Palästinas Grenzen öffnen sich
Die Grenzübergänge zwischen Israel und Jordanien geöflhet, die Einreise nach Syrien und Ägypten ein Akt von Minuten: Seit sich Jerusalem und seine arabischen Nachbarn with a little help from Washington ernsthaft um den Frieden bemühen, eröffnen sich in der kriegs-und krisengebeutelten Region an der Levante ungeahnte Reise-Möglichkeiten. Stefan Nink über einen Trip in nahöstliche Befindlichkeiten.
In der Nacht bekam die Welt das Zittern. Nicht sehr stark – gerade genug, um die Schlafenden aufzuwecken. Für eine sekundenlange Ewigkeit nahmen die Umrisse des Zimmers eine seltsam flimmernde Unschärfe an, als ob eine gewaltige unsichtbare Faust dem Gebäude einen kurzen Schlag in die Seite verpaßt hätte. Durch die Wände, den Boden, die Decke kroch ein dumpfes Grollen aus der Magengrube der Erde: leise zuerst, dann lauter, schließlich zu einem Crescendo anschwellend. Gleich daraufwar alles vorbei. Als sei nichts gewesen, legte sich der für einen Moment gelüftete Schleier der Stille wieder über Aqaba.
Auch draußen, auf dem Balkon, war es beinahe ruhig. Der jordanische Vollmond hing am verlassenen Ende der Straße, sein orangenes Laternenauge eine starre Zielscheibe für den brennenden Wahnsinn der Katzen, die ihm die Qual ihrer Triebe beichteten. Augen funkelten im Dunkel zwischen Mülltonnen, Morsezeichen von niemandem an niemanden. Drüben, am anderen Ende des Golfes, hinter den schimmernden Wellenkronen des Roten Meeres, setzte sich der Sternenhimmel in der Horizontalen fort: Eilat, Israel. Und weiter links, die gezackten, mondbeschienenen Umrisse des äußeren Sinais entlang: Taba, Ägypten. Hätten die Saudis auf der anderen Seite eine Stadt in die Wüste gesetzt – auch deren Lichter könnte man von hier sehen. Im Vierländereck am Golf von Aqaba: in weiter Ferne, so nah.
Am nächsten Morgen: Das brutale Stakkato eines Preßlufthammers. Undicht, sagt der Mann an der Rezeption, oh ja, man entschuldige sich für die Belästigung, der Pool habe Risse vom großen Beben letzte Woche, das Wasser sei ausgelaufen. Er lächelt verlegen. Im TV hinter ihm beruhigt der König Einheimische und Touristen: Keine Gefahr, bloß ein Nachbeben letzte Nacht, ganz normal, keine Verletzten, keine weiteren Schäden. Dann zucken Blitze über den Schirm, weil der Preßlufthammer erneut eingesetzt hat, und Seine Majestät verschwindet im Graupel. Bei der Wettervorhersage wird das Bild wieder klar: „Schnee“, übersetzt jemand, „in den Bergen. Nicht am Golf.“
Dezember in Aqaba, Winter im Nahen Osten. Warum sagt ihr nicht „in Arabien“, fragt der Mann an der Rezeption, warum wählt ihr Europäer einen von Israel erfundenen Begriff? Vom Frieden, den geöffneten Grenzübergängen, von der groß postulierten jordanisch-israelischen Freundschaft will er als Geschäftsmann vorerst nichts wissen: „Schöner Frieden, wenn niemand mehr in Aqaba bleibt und die Hotels leer stehen! Alle fahren sie hinüber nach Eilat. Bis nach Jerusalem fahren sie! Und Du willst sogar nach Syrien! Warum bleibst Du nicht in Aqaba? Geh tauchen!“ Leise schimpfend sucht er die Abfahrtszeiten des Busses heraus. „Um sieben bis nach Amman. Anschluß um 15 Uhr nach Damaskus.“
Wenn es einen jordanischen Verkehrswarndienst gäbe – der Desert Highway von Aqaba nach Amman wäre sein Hauptkunde. Wie an einer Kette gezogen ächzen schwer beladene Laster zwischen den rotscheinenden, schroffen Bergen hinauf und zwingen den schnelleren Bus zu einem Leben auf der Gegenfahrbahn, inklusive der Ausweich- und Bremsmanöver. Und weil das für die erwachenden Sinne am frühen Morgen noch nicht genug ist, setzt nach zehn Minuten Vollgasfahrt eine blechern tönende Marter aus unmittelbar über den Köpfen montierten Lautsprechern ein: Arabian Pop, ein monotones, quengelndes Gedudel, für das sich niemand zu interessieren scheint, das aber in allen Bussen der arabischen Welt von der Monotonie der Wüste draußen abzulenken versucht Unterbrochen werden die Top 500 bloß dann, wenn unser Fahrer (meist während eines Überholvorgangs) eine Video-Cassette auspackt: Dann schweigen die Pop-Muezzine, und Hollywoods Terminatoren ballern ins Businnere. Da aus den Filmen alle Szenen herauszensiert wurden, in denen auch nur ein Frauenbein zu sehen wäre, bleibt selbst „Rambo“ ein unergründliches Geheimnis mit dostojewskischem Tiefgang.
Nach zwei Stunden Fahrt durch eine immer gleiche Steinwüste stellt sich der Pakistani (Inder? Afghane?) auf dem Nebensitz als Schotte Er verkaufe den Jordaniern medical tests, erzählt er, die jene dann wiederum an den Irak verscherbelten. Ach, Bagdhad, seufzt er, was war das früher eine schöne Stadt!
I Amman ist keine schöne Stadt. Ein Verwaltungszentrum verteilt auf wer-weiß-wie-viele Hügel, zwischen denen ein Millionenheer hupender Autos auf schmierig-glatten Straßen einen innenstadtfüllenden Stau rund um das Amphitheater zelebriert – das einzige Überbleibsel der römischen Provinzhauptstadt Philadelphia. Ein Imbiß an der Bushaltestelle serviert jordanisches Frühstück: dampfendes Fladenbrot, Falafel und in Olivenöl schwimmendes Hommos, dazu literweise Tee. Der Bus nach Damaskus ist pünktlich.
Grenzübergang, die erste. Stacheldraht, Wagen mit aufmontierten Maschinengewehren, überall Assad-Porträts, Soldaten im Schneeregen. Der syrische Beamte inspiziert das Visum, stutzt und zieht die Augenbrauen hoch.
„Aaaah: Gerrrmannn! Hhhhrubbbeeeeschsch – you know?“
„Something wrong with my Visa?
„You know? Foootball? Hhhhrubbeeeschsch?? You know??“
„I don’t understand…“
JHhhhhhrubbbeeeschsch! Good!“
„Yes, good. Passport good, too…“
„Aaaah, Hhhhhrubbbbbeschsch! Very good! Many, many goals!
„Ähhhh…“
„He still playing? Rohhht-Weissss Ässsen? Champion?“
„Ääähhh, actually, no… not this time…“
„Hhhhrubbbeschsch – very good! Welcome to Syria!“
Was ein Land! Wie aus dem Bibelbilderbuch im Kindergarten! Sanfte Hügel, grüne Gärten, dann wieder gelbe Dünen. Die Hänge des Anti-Libanon liegen unter einer glitzernden Schneedecke, klobige Kreuzritterburgen kleben wie Adlerhorste an den Bergspitzen. An einem Rastplatz verkauft eine alte Beduinin frische Kekse. Die Luft ist kristallklar und schneidend kalt, und die Schafhirten sind derart vermummt, daß sie kaum noch ab menschliche Wesen auszumachen sind. Der Busfahrer schwenkt beim Einsteigen stolz eine neu erstandene Cassette. Eine Ewigkeit später: Damaskus.
Für viele ist Syriens Metropole die schönste Stadt Arabiens, und jeder Reiseführer schreibt vor, warum das so zu sein hat: Die ummauerte Altstadt und ihre Souks sind komplett erhalten, die Omayaden-Moschee ein Hohelied auf islamische Baukunst, der Bahnhof der Hedschas-Bahn ein geschichtsträchtiges Fossil aus einer Zeit, in der Lawrence seine Wüstensöhne mit falschen Versprechungen zum Sturm auf die Stadt überredete („This building contains inside architectural and ornamental elements which are very accurate and fascinating“, meint eine Tafel in der Wartehalle – was man unmöglich überprüfen kann, weil jeder freie Quadratmeter mit an eine Warhol-Arbeit erinnernden Assad-Postern, Revolutionsbannern, bunten Schleifen und Staatsflaggen verhangen ist).
Was wirklich faszinierend an Damaskus ist, steht nirgendwo: Die Stadt ist der melting pot von Arabien, ein Auffangbecken für die Heimatlosen und Heimatsuchenden des Orients, ein wimmelnder Treffpunkt von Beduinen, Palästinensern, Drusen, Armeniern und Pilgern auf der Durchreise nach Mekka. Man sollte ein Buch über die Kopfbedeckungen von Damaskus schreiben: Über das allgegenwärtige rot-weiße Fettiye der Palästinenser, die weißen Kopftücher der Beduinen, über die kunstvoll gewickelten Turbane der yemenitischen Händler, den Tschador der Frauen, die Wollmützen der Armenier und die kunstvoll verzierten Kappen der Drusen (wie sie sonstwo auf der Welt gerne von Jazz-Saxophonisten getragen werden) – das wäre ein Buch über Damaskus!
Abends im Kaffeehaus: Bekehrungsversuche. Der Tischnachbar ist Iraner mit österreichischem Paß und auf seiner Hadsch zu den Heiligen Stätten des Islams. Er preist Allah im breitesten Weaner Dialekt und läßt sich auch nicht vom Thema abbringen, als drei aufgedonnerte minderjährige Nutten vom Ober an unserem Tisch vorbei auf eine Art Balkon geführt werden, von wo sie unentdeckt dieses merkwürdige Duo unter sich betrachten. Baba!, sagt der Wiener. Und dann sagt er noch, daß man eines Tages an diesen Abend zurückdenken werde. „Inschallah!“
So richtig will Allah nicht; Am nächsten Tag, mitten in der Wüste, verreckt der Bus. Nicht unbedingt ohne Vorwarnung – die letzten Stunden hat ein Gehilfe des Fahrers bei vollen Touren mit einem Hammer durch ein Loch im Boden auf irgendeine geheimnisvolle Stelle an der Hinterachse eingeschlagen, von wo seit der Abfahrt merkwürdige Geräusche zu hören waren. Irgendwann kracht es gewaltig, und der Bus bleibt knatternd stehen. An einem Schild, das die Erlernungen in die Zivilisation mit den tröstlichen Angaben „Bagdhad: 390 km. Palmyra 140 km. Aleppo 260 km“ beziffert. Unser Busfahrer beginnt augenblicklich mit dem Sammeln von Feuerholz.
Irgendwann, viel später, am Horizont: ein Bus. Leer. Bis auf zehn Personen in den letzten Bänken. Daß sonst niemand mit möchte, führt man während der ersten Minuten in molliger Wärme zuerst naiv auf die Wüstenverbundenheit der Beduinen und anschließend auf ihre unbedingte Ergebenheit zum Fahrer des Unglücksbusses zurück, dem niemand eine Nacht allein in der Wüste zumuten möchte. Erst dann fallen die vergitterten Fenster dieses Busses auf. Erst dann hört man das metallische Klirren schwerer Ketten. Erst dann bemerkt man, daß die eine Hälfte der Passagiere aneinandergekettet und die andere bis an die Zähne bewaffnet ist „You smoke?“ Man kann in Arabien nicht allein sitzen, nirgendwo und niemals. Selbst wenn in einem Bus 40 Plätze frei sind, kommt nach drei Minuten jemand an, läßt sich auf den Nachbarsitz fallen und drückt einen für den Rest der Fahrt gegen die Fensterscheibe. Was man ja akzeptieren könnte (schließlich hat man irgendwann einmal gelernt, daß Menschen anderer Kulturen sich dann am wohlsten fühlen, wenn es um sie herum schön klaustrophobisch eng ist), wie gesagt: Man könnte das noch alles akzeptieren, wenn derjenige nicht wiederum einen gefesselten Strafgefangenen zum Verhör neben sich holen würde. Macht er aber. Nun sitzt man also da und lauscht dem unverständlichen Hin und Her, in dessen Verlauf der Gefangene immer lauter wimmert und irgendwann auch noch damit beginnt, permanent mit dem Kopf gegen den Sitz vor sich zu schlagen. Bis er plötzlich nach der Pistole des Offiziers greift.
Das Handgemenge ist kurz. Der Offizier brüllt um Hilfe, zwei weitere Wächter stürzen aus der letzten Reihe nach vorne, einer dreht dem mittlerweile laut schreienden Sträfling die Hand um, der andere entwindet ihm die geklaute 45er. Und auf daß damit fortan kein Unbill geschehe, leert er das Magazin, indem er die Patronen kurzerhand durch den Busboden auf die Straße feuert – was bei allen Anwesenden zu einem Zustand des Beinahe-Hörsturzes fuhrt Anschließend hält er die qualmende 45er ans schwach glimmende „No Smoking“-Schild und überprüft in dessen Licht, ob er auch wirklich sechsmal geschossen hat. Auf einem Schild, daß der Bus-Scheinwerfer für einen Moment einfängt, steht: „Aleppo 40km“.
Als hätten die dicken Spinnen, die starr vor Kälte zwischen den Leitungsdrähten hängen, die ganze Stadt in ein Netz des Vergessens gewoben, döst Aleppo am nächsten Tag im Schatten seiner Minarette. Wie mahnende Zeigefinger ragen sie hoch hinauf in den wolkengrauen Himmel, und manchmal sieht es so aus, als reckten sie sich noch ein bißchen höher, um die tiefhängenden Schneewolken zu durchstoßen. Es ist naßkalt und gerade hell, als es schon wieder dunkel wird. Und als es dunkel ist, fällt der Strom für zwei Stunden aus. Tage wie diese hat Aleppo in den letzten Jahrzehnten genügend erlebt, Tage, in denen es herausgefallen war aus der Geschichte, untergegangen in den Fußnoten panarabischer Händel, verschwunden aus dem Blickfeld der Welt: Nach Jahrhunderten ruhmreicher Vergangenheit gleicht Aleppos Wirklichkeit heute einer Abstellkammer der verlorenen Illusionen.
Vielleicht verliert man hier deshalb nach ein paar Tagen Herumstreunens das Gefühl für die Zeit. Man schläft lange und schlendert später gedankenverloren durch das Labyrinth touristenloser Souks, parliert stundenlang mit einem Silberhändler, raucht Wasserpfeife, trinkt Tee. Abends lauscht man in der mit vergilbten „Orient Expreß“-Plakaten geschmückten Hotel-Bar den Schieber-Geschäften zwischen devisenhungrigen kasachischen Kaviar-Händlern und levantinisch-gewieften Barkeepern. Irgendwann weiß man dann, daß man am nächsten Morgen mit dem ersten Bus die Stadt verlassen muß, weil man sonst Gefahr läuft, die Stadt niemals zu verlassen. Und das womöglich bis ans Ende seiner Tage. Grenzübergang, die zweite. Die King-Hussein-Bridge über den Jordan, deren mediale Dauerpräsenz in den vergangenen Jahren nicht unerhebliche Erwartungshaltungen hervorgerufen hat, erweist sich als eindrucksvolles Bauwerk: Die hinteren Reifen des Busses sind noch auf jordanischem Boden, als die Vorderachse bereits in Israel ist. Es folgen die an den Grenzen des Heiligen Landes üblichen Checks: neun bis elf Paßkontrollen, Sprengstoffsuche und ein absurdes Frage-Antwort-Spiel, das man im wirklichen Leben allenfalls einem Drehbuchautoren von Hallervorden durchgehen lassen würde.
„Did you speak to somebody in Syria?“
„What do you mean_~ ofcourse…“
„Why?“ „Excuse me?“
„Why did you speak to somebody in Syria?“
„See… in one week you simply have to““
„You speak Arabic?“
„No.“
„So how could you speak to your friends in Syria?“
„I speak English with you, so…“
„So you have English-speaking friends in Syria. Follow me.“
Es folgen zwei Stunden Kreuzverhör mit philosophisch angehauchten Fragen (Warum ist ein Linienflug teurer als ein Charterflug? Warum gibt es in Deutschland Reiseführer über Syrien?) nebst nochmaliger Sprengstoffkontrolle. Über das Resultat ist man sichtlich enttäuscht, da aber kein Internationaler Haftbefehl vorliegt, wird man ins Land gelassen. Das „Welcome to Israel“ kommt allerdings durch die Zähne gesprochen.
Wie anders begrüßt einen dann Jerusalem! Es geht bergauf, aus der Senke des Toten Meeres, und man kann sich vorstellen, wie beschwerlich der Weg für die Reisenden der letzten Jahrtausende war.
Und wie sehr diesen Reisenden Jerusalem als Triumph und Höhepunkt über die Wüste erschienen ist! Irgendwann leuchtet die goldene Kuppel des Felsendoms am Horizont, und man ist da und weiß trotzdem nicht, ob die Wüste mit ihren Steinen aus Kalk und Kreide nun in die Stadt gewandert oder die Stadt mit ihren Steinen in die Wüste gewachsen ist. Jedenfalls ist der Bedarf an Steinen auf der Westbank drastisch gesunken, weil Taxen mit israelischem Nummernschild seit geraumer Zeit nicht mehr beworfen werden. Statt dessen gleicht die Straße vor dem Hotel einem Heerlager: Warren Christopher wird zum Rapport von seiner Syrien-Mission erwartet.
Dabei ist Damaskus ist in diesen Tagen weit weg: In Jerusalem redet jeder von Bethlehem. Am Tag zuvor hat die israelische Armee Nablus verlassen, vorzeitig und Hals über Kopf, um die Steinewerfer nicht zu provozieren. Deshalb konnte die Flagge auch nicht vom Dach des Verwaltungsgebäudes eingeholt werden, und nachdem den Palästinensern die Verbrennung des Besatzer-Symbols wegen Regens nicht vergönnt war, haben sie das gute Stück in konfettigroße Stückchen zerrissen und diese anschließend unters Volk geworfen.
Und in ein paar Tagen, kurz vor dem Fest des Herrn, soll Bethlehem geräumt werden! Jeder in Jerusalem ereifert sich über das Schicksal der dortigen Flagge und über das drohende Total-Chaos, das angeblich bevorsteht, weil die palästinensische Selbstverwaltung verständlicherweise nicht über die Logistik verfügt, um den Ansturm der Gläubigen in auch nur einigermaßen geordnete Bahnen zu leiten. Im Fernsehen klagt eine Nonne, wie schlimm, ganz schlimm das sei: Die Chor-Bühne vor der Kirche noch nicht fertig und mehr Arafat-Poster als Weihnachtssterne auf den Straßen! Irgendwie gewinnt man den Eindruck, als erwarte Jerusalem kollektiv, daß am Heiligen Abend plötzlich ein milde lächelnder Arafat in der Krippe liegt Grenzübergang, die dritte. „Gangster’s Paradise“ im stacheldrahtumzäunten Immigration-Office Eilat. Die israelischen Grenzerinnen sehen trotz umgehängter Uzi aus, als würden sie nach Dienstschluß augenblicklich Ecstasy einwerfen. Die Ausreise-Stempel knallen sie einem im Coolio-Rhythmus in den Paß.
„Open“, befiehlt der jordanische Kollege 200 Meter weiter, „open!!“
Hände wühlen im Rucksack: das Notebook.
„Open!!!“
Bill Gates‘ Fenster erscheint, das Notebook piepst „Apple? Eibieämm?… Apple?? Apple!“
„No,it’s a…“
„Games? Open!!!“
„No, I don’t have games on it, it’s just…“
„No Games?? No??
„No, really. It’s just…“
„Close! Welcome to Jordan! Welcome!“
Der Mann an der Rezeption lächelt Sein Swimming-Pool sieht mittlerweile aus wie ein israelischer Obstgarten nach einem Granatwerferangriff der Hisbollah. „Shalom!“, ruft er lachend, und wie es denn gewesen sei bei den Nachbarn, und ob man denn jetzt endlich in Jordanien bleibe, zufälligerweise seien noch Zimmer frei. Und ein Auto könne er auch vermitteln, schließlich müsse man sich ja noch das Wadi Rum anschauen und Petra. Das aus „Indiana Jones“, erklärt er, und singt die Titelmelodie.
Nach Petra also. Nach Petra, wo man sich auf den erwarteten Besucheransturm der nächsten Jahre durch den Bau von ca. 70 neuen Hotels einstellt Nach Petra, dessen Eingang tatsächlich so aussieht wie im Kino, das aber dahinter noch kilometerweit weitergeht Nach Petra, das einen sprachlos und ehrfurchtsvoll werden läßt, dessen in Fels gemeißelte Pracht und Schönheit am nächsten Tag aber verblaßt gegen die natürliche Schönheit eines Morgens im Wadi Rum.
In unseren Kinderträumen sehen Landschaften manchmal so aus: bizarre, ockerfarbene Felsformationen rechts und links eines Tales, über dessen pfannenflachen Sandboden man bis in alle Ewigkeit blicken kann. Das Kamel schaukelt Geist und Verstand in einen Dämmerzustand, der die Sinne ungefiltert aufnehmen läßt: Töne, Farben, Klänge, die Wüste lebt Abends gibt’s frisches Brot und mit Kardemon versetzten Kaffee im Zelt einer Beduinen-Familie. Es wird dunkel Irgendwann schlafen die Kinder die Frau gähnt. Bevor er sich hinlegt, geht der Vater raus in die Wüste. Weit draußen bleibt er stehen, wie ein Bettler vor dem umfassenden Dunkel.