Parole Brandi: Die Fährmänner zu den Inseln des guten Geschmacks

Eine phänomenologische Eloge auf Plattenverkäufer und Antiquare dieser nicht immer schönen Welt

Egal wo du dich befindest, in welchem shithole du aus Versehen gelandet bist, es finden sich dort immer: mindestens ein Proberaum und mindestens ein Plattenladen. Über Proberäume schreibe ich ein anderes Mal, jetzt geht‘s mir um die Plattenläden.

Es folgt eine kleine Gegenüberstellung.

Wer sich an die britisch-irische Serie „Black Books“ aus den Neunziger Jahren erinnert, erinnert sich auch an diesen gewissen Menschenschlag, den der Ire Dylan Moran genialerweise dort verkörpert (Anschautipp: „Black Books“ auf YouTube), nämlich den Verkäufer gebrauchter Bücher (im Kreuzworträtsel löse: „Antiquar“).

Als Moran mal gefragt wurde, wie er darauf kam, diesen kaputten, absolut unfähigen Geschäftsmann zu spielen, antwortete er, er fände diese Schrate einfach so funny in ihrer Anti-Haltung allem und jedem gegenüber. Der Mensch betrete, ob in London oder Dublin, ein Antiquariat für Bücher und da säßen dann diese Typen, auf deren Rücken bereits das Moos wächst, mit stumpfer, grauer Haut, Qualm quillt ihnen aus dem Schlund und sie gucken so grantig aus der Wäsche, dass es einem das mühsam antrainierte Kund:innen-Grinsen von der Backe fegt.

Der staubige Frieden

Und ich kann bestätigen: Diese Menschen wollen anderen im Grunde gar nichts verkaufen, mit keiner Pore strahlen sie aus, dass sie das wollen. Sie wollen dasitzen und lesen und ehrlich gesagt am besten gar nichts mit der anstrengenden Welt da draußen zu tun haben, aber eben das mit der Miete.

Sie verkörpern das genaue Gegenteil der spätkapitalistischen TikTokisierung von allem und jedem: Wenn du bei ihnen etwas kaufst, kaufst du entgegen aller Widerstände.

Es ist für sie eine schiere Strafe, mit uns sprechen zu müssen. Wer ihre heiligen Hallen betritt, ist einfach nur eine Zumutung, stört nur den stillen, staubigen Frieden inmitten ihrer Schätze. In letzter Konsequenz sind sie das, was dabei herauskommt, wenn ein Bücherwurm nicht ab und an mal zum Lüften aus dem Haus gejagt wird, solange er noch in seiner Entwicklung steckt.

(Übrigens habe ich diesen Text zuerst gegendert, aber dann fiel mir keine Frau ein, die ich jemals auf diese Weise habe alte Bücher verkaufen sehen. Frauen scheinen das irgendwie nicht so wahnsinnig oft zu machen. Wahrscheinlich deshalb, weil‘s einfach ein Kackleben ist, lol)

Der beste Plattenladen der Stadt

Ganz ähnlich, aber doch in ein paar entscheidenden Punkten etwas anders, verhält es sich mit Plattenverkäufern.

In Dortmund ging ich eines schönen Regentags durch die Straßen und war in Gedanken. Da stand ich plötzlich, ohne zu wissen, wie meine Füße mich dorthin getragen hatten, im, ich muss es sagen, wie es ist: wahrscheinlich besten Plattenladen der Stadt.

Dortmund scheint übrigens generell eine größere Serendipität als andere Städte zu besitzen. Das sagte mal einer guten Freundin ein netter Professor aus Wien, der seit dreißig Jahren in Dortmund lebt, weil er findet, nur hier könne ihn das Leben „noch wahrhaftig überraschen“.

An diesen Professor musste ich jedenfalls denken.

War ich eben noch umgeben gewesen von tristen Handyshops, Supermärkten und Trinkhallen, stand ich hier plötzlich inmitten von Weinkisten voll mit erlesenen Vinyl-Must-Haves. Dead Kennedys, The Roches, Young Marble Giants, The Slits, alte Barbra Streisand Platten, sogar eine Kiste mit brasilianischer Musik, unter anderem mit diesem einen großartigen Album von Arthur Verocai. Ich fand sogar einen echt merkwürdigen Sampler, auf dessen Cover stand, dass hier Leute wie Tom Waits, Marianne Faithful, Sting oder John Zorn Stücke von Kurt Weill interpretieren.

Piraten der Vinylmeere

Als ich mit dem Verkäufer ins Gespräch kam, war dieser nicht mit Moos bewachsen, obgleich ebenfalls vom Rauch unzähliger Zigaretten grauhäutig, dabei aber piratenhafter, zäher, etwas, naja, halt cooler als so ein Typ, der Bücher vertickt.

Wir sprachen über die Platten, die ich nach und nach mit leuchtenden Augen aus seinen Kisten zog, und mit nichts gewinnt mensch das Vertrauen eines Plattenhändlers schneller, als mit einem aufrichtigen Interesse für die Young Marble Giants oder diesen Arthur Verocai. Wir diskutierten lebhaft, wie Leute das machen, die sich gegenseitig beeindrucken wollen, ohne sich zu kennen, und am Ende wollte der Typ mir durchaus gerne seine Ware verkaufen.

So wie Literatur und Popmusik sich als Szenen gegenüberstehen, so stehen sich wohl auch ihre jeweiligen recycelnden Endstationen gegenüber: Die einen sind ein bisschen schlauer, dafür nicht so cool, die anderen schüchtern einen ein, haben dafür in letzter Konsequenz aber weniger Fantasie. Snobs sind sie alle.

Bastionen gegen die Wegwerfkultur

Und noch etwas wirklich Tolles haben Buch-Antiquariate und Plattenläden gemeinsam: Es sind Bastionen gegen die Wegwerfkultur, sie allein haben sich wie Asseln im Asphalt der Städte eingenistet und sind einfach in ihren Ritzen geblieben. Aus Jahren wurden Jahrzehnte, in denen sie den nachfolgenden Generationen verlässlich noch die eine Sensation bieten, eine Sensation nämlich, die außerhalb ihrer abblätternden Wände ausgestorben zu sein scheint.

Es handelt sich dabei um den psychotischen Prozess, zunächst zu denken, ein gar wertvoller Schatz sei auf wundersame Weise zu einem gekommen, die Sterne haben sich aligned, die Winde gedreht, das Schicksal konnte einem diesen Fund allein in diesem magischen Augenblick der eigenen Biografie vor die Füße spülen – nur um wenige Tage später aus diesem Fiebertraum zu erwachen und entsetzt zu begreifen, dass de facto jetzt knapp sechzig Euro für den alten Ramsch fremder, toter Leute weg sind.

Ich behaupte, diese spezielle Art Fehlkauf-Experience machst du nicht im Internet. Und dennoch will ich sie nicht missen, diese altmodischen Inseln des guten Geschmacks in allen Städten und shitholes dieser Welt, diese verlässlichen Trutzburgen der Handverlesenheit und deswegen rufe ich laut:

„Ihr braven, grauhäutigen Gebrauchtwarenhändler da draußen, haltet durch auf euren wackligen Stühlchen! Der ganze Ramsch! Er will zu mir!“

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