Parole Brandi: Stress-Schweiß bis in den Hosenbund
Unsere Kolumnistin ist öfter in der Theaterwelt unterwegs. Verstanden hat sie die bis heute nicht
Theater. Es ist kein Zufall, dass dieses Wort im Deutschen gleich mehrere Bedeutungen hat.
Es gibt ja vieles, was ich nicht verstehe, okay, okay, ich gebe es zu. Aber von all diesen Dingen, von denen ich keinen Schimmer habe, ist die Arbeit am Theater immer wieder mit die erstaunlichste Herausforderung. In all den Produktionen, die ich bis jetzt musikalisch bestücken durfte, habe ich herumgerätselt, welchen Regeln der Prozess, ein Stück zu inszenieren, letztendlich folgt. Worum geht es dabei?
Eins kann ich mit Sicherheit sagen: In 90 Prozent der Fälle geht es jedenfalls nicht darum, ein gelungenes Stück zu inszenieren und eventuell noch zufällig die Leute damit zu unterhalten. Meist geht es um irgendwas anderes. Oft scheinen mir Dinge im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, die etwas bemerkenswert Seltsames mit meinem Zeitempfinden anstellen. Meine innere Ungeduld wurde selten so auf die Probe gestellt (haha) wie bei der Arbeit am Theater.
(Zerreiss-)Probe
Es gibt da Momente, in denen ich förmlich dabei zusehen kann, wie kostbare Minuten der Probe verrinnen, während zum Beispiel eine Schauspielerin der Regieassistentin ausholende Komplimente zu ihrer Jacke macht, fragt, woher sie diese habe, die ganze Zeit über mit diesen großen, wachen Schauspielerinnen-Augen sowas von zuhört und nickt, geduldig abwartet, bis die junge Frau fertig erzählt hat, von welchem Wochenendmarkt in Oldenburg sie dieses grässliche Strickzeug her hat, nur um im Anschluss an diese empörend langweilige Nicht-Geschichte eine eigene aus dem Ärmel zu ziehen, die zwar keinerlei inhaltlichen Gehalt oder auch nur Bezug zur Jacken-Geschichte aufweist, dafür aber mit wesentlich größerem Unterhaltungsfaktor vorgetragen wird, mit keck eingeknickter Hüfte, spitzbübischem Lächeln und mehrmaligem, liebevollen über-die-Jacke-der-Frau-Streicheln.
Während ich oben bei den Coolen sitze (damit meine ich alle Theatermitarbeiter:innen, die mit Pulten zu tun haben), meinen Laptop aufklappe und unser Projekt öffne, beobachte ich die Szene aus dem Augenwinkel und mir bricht bei sowas immer körperlich der Schweiß aus, I can’t help it. Während die beiden Frauen ihren Bonding-Moment haben, quatscht die Regie idealerweise noch mit der Dramaturgin über irgendein Kochrezept.
Die Hungerkünstlerin
Wenn die Zeit genug gedehnt und mir der Stressschweiß bis in den Hosenbund gelaufen ist, beginnt endlich die Probe, und dann geht es auf einmal um alles. Oder eben – nicht, und ich bin betrübt sagen zu müssen, ich kann bis heute den Unterschied nicht richtig erkennen.
Jedenfalls scheint mir diese Kombination aus geplauderten Nichtigkeiten, die anscheinend (ich gefühlskalter Mensch) das Miteinander stärken sollen, gepaart mit einem inhaltlichen, handwerklichen Anspruch, der sich nach dem Gutdünken einer unsichtbaren, leider abwesenden, dafür aber gottgleichen Instanz zu richten scheint, ein Wirrwarr zu erzeugen, das wirklich seines Gleichen sucht.
Ich habe herumgerätselt, wovon die ganze Sache abhängt, auf wessen Füßen sie steht und an was für Schnüren das Theatermachen aufgehängt ist und ich bin darauf gekommen, dass alles ab dem Moment beginnt zu schlingern, in dem die Regie begonnen hat, zu schlingern.
Einmal durfte ich Musik machen für ein Stück und hatte es mit einer Regisseurin zu tun, die partout keine Kohlehydrate essen wollte. Wie ein kleiner Suppenkasper presste sie die Lippen zusammen, wenn ich ihr auch nur soviel wie eine Brötchenhälfte hinhielt, weil sie mir ganz schön lila und ein bisschen kalt vorkam. Sie arbeitete sozusagen in einem fortgeschrittenen Hungerstadium und ich bekam direkt ein flaues Gefühl im Magen, wenn ich an die Endproben dachte.
Stresskörper
Für alle, die nicht wissen, was Endproben sind: Das ist die eine Woche vor der Premiere, in der ein ganzes Ensemble inklusive Regie- und Ausstattungsteam (also je nach Stück eine Gruppe von so ca. fünf bis fünfzig Leuten) auf die ganz genau selbe Art und Weise durchdreht, wie eine Einzelperson vor einer sehr, sehr, sehr wichtigen Abgabe.
Die arbeitende Gruppe wird dann zu einem summenden, brummenden Stress-Korpus, einem Leviathan Hysteria sozusagen und dann beginnt ein lustiger Reigen aus unvorhergesehenen, meist unangenehmen Dingen, die eine Kostümbildnerin mal als „Stellvertreter-Kämpfe“ bezeichnet hat.
Bei all der im Raum schwebenden Unsicherheit, ob und was genau da eigentlich gerade gearbeitet wurde, brechen nochmal ein paar der tragenden Balken aus Vertrauen in Form eines Schauspielers, der immer nett und höflich war und nun, da er auf der Bühne ein Lied singen soll, auf einmal auf dem Flur im Vorbeigehen ausfallend und gemein wird. Oder in Form einer Ankleidedame, die ständig die Schauspielerin, die die Hauptrolle spielt, so anzieht, dass diese sich an allen möglichen Pinnen, Knöpfen, Nadeln oder Korsett-Stangen beim Spielen selbst verletzt.
Im Falle der Low-carb-Regisseurin kam in mir die Sorge auf, dass sie auf diesem körperlich schwächlichen Stand wohl kaum in der Lage wäre, uns sicher und gefasst durch die Untiefen der Endproben zu manövrieren. Ich geb’ es offen zu, ich hatte da Vorurteile.
Aus Chaos entsteht Ordnung
Doch das Theater folgt nun einmal nicht den Regeln der normalen Welt da draußen. Nichts ergibt einen sichtbaren Sinn. Doch dann am Ende, wie durch ein Wunder, stand ganz plötzlich bei der Generalprobe das komplette Stück auf der Bühne. Ich kenn mich ja nicht aus, aber es sah super aus, ich konnte der „Handlung“ beinahe folgen und mithilfe meiner Musik und einem starken Lichtkonzept war auch endlich klar, was welche Szene emotional zu bedeuten hatte.
Vielleicht war die Inszenierung kein Meisterwerk, vielleicht auch doch, ich wage nicht, das zu beurteilen. Was ich allerdings aus eigener, ex-essgestörter Vergangenheit sagen muss, ist, dass ich jedenfalls bei so einer Ernährung und all dem Gerede über Jacken und Kochrezepte nichts von dem, was ich bei der Premiere als regelrechtes Theater-Wunder empfand, zustande gekriegt hätte.
Chapeau.