Parole Brandi: Das Adrenalin vor dem Kerosin

Unsere Kolumnistin ist urlaubsreif und will ins Warme. Dummerweise hat ihre Flugangst etwas dagegen.

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Ich bin ein zartes Geschöpf im Körper einer Amazone, zumindest, was die moderne Welt angeht. Straßenverkehr beunruhigt mich latent. Handys rauben mir den Schlaf. Und nicht zuletzt leide ich unter einem Phänomen, welches, wie ich jetzt herausfand, knapp ein Drittel der Menschheit betrifft: Ich habe fürchterliche Flugangst.

Mein Leben ist mein Lieblingsleben. Meine Freundin Ilona meinte einmal, dass es eventuell erstrebenswert sei, ein Leben zu führen, um das einen andere beneiden. Ich finde das überhaupt nicht. Glaube nicht, dass mich sonderlich viele Menschen um „mein Leben“ beneiden. Das liegt an der genauen Passform, mit der genau mein Leben zu genau mir passt. Mensch sagt ja (schon wieder eine Statistik), dass um die 40 bei den meisten Leuten der Höhepunkt der Auftragslage erreicht sei, dass es da im Schnitt so gut läuft wie davor und danach nicht. Kann schon sein. Ich jedenfalls (im Juni werde ich zufällig 40) arbeite gerade vergleichsweise viel und – ich liebe es.

Theoretisch urlaubsreif

Allerdings ist der Mensch ja ein seltsames Wesen. Unser Verstand prescht dauernd irgendwohin vor (gerne in etwas wie „Arbeit“), und Körper und Seele hecheln bisweilen etwas ratlos hinterher. Kurzum: Wenn ich nicht bald Urlaub mache, dann fliege ich mir wahrscheinlich selber um die Ohren. Drum habe ich in einer handyschwangeren Nacht eine Unterkunft auf den Kanaren gebucht, und jetzt muss ich da auch hin.

Aber ich habe diese Flugangst.

Und zwar so sehr, dass ich heute Morgen in meinem Bett in Dortmund aufgewacht bin – mit Flugangst!

Katastrophenflug im Kopf

Im Dämmerlicht des suppigen Dortmunder Morgens stellte ich mir dann alles ganz konkret vor, wie ich am Flughafen in der Schlange stehe, wie auf dem Weg zum Schafott und alle Hände voll zu tun habe, meinen Nervenapparat in der Öffentlichkeit zu regulieren.

Wie ich unter lauter fremden, unsympathischen Menschen in diese reisebusgroße, nach Transitluft und billigem Parfüm riechende Kapsel zu steigen habe, meinen Platz einnehme und mich ab diesem Moment dem rasend schnellen Flugzeugstart ausliefere, vor dem man ja (wieder statistisch) am meisten Angst haben muss.

Wie das rumpelnde Flugzeug diese unerhörte Geschwindigkeit auf der Startbahn erreicht und dann der Moment kommt, in dem das Ding abhebt und sich, gleich einer neugierigen Nase, durch die deutsche Wolkendecke bohrt.

Und wie ich dann in einer ersten Welle der Erleichterung aus dem Fenster schaue und denke, och, ist doch gar nicht so schlimm gewesen, aber dann, nach ca. eineinhalb Stunden Flug die Turbulenzen hoch, hoch über Spanien beginnen und mein Körper Todesangstadrenalin ausschüttet, dass es eine helle Freude ist.

Die zweite Angst

Beim Schreiben dieser Kolumne befällt mich, wie wahrscheinlich viele meiner Leidensgenoss:innen auch, eine zweite Angst (merke: Angst zieht immer noch mehr Angst nach sich!), nämlich die, meiner Flugangst auf den Grund zu gehen und hier niederzuschreiben, wovor ich konkret Angst habe. Wenn ich jetzt aufschreibe, welche Stadien eines Fluges besonders schlimm sind, fühlt es sich an, als riefe ich die Turbulenzen, das grauenerregende Geschrei der anderen Fluggäste, den Kilometersturz durch ein Luftloch oder gar den tödlichen Absturz aufgrund eines Büschels aus Vögeln, die sich in die Turbine verirrt haben, aktiv herbei. Aber ihr wollt ja was zu lesen haben, bitte, diese Bilder waren mein psychologisches letztes Hemd für heute.

Und das alles komplett allein unter diesen fremden Idioten, die ich übrigens bemerkenswerterweise jetzt schon verurteile, ohne sie je gesehen zu haben.

Körper vs. Kopf

Mir fällt nur vor lauter Atemnot gerade keiner ein. Anstelle eines cleveren „How to Flugangst“ kommen mir nur noch Fetzen von irgendwelchen schlauen Sprüchen von Fremden oder Freund:innen in den Sinn.

Ich hab zum Beispiel mal irgendwo im Internet folgenden Satz gelesen: Fliegen ist unangenehm, aber nicht gefährlich. Das mochte ich eigentlich, weil ich es immer mag, wenn die Wahrheit ins Spiel kommt, um einen zu befreien: Du musst es nicht gleich mögen. Aber du brauchst es auch nicht zu fürchten.

Okay. Soweit, so gut.

Aber wie bringe ich das meinem Körper bei? Der schickt nämlich ziemlich stur, trotz kluger Sprüche, seine Angstchemie in meine Blutbahn und beginnt bereits zwei Wochen vorher im relativ sicheren westfälischen Bett mit dem Gezittere. Solange mein Verstand und mein Körper zwei verschiedene Parteien sind, kann ich mich nicht entspannen. Natürlich kommt dann die nächste Empfehlung: Drogen nehmen. Lass dir Beruhigungsmittel verschreiben, wenn’s gar so schlimm ist.

Mein Kopf, der ja auch entscheiden muss, das zu tun, sagt mir aber die ganze Zeit: Eine Tablette hält ein Flugzeug auch nicht in der Luft, brauch ich gar nicht kaufen, das Zeug.

Bin ich verrückt? Hat der Scheiß was mit Kontrolle abgeben zu tun? Oder ist das einfach eine eigentlich ganz natürliche, instinktive Angst, weil Fliegen, sorry not sorry, wirklich eine wilde Sache ist und ursprünglich mal nur den Flugsauriern vorbehalten war?

Die Eine-Million-Euro-Alternative

Auch nicht gerade hilfreich war folgende gruselige Nachricht, die beim Googeln zu mir durchdrang: durch den Klimawandel entstehen aktuell über dem Atlantik und auch sonst über den Ozeanen vermehrt sogenannte „Windscherungen“, die verstärkt für Turbulenzen sorgen und auch mal das ein oder andere Flugzeug am landen hindern, weil sie dann doch zu gefährlich werden können.

Großartig. Danke für nichts. Ich bin kurz davor, die tausend Euro tausend Euro sein zu lassen und zuhause zu bleiben. Habe bereits Reiserouten ohne Flugzeug auf die Kanaren erkundet. Diese Inseln sind aber so weit weg, dass das eine Million Euro kosten und drei Wochen in Anspruch nehmen würde, davon insgesamt zwei ganze Tage lang auf hoher See, welche ja von diesen heftigen Winden auch nicht gerade verschont sein wird.

Flughilfe bitte

Liebe Rolling Stone LeserInnengemeinde.

die Statistik sagt, Ihr seid mir zu zwei Dritteln überlegen, habt keine Angst vorm Fliegen und lebt eure Freiheit aus, bis der Erdball glüht.

Hiermit die Frage an euch: Wie macht Ihr das? Woran denkt Ihr, während ich auf dem Sitz neben euch meine Finger um die Armlehne kralle und vor meinem inneren Auge ein Horrorfilm samt Dolby Surroundsound abläuft?

Seid ihr alle PhysikstudentInnen? Techniknerds? Liebt ihr am Ende Statistik oder seid ihr einfach gläubig?

Wie macht Ihr das, dass Ihr einfach lässig in ein Flugzeug steigt, dann vier Stunden pennt oder einen Podcast hört und dann lässig wieder aussteigt ohne eine chemische Todeserfahrung durch euren Körper fluten zu lassen? Hattet ihr mal Flugangst, und die ist jetzt weg? Hattet ihr mal keine, und jetzt ist sie da?

Bitte, ich brauche wirklich alle Tipps, alle Geschichten, die es darüber gibt!

Denn, es kann einfach nicht sein, dass ich schon wieder nicht auf die Kanaren fliege aus purer Angst.

Herzlichsten Dank im Voraus,

Brandi