei ein moderner Peter Pan, ein moderner Rimbaud. Letztgenannten feiert sie im anschließenden Gedicht „Dream Of Rimbaud“, das Brendel geradezu genialisch begleitet. Letztes Lied vor der Zugabe „Because The Night“ ist das schöne „Wing“. in dem die Schamanin noch einmal zur Muse wird, „I was a vision in another eye“.