Parole Brandi: Bilderbuchträume und andere One-Night-Stands
Immer noch auf Wohnungssuche in Wien, steht unsere Kolumnistin vor den Betten, in denen die Szeneprominenz performt
Die ungute Begegnung mit vogelgesichtiger Vermieterin und rosa Steppbett, von der ich in der letzten Folge erzählte, sollte nicht der letzte Einblick in die Skurrilitäten des Wiener Wohnungsmarktes sein.
Wenige Tage später kam ich in die WG von Lynn und Natalja. Noch beim Aussteigen aus der altertümlichen Wackel-Tram fand ich, so eine Gegend wie diese, das wäre schon was. Hier ist es ja fast wie in der Kölner Südstadt (Köln ist und bleibt mein persönlicher Wohlfühl-Index). Oh, du meine Seele beruhigender, mittelständischer Wohlstand…
Kleine Blumenläden vor denen liebevoll drapiert überquellende Körbe und Töpfe voller Veilchen, Stiefmütterchen und Rosen als Straßenauslage standen, Cafés, in denen beruflich sehr angekommene Menschen saßen, miteinander plauderten, manch einer saß allein, las versunken in einer ausgebreiteten Tageszeitung, kleine Hunde schlabberten Wasser aus silbernen Näpfen, Steppjacken, Sonnenbrillen, Gourmet-Bäcker, Gourmet-Cafés, Gourmet-Gegend. Geil, dachte ich vorfreudig, als ich die massive, wunderschöne Haustür aufdrückte.
Oben angekommen war dann relativ schnell klar, das hier würde nix.
Bilderbuch und Erdnussflips
Lynn war süß, eine schwarzhaarige Wucht, Natalja, blass und schmal, war die Stillere der beiden, aber ebenfalls nett. Beide waren sie hoch gewachsene Frauen Anfang 20, die es geschafft hatten, dass mensch in der ganzen Wohnung keinen Fuß vor den anderen setzen konnte, so vollgestopft war diese mit Krempel.
Wir kämpften uns in die orange gestrichene Küche und tranken dort Kaffee. Die beiden kicherten unentwegt und erzählten, auf die Frage, was ich machte, mit wem aus der hiesigen Musik-Szene sie schon alles geschlafen hatten. Die Namen, die sie nannten, sagten mir alle nichts.
Lynn unterhielt einen feministischen Blog und wirkte einschüchternd in ihrem Ehrgeiz, Natalja indes stolperte im Grunde nur von einer Party zur nächsten und wartete sehnsüchtig auf „Maurice“, den Sänger von Bilderbuch (gut, die kenne ich), den sie unbedingt endlich aufreißen wollte.
Wie eine Tüte Erdnussflips, fügte ich im Stillen hinzu.
Wohnen hinterm Kleiderschrank
Während die beiden so erzählten, fühlte ich mich immer älter und überempfindlicher. Auch schienen sie viel schneller zum Lachen zu bringen zu sein als ich, was gleichzeitig bemitleidenswert und beneidenswert war.
Es genügte, wenn die Eine sagte: „Ey voll cute, hab letztens noch mit Steffi über den X geredet, bis sich einen Tag später rausgestellt hat, dass wir ja dann jetzt beide was mit dem hatten! Pahahahahaha!“
Ich probierte aus, unauffällig mitzulachen, pahahaha, während ich mich im Stillen zu erinnern versuchte, wann ich das letzte Mal „etwas mit jemandem hatte“.
Dann zeigten sie mir das Zimmer, dessen Tür von einem monströsen, schwarzen Kleiderschrank halb verdeckt wurde, der ganze acht Quadratmeter des Raumes verschlang. Vor dem Fenster stand eine Mauer, sodass von zwei Seiten des Zimmers für Dunkelheit gesorgt war und es auch in dieser Wohnung schon bald zu einigermaßen konkreten Selbstmordfantasien kommen würde, zumal der Herbst vor der Tür stand. Wenn ich mir vorstellte, ich würde morgens vollkommen zerstört von irgendeiner Studentenparty aufstehen und mich für etwas Licht und Luft an diesem Kleiderschrank vorbeiquetschen, nur um dann in diese orangefarbene Küche zu gelangen, wo ich den zwei bereits rauchenden Girls dabei zuhören musste, wie sie einander glucksend ihre Sex-Abenteuer erzählten, wurde mir ganz schwer ums Herz.
Butterweiches Übersprungsverständnis
Auch hier verabschiedete ich mich freundlich, sagte aber diesmal vor dem Abschied, dass ich ganz sicher nicht in diese Wohnung ziehen würde, die beiden allerdings nett fänd und es lustig wäre, wenn wir uns irgendwann mal wiedersähen. Lynn und Natalja befiel sofort dieses Übersprungsverständnis, was mir persönlich nie so ganz geheuer ist, ja klar, voll cool, alles easy, passt eh. So butterweich und extra floskelgesichert wäre meine Ansage in Berlin nicht aufgefangen worden.
Etwas erschöpft, aber gleichfalls erleichtert, endlich wieder in meinem richtigen Alterskörper angekommen zu sein, trat ich aus dem Haus in die Sonne und spazierte ein weiteres Mal nachdenklich durch die Kulisse beschaulicher Bürgerlichkeit in Richtung Erster Bezirk. Der kurze WG-Besuch hatte diese Kulisse verändert, auf einmal umgab sie ein Hauch von Verlogenheit.
Wehmütig dachte ich an die knapp tausend Kilometer entfernte Südstadt, wo sich genau jetzt die müden Kölner in einer langen Schlange vorm Merzenich-Bäcker die Beine in den Bauch standen und nicht mal im Ansatz wussten, wie gut sie es hatten.
Allerdings, dachte ich seufzend, in den Wohnungen dort saßen wahrscheinlich Horden junger, gut tätowierter Frauen, die rauchten und von einer Nacht mit Henning May träumten.