Patrick Wolf – Ansichten eines Fauns
Lady Gaga und die Pet Shop Boys lieben ihn schon lange, nun steht Patrick Wolf mit seinem neuen Album "Lupercalia" kommerziell vor dem Durchbruch. Von Maik Brüggemeyer
Patrick Wolf sieht natürlich wieder umwerfend aus und trägt Klamotten, die man sich nicht einmal trauen würde, wenn man einen besonders extrovertierten Tag erwischt hat (kurze Hosen!). Da kommt die Erwiderung auf die Frage nach dem Bühnenoutfit am Abend etwas unerwartet. „Diese ganze Theatralik habe ich hinter mir gelassen“, sagt er und nippt an seinem Tomatensaft. „Ich will nur noch spielen und singen. Keine Kostüme, keine Show. Es ist vollkommen okay, einfach ein Musiker zu sein.“ Für jeden, der mit dem Werk des 27-jährigen Briten vertraut ist, muss diese Aussage mindestens so seltsam klingen, als würde Pedro Almodovar verkünden, künftig in seinen Filmen auf Farbe zu verzichten. Denn die Inszenierung, das Spiel mit Identitäten und Image ist ein wesentlicher Teil seiner Kunst. Schon früh hat er sich die metamorphisierende Titelfigur aus Virgina Woolfs Roman „Orlando“ zum Vorbild genommen. Und wenn man das Publikum bei seinen Konzerten betrachtet, kann man neben vielen prominenten Bewunderern wie jüngst in Berlin den Pet Shop Boys oder Wolfgang Tillmans auch frühere Patrick-Wolf-Inkarnationen bewundern: den viktorianischen Straßenjungen, den glamourösen Partyboy, den finsteren Goth.
„Ich habe mich schon immer gegen Trends gestellt“, erklärt Wolf seinen Sinneswandel. „Und momentan ist es im Pop die beliebteste und gewöhnlichste Sache der Welt, kontroverse und provokante Bilder zu produzieren.“ Bezieht er sich da auf Lady Gaga, die vor einiger Zeit in einem Interview bekannte, sie sei großer Wolf-Fan und meditiere zu seinem Album „The Magic Position“? „Ich glaube, man kann das nicht an einer Person festmachen. Es scheint, als versuche jeder den anderen zu übertreffen. Da mache ich nicht mit.“
Er kann es sich leisten. Sein neues Album, „Lupercalia“, wird auch ohne Schminke und Skandal für genügend Aufmerksamkeit sorgen, hat er sich doch dem opulenten Pop britischer Prägung verschrieben, wie ihn in den Achtzigern ABC oder Dexys Midnight Runners spielten. Die erste Single „The City“ hat es in seiner Heimat, die ihn bisher immer ignorierte, sogar auf die Playlist von Radio 2 geschafft. „Ich fühle mich nun zu Hause in England. Bisher haben vor allem die Journalisten dort es geliebt, mich zu hassen. Wahrscheinlich haben viele Leute – erst auf der Schule, dann in der Presse – meinen blinden Ehrgeiz als Bedrohung empfunden. Vielleicht ändert sich das gerade ein bisschen, und sie haben sich nach fünf Alben an mich gewöhnt. Da gehen die Probleme dann erst richtig los.“
An Ambition hat es ihm wahrlich nie gefehlt. „Mein Werk soll eine große Reise werden, die die Leute erkunden sollen, wenn ich tot bin. Wenn sie es schon vorher tun, ist das aufregend, aber ich muss mich auf die Reise konzentrieren und darf mich nicht ablenken lassen“, hat er schon 2007 zur Veröffentlichung von „The Magic Position“ erklärt. Also machen wir uns auf die Reise. Wir starten im Süden Londons und begegnen auf unserem Weg all den Charakteren und Masken, mit denen Wolf in den vergangenen acht Jahren spielte.
2003 – Lycanthropy
„Das Coverfoto wurde lange Zeit vor Veröffentlichung des Albums aufgenommen. Damals war ich 16 oder 17. Da bot sich die Möglichkeit, für einen Fotografen Modell zu stehen und ich dachte:, Irgendwann werde ich eh ein Album machen, da können wir ja schon mal mit dem Artwork anfangen.‘ Und das Cover meiner ersten Platte sollte einen Aufbruch vom Ort meiner Kindheit darstellen. Ich stehe da auf der Electric Avenue im Süden Londons. Ganz in der Nähe bin ich aufgewachsen. In Wandsworth. Zu der Zeit war ich aber schon zu Hause ausgezogen und lebte in einem Hostel die Straße runter in Camberwell. Es gibt auf dem Album ein Stück mit dem Titel, Pigeon Song‘, das beschreibt, wie ich die Electric Avenue heruntergehe und in den Geschäften Lebensmittel klaue, weil ich kein Geld habe, mir etwas zu essen zu kaufen.
Die Leute haben in dem Bild ein viktorianisches Straßenkind gesehen, oder ein irgendwie gestyltes Modeimage, aber für mich sah das sehr modern aus. So bin ich jeden Tag rumgelaufen, und ich sehe immer noch nicht, was daran so ungewöhnlich sein soll. Zu der Zeit habe ich meine Klamotten oft auf alten Londoner Märkten gekauft, und so bin ich wohl unbewusst zu dieser Dickens-Figur geworden. Toll, dieses Foto zu haben, ein Dokument von mir als Teenager. Das ist quasi mein Äquivalent zu Britneys, … Baby One More Time‘-Cover.“
2005 – Wind In The Wires
„Das bin ich ein paar Jahre später. 21 oder 22 Jahre alt., Wind in The Wires‘ handelt von meiner Flucht aus London, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin und in der ich meine ganzen Teenagerjahre darauf verwendete, ein Album rauszubringen – nur um dann komplett ignoriert zu werden. Niemand in England hat über, Lycanthropy‘ berichtet. Durch das Tomlab-Label aus Köln wurde das Album dann in Europa und Amerika bekannt. Ich war vor allem viel in Deutschland unterwegs. In Großbritannien habe ich keine einzige Show gespielt. Da habe ich gedacht:, Scheißegal, dann werde ich das Land einfach so ein bisschen erkunden.‘ Ich packte meinen Rucksack und fuhr nach Cornwall. Dort traf ich jemanden, in den ich mich als Teenager verliebt hatte. Wir hatten eine verrückte leidenschaftliche Affäre und ich schrieb den Song, Penzance‘, der später eine B-Seite wurde. Das war die Initiation für, Wind In The Wires‘, das ich dann den Sommer über in der Gegend geschrieben und aufgenommen habe. Irgendwann möchte ich dorthin zurückkehren und dort als Komponist leben – ohne Fans, ohne Internet.“
2007 – The Magic Position
„Aufgepasst! Das ist mein Major-Label-Debüt! (lacht) Ich möchte nicht wissen, wie viel das Fotoshooting fürs Cover gekostet hat. Ich habe mit Gered Mankowitz gearbeitet, der eines meiner liebsten Albumcover fotografiert hat:, Lionheart‘ von Kate Bush. Er ist eine echte Legende und hatte ein paar Jahre nicht mehr gearbeitet. Irgendwer sagte, er sei mit ihm befreundet, und ich fragte, ob er einen Kontakt herstellen könnte. So trafen wir uns, und Gered fragte mich Sachen wie:, Was ist deine liebste Fantasie?‘, Was fasst die letzten zwei Jahre, an denen du an diesem Album gearbeitet hast, am besten zusammen?‘, Denk dir irgendwas aus, und wir setzen es um.‘ Die erste Idee, die ich hatte, war, Fantasie an verlassene, brachliegende Ort zu bringen – die Depression mit Freude zu verscheuchen. Also besorgten wir uns Ruderboote und fuhren durch Londons Kanäle.
Ich lebte zu der Zeit in der Partyhölle (lacht) – immer Ausgehen, Tanzen, Trinken. In den Jahren davor hatte ich mit meiner Freundin, der Künstlerin Ingrid Ze, in diesem Haus außerhalb Londons gelebt, wo es die ganze Zeit nur um Kunst gegangen war. Deshalb wollte ich für das Cover eine Art Jahrmarkt – das Karussell dreht sich wieder. Einige Leute haben ein Problem mit dem Bild, weil sie denken, es ginge da um irgendeine Schweinerei, aber es soll wirklich nur zeigen, dass ich in einer Art zweiter Adoleszenz gefangen bin. Das Cover zeigt quasi das Ende meiner Jugend., The Magic Position‘ ist daher eigentlich ein sehr trauriges, dunkles Album, auch wenn die meisten Leute das anders sehen. Viel dunkler jedenfalls als, Wind In The Wires‘. Das war ein sehr introspektives Album, an dessen Ende einige Antworten und Lösungen mein Leben betreffend standen. Aber, The Magic Position‘ war nur Party und Eskapismus. Der Aufprall in der Realität war daher umso härter.“
2009 – The Bachelor
„Nach meiner Trennung von Ingrid wurde ich zum Einsiedler. Ich zog in die oberste Etage einer Mietskaserne in Forest Hill, feuerte meinen Manager und sprach monatelang mit niemandem mehr., The Bachelor‘ handelt von der Zeit, in der ich mich von der Welt absonderte und nicht mehr in einer Beziehung leben wollte. Ich war nicht mehr in der Lage, meine Emotionen mit irgendwem zu teilen. Ich nahm diese seltsame Aggression mit auf Tour und versuchte, all meine Probleme im Alkohol zu ertränken. Ich war ohne ein Zuhause, der einzige Ort auf der Welt, an dem ich willkommen war, war die Bühne. Und was hinter der Bühne und unter meiner Haut passierte, das erzählt, The Bachelor‘. Die Idee für das Cover war: Stell dir vor, du gehst spät in der Nacht durch einen Wald, kommst an ein verwittertes Haus und denkst:, Wer mag darin wohnen?‘ Du bist ein bisschen verängstigt, aber du näherst dich dem Haus, um nachzusehen. Dann kommt diese schaurige Gestalt – eine Hexe oder ein Greis – heraus und schreit:, Fuck off! Komm mir nicht zu nahe!‘ Das ist die Botschaft des Covers. Und das zeigt sich auch in den Materialien der Outfits, die ich zu der Zeit trug – Leder, Holz und Metall. Wie ein mittelalterlicher Krieger.“
2011 – Lupercalia
„Der Krieger von, The Bachelor‘ hat seine Waffen niedergestreckt, seine Rüstung abgelegt. Er hat sich verliebt und ist aus der Deckung gekommen., Lupercalia‘ handelt davon, wie man sich öffnet, das Leben genießt und mit jemandem teilt. Die Liebe hat Einzug gehalten – und mit ihr viele teure Therapiestunden. (lacht) Ursprünglich wollte ich ein Album machen, das, The Conqueror‘ heißen sollte. Aber auch ein Eroberer ist ja ein Kämpfer. Aber ich glaube jetzt, man kann auch triumphieren, ohne zu kämpfen, wenn man Frieden mit der Welt und sich selbst geschlossen hat. Die Texte sind bekenntnishaft, sehr privat. Als wenn man zu jemandem spricht, der gerade neben einem einschläft. Ganz einfache, aber kraftvolle Worte. Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein – das wäre unehrlich und eine Beleidigung eines so komplexen Gefühls wie der Liebe. Es gibt traurige Momente, sogar eine Trennung. Ich finde, es gibt viele Parallelen zwischen dem neuen Album und, Wind In The Wires‘. Das handelte von einer Liebesaffäre mit der Einsamkeit und dem Wind. Und es war ein Album, das an einem bestimmten, klar umgrenzten Ort spielte. Und nach den verstreuten Sounderkundungen von, The Bachelor‘ sollte das nächste Album auch so eine Art kleines, geschlossenes Universum sein. Ein bestimmter Ort zu einer bestimmten Zeit., Lupercalia‘ spielt in London. Ich habe mich gefragt, wie man das Zentrum der Stadt musikalisch beschreiben könnte – daher gibt es auch viele arabische Elemente auf der Platte. Wenn man sich in London in ein Taxi setzt, wird man viel armenische und islamische Musik hören.“
Patrick Wolf ist mit seinem Freund William Charles Pollock, den er im Sommer heiraten wird, wieder in den Süden Londons gezogen. Unweit der Electric Avenue. „Es war ein verrückter Trip, und ich bin tatsächlich wieder dort angekommen, wo ich einst aufbrach“, sagt er. „Aber natürlich bin ich ein anderer als damals.“ Die Reise wird hier nicht zu Ende sein. Spätestens im Herbst wird Patrick Wolf auf große Tour gehen – wir sind gespannt, wen wir bei den Konzerten in Deutschland antreffen.