Parole Brandi: Verschollen in Neukölln
Unsere Kolumnistin hauste 13 Jahre in Berlin unter nicht repräsentativen Umständen. Das muss sich nach dem Umzug ändern
Gestern Abend hatte ich Lust auf einen „alten“ Film und habe „Cast Away – Verschollen“ mit Tom Hanks angeschaut. Und ich weiß nicht, ob einfach gerade ein bisschen spinne, aber ich dachte nur: da geht‘s um mich, das bin ich!
Kurze Inhaltsangabe:
Tom Hanks hatte eigentlich andere Sachen vorgehabt und stürzt einfach aus Pech unterwegs zu einer dieser Sachen mit dem Flugzeug mitten überm Pazifik ab. Er kann sich auf eine Insel retten und richtet sich dort notdürftig ein. Er hat keine Schuhe, kein Messer, nichts, bis ihm nach und nach die FedEx Pakete aus der Flugzeugladung an Land gespült werden, wo so einiges drin ist, was er zum Überleben brauchen kann.
Anfangs spürt mensch deutlich, dass er es noch nicht so richtig drauf hat mit dem Überleben, und außerdem trinkt er in der ersten halben Stunde des Films für meinen Geschmack entschieden zu wenig Wasser.
Aber nach und nach fertigt er Dinge an, die ihm helfen, auf der Insel zu überleben, und er macht sogar Feuer, was ja bekanntermaßen survivaltechnisch und auch kulturell eine große Sache ist.
Nach vier Jahren wird ihm eine alte Dixie-Klotür an die Insel gespült, aus der er sich ein Floß mit Segel bauen und von der Insel fliehen kann. Mitten auf dem Ozean, fast tot vor Erschöpfung, fährt ein riesiger Tanker an ihm vorbei und sammelt ihn dann ein, und sein Leben geht ab da „normal“ weiter, wenn auch für immer verändert und so, ihr wisst schon.
Höhlenmensch mit Sehschwäche
In vier Tagen (nicht vier Jahren) ziehe ich für immer aus Berlin-Neukölln weg. Ich bin vor knapp dreizehn Jahren hier in dieser Wohnung gestrandet, in der ich gerade noch sitze und diese Kolumne schreibe, und habe ohne rechten Sinn und Verstand in ihr gehaust. Niemals habe ich auch nur sowas wie ein Regal hier angebracht oder es geschafft, dass die Wände weiß geblieben sind, selbst nachdem ich sie ein, zweimal gestrichen hatte.
Das, was alle zivilisierten Menschen wenigstens rudimentär gelernt haben, ist an dieser Wohnung schlicht vorübergezogen und hat sie nie berührt. Hier hauste ich wohl eher wie ein Höhlenmensch, stellte teils geerbte, teils gefundene Möbelstücke hinein, arrangierte Körbe, Eimer und Bretter irgendwie so, dass Dinge darauf Platz fanden und konstruierte einen Toilettenpapierhalter aus einem Essstäbchen und etwas Garn.
Während meine Freund:innen große Stücke darauf hielten, ihre Behausungen zu verschönern und sie gewissermaßen „repräsentativ“ zu halten, für den Fall, dass es galt, irgendwelche unsympathischen Menschen zu beeindrucken, sah es bei mir grundsätzlich eher aus wie zu Hause bei einem männlichen Studenten mit Sehschwäche.
Wie Tom Hanks habe auch ich es zu einem leidlichen Lebensstandard in dieser Wohnung gebracht, aber demnächst geht es dann endgültig auf mein Floß und dann steuere ich neuen Ufern und eventuell sogar sowas wie einer durchdachten Innendekoration entgegen…
Ich kann es kaum erwarten.