Parole Brandi: Die toxischen Neunziger und das Schlimmste von heute
Zwischen den Männern in „Friends“ und den gegenwärtigen liegen viele Jahre, aber wenig Entwicklung
Hiermit folge ich nun der Aufforderung meiner Freundin Tossia Corman, über die Serie „Friends“ zu schreiben. Ich weiß, das haben schon viele vor mir getan. Bin mir allerdings nicht sicher, wie viele von denen die recht scharfe Analyse vorweggestellt haben, dass „in der Serie ,Friends‘ reiche Leute ein Paralleluniversum spielen, in dem sie eher arm sind“ (Tossia Corman).
Nämlich völlig unrealistisch lebende Individuen, die ihre Tage fast ausschließlich an zwei Orten des Müßiggangs verbringen: Zuhause in zwei beeindruckend abstoßenden Wohngemeinschaften oder in einem Kaffeehaus, wo ihnen stets dieselben drei Sitzmöbel zur Verfügung stehen, was sicher gut ist für die einmal direkt davor eingerichtete Kamera.
Wie sagte schon der große Andrej Tarkowski? „Lesen hundert Menschen ein Buch, sind es hundert verschiedene Bücher“.
Ross ist überall
Ach, wenn das doch so einfach auch mit Serien wäre! Bücher haben ja den Intensitätsvorteil (und Nachteil!), dass die dazu gehörigen Bilder und Geräusche im eigenen Kopf produziert werden müssen. Dadurch ist gewährleistet, dass irgendwas an den Gegenden, in die sich die Protagonist:innen dadurch verpflanzen, individuell ist. Wenn ich zum Beispiel Siri Hustvedt lese, siedle ich des Öfteren die von ihr beschriebenen Familien im Haus meiner Kindheit an. Und so weiter. Ihr kennt das.
Nicht so bei „Friends“. Es ist eine Serie. Dort siedelt die Serie alles an. Die Atmosphäre ergibt sich aus den Dingen, die die Ausstattung auswählt. Und die Figuren wurden von einer Reihe Autoren erdacht und durch die Darstellung der Schauspieler:innen festgezurrt.
Es ist nur so. Ich kenne Ross. Ich war mal mit dem zusammen. Also nicht mit Ross, aber mit einem Typen wie Ross. Und ich kann berichten, die besitzergreifenden Umarmungen eines Nerds sind powerful. Hier schafft es mein Gehirn also doch, eine persönliche Erfahrung mit der hermetischen Präsentation zu vermengen.
Dieser Typ, ne. Oh Gott.
Schwimmer ist kein Nichtschwimmer
Aber wir dürfen auch alle nicht vergessen, dass David Schwimmer durch „Friends“ kurzzeitig ein richtiger Shootingstar wurde. Und das lag nicht nur an seinem guten Aussehen, das lag ganz sicher an diesem unbeschreiblich komischen Talent, was dieser Typ in der Serie zeigt. Es ist Screwball-Level. Es ist „Bringing Up Baby“-, „The Thin Man“- oder „Some Like It Hot“-Level. Wirklich, wirklich gute Schauspielerei und natürlich exzellentes Writing!
Durch diese darstellerische Überzeichnung drückt Schwimmer mir beim Angucken noch viel tiefer ins Mark, dass es den Rest von dieser Figur halt tatsächlich gibt und zwar praktisch überall. Die Figur des Ross Gellar hat etwas von einem verdeckten Tyrannen. Er tut immer so schüchtern, dabei muss alles nach seiner Nase gehen, in seinen Beziehungen ist er unglaublich dominant.
Anfangs in der Serie erfährt er, dass die Mutter seines ungeborenen Sohnes, oh Schreck, oh Graus, eine Lesbe geworden ist und ihn verlässt. Über die konstante, harsche Homophobie dieser Serie lasse ich mich evtl. ein andermal aus, nur soviel sei gesagt: Nichts scheint den Macher:innen demütigender zu sein, als von einer gleichgeschlechtlichen Liebe übertrumpft zu werden, denn sie installieren in Ross damit ein Trauma, das dann für alles herhält, was er an besitzergreifendem, erstickenden Beziehungsverhalten Rachel gegenüber an den Tag legt.
Ich merke, dass sich diese Kolumne hier sehr schnell zu einem langen Essay auswächst, wenn ich jetzt nicht aufpasse. Ich kann ja schlecht den gesamten Plot jetzt zur Anschauung nacherzählen …
Nostalgie und Geisterbahn
Um wieder auf dich zurückzukommen, liebste Tossia!
Findest du nicht auch, nostalgische Serien haben heute ein bisschen was von einer Geisterbahn? Es gruselt einen schon, welche Ismen ganz natürlich damals die Leitplanken der Geschehnisse waren. Noch viel mehr „Aua“ als die Figur des Ross Gellar ist natürlich, na?
Chandler, genau.
Dass eine gesamte Figur und deren angebliches menschliches Ungenügen an der Tatsache aufgehängt wird, dass sein Vater eine Dragqueen und seine Mutter eine Sexbuchautorin ist, scheint mir aus heutiger Sicht geradezu grotesk. Immerhin wird anerkannt, dass Chandler wahrscheinlich deswegen öfter mal für schwul gehalten wird, weil er so schlagfertig, so witzig und so smart ist. Was ja am Ende eine positive Spielart von Diskriminierung ist, aber immerhin.
Ich bekomme schon bei all der kaffeewarmen, lockenflockig untergeschobenen Toxicity der Serie hier und da richtige Aggressionen, muss ich sagen.
Und wo wird frau die am besten los?
Genau: beim Kampfsport.
Kampfsport mit Rappern
Liebste Tossia.
Wieder zurück im Heute, hatte ich letztens eine Begegnung mit einem Rapper, wer das war, tut nichts zur Sache.
Dieser Rapper hielt mir einen flammenden Monolog zum Thema „Männlichkeit“. Und dass er Frauen, die Kampfsport machen halt „süß“ fänd. Ob wir denn wissen würden, dass Männer die ersten Opfer von männlicher Gewalt wären, und ob wir des Weiteren wissen würden, dass wir noch so viel „Jabs“ und „Crosses“ üben könnten, Männer würden uns am Ende halt einfach immer besiegen?
Ich so, jop, ist beides bekannt. Mache trotzdem Kampfsport.
Denn höre und staune: Eventuell geht es mir dabei ja um mehr als nur das Siegen oder Besiegtwerden…?
Nun zu meiner Frage.
Auch wenn dir Bruce Lee wahrscheinlich eher nicht dein Vorbild war, während du zu der schönen und schlauen Frau heranreiftest, die du jetzt ja bist: Was ist es, was nur der Kampfsport dir beibringen kann und was du sonst nirgendwo anders lernst? Und inwiefern ist das manchmal auch absurd, grotesk, gar komisch?
Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit.
Hochachtungsvoll,
Charlotte