Parole Brandi: Ist meine Taylor-Swift-Allergie anerzogen?
Letztes Jahr brachte eine negative Konzertkritik unserer Kolumnistin viel Ärger. Ein Klärungsversuch

Schon seit langem frage ich mich, welche Rolle der eigene Musikgeschmack im Leben eines Menschen spielt. Woher kommen bestimmte Vorlieben? Hat es eine tiefere Bedeutung warum mensch hört, was mensch hört? Warum mögen wir, was wir mögen?
Ohne allzu direkte Bezugnahme auf eine Konzert-Review, die ich letztes Jahr erstellen durfte, nämlich über eine gewisse Taylor Swift, möchte ich mich hier einmal damit beschäftigen, warum diese sicher gaaaanz tolle Musikerin, wie viele ihrer KollegInnen, mich so dermaßen kalt lässt. Habe immer noch das latente Bedürfnis mich zu rechtfertigen nach dem Batzen Hass, den ich dafür kassiert habe, dass die Swift halt „einfach nicht mein Ding“ ist.
Ich will beweisen, dass ich nichts für meine Meinung kann und habe mich dafür in einen kleinen Recherche-Tunnel begeben.
Und wie ich erfreut feststellen konnte: Über Geschmack lässt sich zwar bekanntlich nicht streiten – aber forschen.
Sun Ra fällt aus
Es gibt Hinweise darauf, dass sich der musikalische Geschmack bereits in der Kindheit formt und dort, zusammen mit dem eigenen Bindungsverhalten und etlichen weiteren Mustern, unwiderruflich verfestigt wird wie ein Stück Ton, das man aus einem Ofen holt.
Ausgerechnet Deezer hat dazu eine Studie gemacht und festgestellt, dass sich der musikalische Geschmack eigentlich gebildet hat, wenn wir so um die zehn Jahre alt sind. Außerdem (aber das könnt ihr gerne selbst hier nachlesen), geht es in dieser Studie darum, dass Eltern natürlich den Kindern ihre Musik aufs Auge drücken wollen, und wenn ihr mich fragt, das mit dem „musikalische Vielfalt ist mir voll wichtig für meine Kinder“, das ist doch glatt gelogen.
Ich kenne zu viele Eltern, die gestresst vom Alltag nicht die Kapazität haben, zu Hause am Wochenende noch eine Runde Sun Ra aufzulegen, nachdem den Kindern bei Bach allmählich langweilig geworden ist. Was ich erlebe, sind Eltern, die (bestimmt zu Recht) zu Hause anmachen, was ihnen gefällt und durch das Strahlen in ihren eigenen Gesichtern den Kindern die Information zukommen lassen: Wenn du das hier magst, gehören wir zwei auch in dieser Sache fest zusammen. Also mögen die Kinder dann halt „Adele“, was soll’s, gibt Schlimmeres.
Bulgarische Frauenchöre oder Michael Jackson?
Ich hatte es in dieser Hinsicht zu Hause nicht leicht. Moment, ich muss das anders formulieren: Ich hatte natürlich einen Heidenspaß, mich über die bei uns laufende Musik auszutoben und mit meinen Eltern zu bonden. Wir hatten zum Beispiel so einen Drehsessel, auf dem ich meine kleine Schwester zur Musik von der Band meiner Mutter so lange gedreht habe, bis sie anschließend wie eine Betrunkene vor den Türrahmen lief. Fun times!
Nur – dieser Kosmos war halt vor allem das, ein eigener Kosmos.
Da draußen, bei den anderen Kindern zu Hause, wurde kein politischer Folk-Rock gehört, kein Irish Folk, keine bulgarischen Frauenchöre, keine schnatternden Finninnen und nicht das Penguin Café Orchestra.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich bei Freunden der Familie zu Besuch war und da Michael Jackson lief. Die Musik mochte ich, aber für mich repräsentierte sie viel mehr als ihre harmonischen Verbindungen und die guten Beats. Ich fühlte mich irgendwie mit Gewalt in eine Welt aus Plastik gezwungen, hinein verführt durch so krass eingängige Melodien und einen so aggressiven Vortrag, dass ich wie hypnotisiert war und das mit der Hypnose, naja, mochte ich nicht so, schon damals nicht.
Freak Folk/Folk-Freak
Als ich viele Jahre später auf einer Couch in einem Behandlungszimmer saß und meine Psychologin mich fragte, ob ich in der Schule gemobbt worden sei, bejahte ich das traurig, und sie fragte mich einfühlsam, was ich denn so für „Merkmale“ gehabt hätte, die mich zur Zielschreibe gemacht hatten, etwa eine Zahnspange, viel Körpergewicht, einen Hautausschlag? Nein, ich hatte bloß manchmal so eine Weste aus Schaffell an, und ich habe Irish Folk gehört, sonst war ich eigentlich ganz normal… aber da zog die Therapeutin bereits ihre Brauen hoch und meinte, schon gut, ich seh schon, Sie waren ein Freak.
Der Polit-Rock und diese ganze „Weltmusik“, wie das damals noch genannt wurde, hat allerdings nicht dazu geführt, dass ich wenig später nicht die Spice Girls mochte, was eine andere Kolumne werden wird. Die Spice Girls haben mich nämlich gleich auf mehreren Ebenen gerettet, weil sie irgendwo in meinem Hirn meine musikalische Präferenz grob genug trafen und mich auf diese Weise mit den Gleichaltrigen zusammengebracht haben.
Der Taylor-Swift-Effekt
Kann das eventuell auch der Taylor Swift-Effekt sein, bin ich hier ganz nebenbei etwa darüber gestolpert? Fungiert Taylor als harmonische Zusammenbringerin, im ganz wörtlichen, musikalischen Sinne? Einigen sich die Leute auf ihren Konzerten auf diese schlichten Harmonien und alle werden eins? Da kann ich mit meiner verkorksten frühkindlichen Programmierung nur vor Neid erblassen.
Es gibt übrigens auch eine Studie, die herausgefunden haben will, welches Bindungsverhalten mensch an den Tag legt, je nachdem, was für Musik der Mensch mag. Also das Muster ist klar, hörst du Beyoncés „Irreplacable“ oder TLCs „Scrubs“ bist du der „vermeidende Typ“, hörst du wiederum Ed Sheeran „Thinking Out Loud“, legst du ein eher sicheres Bindungsverhalten an den Tag.
Eine Person, die vorwiegend Geigengeschrubbe auf Polnisch, Brian Eno oder Steve Reich zum Runterkommen hört, für die sind Beziehungen ganz generell wahrscheinlich ein Buch mit sieben Siegeln.
Der Machtschock
Tut euch selber einen Gefallen und erinnert euch an eure frühkindlichen musikalischen Erlebnisse, und dann bringt das mal ganz mutig in Zusammenhang mit dem Rest eures Lebens und damit, wo ihr heute rausgekommen seid. Ich habe das Gefühl, da ist was.
Abschließend sei gesagt, Eltern haben doch auf ganzer Linie zu viel Macht. Wenn alle Eltern wüssten, dass ihre Kinder im Grunde nur wie kleine Marionetten an ihren Lippen und Autoradios hängen, würden sie sich wahrscheinlich nochmal rückwirkend kräftig über alles erschrecken.
Hier wie überall gilt also: Augen auf bei der Musikwahl – it’s for life.