Party-Knaller aus der Garage
April 1963
Im April 1963 legten fünf schlaksige Teenager aus Portland, Oregon 50 Dollar auf den Tisch, um im Northwest Recorders einen Song aufzunehmen. Keiner von ihnen war schon mal in einem Studio gewesen, und weil sie ihren Live-Sound so naturgetreu wie möglich rüberbringen wollten, standen sie in einem Kreis um das Hängemikrofon, mit Sänger Jack Ely in der Mitte. Die Zeit reichte nur für eine Aufnahme von „Louie Louie“, das die Leute immer zur Tanzfläche strömen ließ, und bei der lag Schlagzeuger Lynn Easton manchmal ebenso daneben wie Ely mit seinem Text. „Saubere Aussprache kannst du knicken, wenn du den Kopf ganz nach hinten gebeugt hast und versuchst, gleichzeitig laut zu singen und Gitarre zu spielen“, erklärt er.
„Louie Louie“ wurde ein Meilenstein des Rock’n’Roll: Vorbild für „You Really Got Me“ von den Kinks und „Gloria“ von Van Morrison und Them sowie Inspirationsquelle für Hunderte von Garagenbands, die noch rauer und ungeschulter waren als die Kingsmen. „Es klang, als wären sie bei der Aufnahme betrunken gewesen, und deshalb ist es Pflicht für alle, die einen sitzen haben“, meint der Regisseur John Landis, der in seiner legendären Fernseh-Comedy-Serie „National Lampoon“ den drogensüchtigen und notorisch chaotischen Schauspieler John Belushi den Song singen ließ. „Es ist der ultimative Party-Knaller.“ Es ist auch der ultimative Cover-Song: Otis Redding, Tina Turner, Bruce Springsteen, Black Flag, sogar Barry White – und ein paar hundert andere Künstler nahmen es in ihr Repertoire auf.
Eigentlich stammt „Louie Louie“ aus der Feder von Richard Berry, der es 1956 mit seinen Pharaohs das erste Mal zu Gehör brachte. Ein paar Monate später wurde es ein bescheidener Radio-Hit an der Westküste und von lokalen Tanzkapellen nachgespielt. Die Version, die die Kingsmen 1961 hörten, kam von den Wailers, einer Band aus Seattle. Im Dezember 1963 erreichte die erste Platte der Kingsmen den zweiten Platz in den amerikanischen „Billboard“-Charts.
Viele meinten, in dem vernuschelten Text sexuelle Anspielungen zu erkennen: „I smell the rose, ah, in her hair“ wurde von manchen DJs und Hörern als „I feit my boner in her hair“ interpretiert, was den Song bei vielen Sendern auf der schwarzen Liste landen ließ. Im Januar 1964 brandmarkte Indianas Gouverneur Matthew Welsh den Song als „pornografisch“; einen Monat später leitete das FBI sogar Ermittlungen ein, die zwei Jahre später allerdings ergebnislos eingestellt wurden. Die angeblichen Zweideutigkeiten beflügelte den Ruhm des Stücks, das von jungen Bands umso lieber nachgespielt wurde und sich über Jahrzehnte den Ruf einer exquisiten Schweinerei erhalten hat. Der Text wurde je nach Gusto variiert und verballhornt. „Ich würde gern behaupten, dass der Erfolg das Ergebnis meisterhafter Vermarktung, Planung und künstlerischer Sorgfalt war“, meint Easton. ,Aber eigentlich hatten wir nur Riesendusel. Irgendwie standen die Sterne gerade richtig.“
Im Zentrum des ganzen angerichteten Irrsinns-Bombastes stand die erst 17-jährige Sängerin (und spätere Mrs. Spector) Ronnie Bennett, die so schüchtern war, dass sie grundsätzlich nur in der Garderobe übte. Sie brauchte drei Tage für den Gesang, danach laborierte Spector noch drei Monate an dem Song herum, bis er endlich zufrieden war. „Ich war ständig im Studio, änderte etwas, änderte es dann wieder, um es noch besser hinzukriegen. Ich musste das Stück hunderte Male hören, und jeder Overdub war kritisch. Nach Hause ging ich, wenn die anderen Schlaf brauchten. Ich konnte sowieso nicht schlafen.“