Oskar Roehler und Andreas Altmann – „Ich habe acht Mal versucht, meinen Vater umzubringen!“
Regisseur Oskar Roehler wurde von den Boheme-Eltern vernachlässigt, Schriftsteller Andreas Altmann litt unter dem Terror des Vaters. Beide haben nun Bücher darüber geschrieben - und sich für den ROLLING STONE erstmals getroffen.
Wäre es nach ihren Müttern gegangen, würde es die beiden gar nicht mehr geben. Um eine Fehlgeburt zu provozieren, trank und rauchte die Mutter von Oskar Roehler wie wahnsinnig und ging hochschwanger mit ihm in einen eiskalten See. Sein Vater zog sie heraus. Dem frisch geborenen Andreas Altmann drückte dessen Mutter aus Angst vor dem „fünften Schwanz in der Familie“ ein Kissen aufs Gesicht. Gerade noch rechtzeitig kam die Hebamme ins Zimmer und rettete das halb tote Bündel. Einmal richtig auf der Welt, wurde es nicht besser. Um Oskar mochten sich weder seine Mutter kümmern, die gefeierte Schriftstellerin Gisela Elsner, noch der Vater Klaus Roehler, legendärer Lektor unter anderem von Günter Grass und Uwe Johnson. Während also der kleine Oskar ebenso verzweifelt wie vergeblich um die Zuwendung seiner Eltern kämpfte, wuchs Andreas, Sohn eines Rosenkranzhändlers aus dem stockkatholischen Altötting, unter dem Terrorregime des Vaters auf. Ein Leben aus Kontrollen, Schikanen, Schlägen und „Arbeitsdienst“. Die Mutter war da bereits geflohen, machte sich aber aus Angst vor ihrem Mann noch Jahre nach der Trennung buchstäblich in die Hose, wenn sie nur seine Telefonstimme hörte.
Viele Jahre nach ihrer verkorksten Kindheit haben Andreas Altmann, mit Preisen überhäufter Reporter, und Oskar Roehler, gefeierter Regisseur, ihre Vergangenheit in zwei Bücher verwandelt. Altmann legte unter dem keine Fragen offen lassenden Titel „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ eine akribisch recherchierte Abrechnung vor. „Kein Heulsusenbrevier“, das ist ihm wichtig, sondern eine fulminante Kampfschrift auch gegen die Bigotterie des katholischen Milieus seiner Heimat. Seit Erscheinen rangiert das „Scheißleben“ in den Bestsellerlisten ganz oben.
Schriftstellersohn Roehler – auch Vater Klaus hatte in jungen Jahren vielversprechende Prosa veröffentlicht – folgt in seinem Roman „Herkunft“ einem eher poetischen Ansatz. Keine autobiografische Dokumentation, sondern eine bitterböse, in einigen Momenten aber auch durchaus liebevolle Annäherung an die Geschichte seiner Familie, von der Nachkriegszeit bis zu seinen exzessiven 80er-Jahren in Berlin. Längst wurde die zweite Auflage ausgeliefert. Inzwischen sind auch die Dreharbeiten abgeschlossen. Noch in diesem Jahr soll „Herkunft“ in die Kinos sowie als Zweiteiler auch ins Fernsehen kommen.
In Berlin, in der verlagseigenen Cafeteria von Ullstein, begegnen sich die beiden heute zum ersten Mal. Oskar Roehler, unaufdringlich elegant gekleidet, wird von der leicht vergeistigten Aura des Künstlers umgeben. Ein Suchender, der die Worte beim Sprechen einzukreisen scheint. Andreas Altmann, der mit Schirmmütze, breitem Gürtel und durchgelebter Lederjacke wunderbar einen bolschewistischen Aufrührer verkörpern könnte, entfaltet barocke Sprachbilder mit leicht bayrischem Akzent.
Dass sie 53 (Roehler) beziehungsweise 62 Jahre alt sein sollen, glaubt man den beiden nicht, viel zu neugierig und lebenshungrig wirken sie. Als das anderthalb Stunden lange Gespräch vorbei ist, tauschen die zwei Adressen aus und verabreden sich für ein baldiges Treffen in Altmanns Wahlheimat Paris. „Sag mal, bei der Vergabe der Filmrechte“, fragt Roehler ihn zum Abschied, „da entscheidest du doch auch mit?“
Es gibt ja diese Formulierung „sich etwas von der Seele schreiben“. Funktioniert Schreiben tatsächlich als Katharsis, als eine Art nachgeholte Reinigung?
Oskar Roehler: Das Buch ist keine persönliche Erleichterung für mich, aber eine große Genugtuung. Diese Rückkehr in die Kindheit, diese Rückkehr zum Schreiben war eine Art des Erinnerns, die für mich sehr, sehr heilsam ist. Auch wenn es ganz schlimm ist, was man erlebt hat, wird es einem beim Aufschreiben Spaß machen, weil man mit Worten in der Lage ist, alles wiederzugeben. Das ist die späte Rache, der Genuss.
Andreas Altmann: Ich habe 20 Jahre Therapien hinter mir. Die haben mir geholfen, dass ich erst einmal über den Tag kam: Urschrei, Bioenergetik, Gesprächstherapie, Gruppentherapie, Hypnosetherapie – wenn sich da einer auskennt in Deutschland, dann ich! Die Aufarbeitung mit meinem Vater, die ist im Grab. Ich spucke darauf und denke: Er hat ein beschissenes Leben gehabt und ist genauso unschuldig wie schuldig – so wie ich schuldig und unschuldig bin für mein Leben. Als ich endlich so weit war, das Buch zu schreiben, bin ich vorgegangen wie ein Reporter. Ich wollte einfach nur ein passables, intelligentes Buch schreiben. Ich war nicht ergriffen vom Drama meiner Jugend. Ich habe auch nicht geweint. Das habe ich ja alles schon gehabt.
Warum habt ihr diese Bücher erst jetzt geschrieben und nicht mit Anfang 20? Brauchte es einfach diese Zeit, um in Worten wieder Kind zu werden?
Altmann: Ich musste erstens Erfolg haben in meinem Leben, damit ich das Nachwort schreiben konnte, und zweitens die Distanz und das schreiberische Können, damit ich da nicht mit dem Hassgriffel rangehe. Die ganz große Gefahr bei einem Buch mit diesem Titel ist ja die, dass ich als ambulanter Tränensack rüberkomme. So ein Heulsusenbrevier, so eine Elendsjeremiade. Es musste halt dieser Rotz rein!
Roehler: Ich war ein extremer Spätentwickler, geistig, in jeder Hinsicht. Ich habe lange gebraucht, um die Kurve zu kriegen. Aber irgendwann dachte ich: jetzt habe ich 20 Jahre trainiert, habe Filme gemacht, habe dies und das gemacht, jetzt kann ich’s mal probieren. Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, überhaupt so richtig reinzukommen. Ich war zu brav und zu autodidaktisch, habe mich nicht so recht getraut, und das hat man dem Ganzen angemerkt. Dann habe ich 150 Seiten weggeschmissen und noch einmal geschrieben, nachdem ich wusste, wie es besser geht.
Welche Reaktionen gab es auf eure Bücher?
Altmann: Viele Leser erzählen mir per Mail ihre Geschichten: Frauen, die von ihren Brüdern vergewaltigt wurden. Eine Frau hat erzählt, dass sie mit Scheiße eingeschmiert wurde, unglaubliche Dinge. Du glaubst, du hast den Schmerz verarbeitet oder vergeben – du hast gar nichts! Da kommt ein Buch daher und holt das alles wieder raus, und du merkst, dass das Erlebte nur einen Millimeter unter deiner Haut steckt.
Roehler: Ich habe einen Schock gekriegt, als mein Buch herauskam und meine Verwandten sich meldeten. Mit welchem brachialen Hass da reagiert wurde!
Die Darstellung deiner Familie in „Herkunft“ ist aber doch durchaus ambivalent: der Nazi-Großvater, bei dem du zwei unbeschwerte Kindheitsjahre verlebt hast. Die schwer frustrierte Großmutter mütterlicherseits, die für den Selbstmord ihrer beiden Töchter verantwortlich gemacht wird, die du aber auch als strahlende und liebevolle Frau beschreibst. Worüber haben die Verwandten sich aufgeregt?
Roehler: Die haben halt geglaubt, dass man alles unterbuttern kann. Das ist wie ein fauliger Brunnenschacht, in den kein Licht kommt und den niemand vorher geöffnet hat. Ich musste erst einmal verstehen, wie tief die sich in ihren Illusionen eingerichtet hatten. Unsere Familie hat ganz klar unterschieden zwischen Gewinnern und Verlie-rern. Wenn du einmal der Verlierer warst, bist du da auch nie herausgekommen. Da musst du dann einfach weg und mit 17, 18 deine Koffer packen. Eigentlich ist das fast schon viel zu spät.
Ihr beschreibt eure jugendlichen Ebenbilder als ziemliche Stoffel: total gehemmt im Umgang mit Mädchen, völlig planlos – eine beinahe narzisstische Art, über sich herzuziehen, die den Widerspruch geradezu herausfordert.
Roehler: Sagen wir mal so: Ich war nicht gerade derjenige, der auf dem weißen Pferd ankommt, und alle gehen in die Knie. Aber das hat bei mir damit zu tun gehabt, dass mich die erotische Ausstrahlung von Frauen schon in jüngsten Jahren einfach überwältigt hat, noch immer. Bis heute. Das kann ich leider nicht abschalten. Wie gesagt, ich war so ein Pubertätskrüppel, irgendwie. Aber das ist ja für beinahe jeden so. Zwei Prozent, das sind die Mädchenschwärme. Und wenn du die drei Jahre später triffst, fragst du dich, wieso eigentlich die?
Dein Vater hat dir schon als kleinem Jungen Pornobilder gezeigt, weil er das wohl ganz fortschrittlich fand. Für dich, Andreas, muss dagegen alles Weibliche ein dunkles, unheilvolles Geheimnis gewesen sein.
Altmann: Uns hat der Religionslehrer ein Bild hingestellt, um zu zeigen, dass die Eva die Versauerin des Lebens ist, die das Unglück über den Mann brachte. Vorn sah man das Bild einer hübschen Frau. Hinten konnte man das Bild aufmachen wie einen Adventskalender und da krochen dann die Würmer und die Spinnen raus. So haben wir Neunjährigen „die Frau“ kennengelernt.
Roehler: O je!
Altmann: Ja, die ganze katholische Kacke liegt in diesem Bild, die ganze Wut auf weibliche Schönheit, Sinnlichkeit, Freude, Sexualität, Hingabe. Alles und immer mit Schuld beladen. Im Safe meines Vaters, also bei der Testamentseröffnung, habe ich den Vertrag zwischen den beiden gefunden, der besagte, dass meine Mutter ihn nicht mehr ranlassen musste. Nur zur Befruchtung. In seiner Schublade lagen nach seinem Tod noch so alte „Praline“-Hefte, ganz schmuddelig. Die haben so geklebt, furchtbar.
Roehler: Eigentlich ist das im Grunde, wenn es nicht so bitter wäre, eine wahnsinnig geile, tragikomische Geschichte.
Altmann: Ja, aber auch lustig. Da denkst du, das gibt es eigentlich gar nicht, das ist so komisch, das ist ergreifend blöd.
Bei dir waren es katholische Extremisten, bei dir Eltern, die sich als linke Intellektuelle inszenieren und am Alltag scheitern. Man fragt sich, was schlimmer ist.
Roehler: Ich hatte immer das Problem, dass meine Eltern sich überhaupt nicht für mich interessiert haben, für keine meiner Lebensäußerungen. Damit schlägst du dich schon herum, wahrscheinlich wirklich sogar dein ganzes Leben lang. Im Roman gibt es eine Szene, die in der Verfilmung auch wirklich gut gelungen ist. Da schreit der Kleine, scheißt in die Hose und liegt quasi vor der geschlossenen Zimmertür der Mutter. Und die haut einfach weiter in die Schreibmaschine hinein. Weil das, was sie schreiben will, halt in diesem Moment irgendwie viel wichtiger ist. Ich hab das ja selbst erlebt, als ich an diesem Roman geschrieben habe. Wenn mich da irgendwas gestört hat, eine Sekunde zu laut oder die Tür zu laut – da war ich wirklich extrem tyrannisch … Ich habe geschrien: „Mach die Tür leise zu! Mir ist der Satz verloren gegangen! Ich verliere jetzt alles hier!“ Ich bin da total ausgerastet. Du wirst zum Arschloch und man kann’s von daher irgendwo verstehen: Soll er schreien, soll er verrecken, soll er verhungern! Ich hab hier die Heilige Schrift vor mir – fuck him! Ja? So war’s halt.
Hast du deiner Mutter eigentlich mal persönlich gesagt, wie du über sie denkst?
Roehler: Nö.
Aber du hast sie doch auch getroffen als du längst erwachsen warst?
Roehler: Ja, aber da war ich noch viel zu klein.
Na ja, sie starb, als du 33 warst.
Roehler: Ja, aber trotzdem. Ich war ja ein verirrtes Kind, überhaupt nicht in der Lage, irgendeine Aussage meiner Mutter gegenüber zu treffen, gegen sie oder für sie. Einfach auch, weil ich sie nicht kannte. Meinen Vater kannte ich, und ihm habe ich vieles übel genommen. Den habe ich aber vor seinem Tod, nachdem fünf Jahre lang nach einer Prügelei zwischen uns Funkstille gewesen war, wieder aufgesucht. Ich bin an dem Tag zu ihm gefahren, an dem er erfuhr, dass er Krebs hat. Das Schreckliche, das ich mit ihm durchgemacht hatte, die Sauferei, gab es da nicht mehr, weil er nicht mehr trinken durfte. Da war er dann so, wie er eben war, wenn er seine guten Seiten hatte. Ich kann meinem Vater keinen Vorwurf machen, dass er sein Leben nicht in den Griff bekam. Bei meiner Mutter liegen die Dinge wesentlich komplexer.
Warum kannst du deinem Vater keinen Vorwurf machen, aber deiner Mutter?
Roehler: Weil meine Mutter mit einem ganz anderen Bewusstsein an die Dinge herangegangen ist. Viel manipulativer und demütigender. Meine Mutter war auch stärker als Person, die war im Grunde eine königliche Erscheinung auf ihre Art, die ganz schwer zu knacken war, die enorm größenwahnsinnig war, zum Teil …
In deinem Film „Die Unberührbare“ hast du ein beinahe zärtliches Bild von ihr gezeichnet. Musstest du sie dir von Hannelore Elsner, die ihre Rolle so wunderbar interpretiert hat, wieder zurückholen?
Roehler: Ich hatte so einen romantischen Ansatz bei der „Unberührbaren“, und dann trat so viel zu Tage, auch Dinge, die sie über mich erzählt hat oder so ein Briefwechsel mit ihrer Mutter, wie unglücklich sie ist, was für einen Verlierer sie als Sohn hat, dass ich gemerkt habe: Wow, das ist ja gar kein Opfer, das ist ja eine ganz unangenehme Person gewesen. Mein Zorn auf sie ist extrem gestiegen mit den Jahren. Andererseits habe ich durch die erneute Beschäftigung mit ihr auch wieder andere Facetten an ihr bemerkt. Das war eben auch die Frau, der man an den Augen ansieht, dass sie nicht mehr geliebt wird. Irgendwann bin ich auf ein Buch gestoßen, das sie ein halbes Jahr vor ihrem Tod geschrieben hat, das heißt „Fliegeralarm“. Da beschreibt sie über 250 Seiten akribisch, wie sie, quasi allein gelassen, mit sechs Jahren und ihrem jüngeren Bruder auf irgendwelchen Plätzen in Nürnberg gespielt hat und wie da die Bomben reihenweise runtergingen. Fliegeralarm. Luftangriffe. Dem war sie ausgesetzt. ganz lange Zeit. Meine Mutter hatte einfach komplett ruinierte Nerven, schon mit 17, als sie meinen Vater kennenlernte. Das kannst du aus ihrem Briefwechsel ersehen, komplett ruinierte Nerven
Sie hat dich verlassen, als du drei Jahre alt warst. Im Prinzip hättest du doch irgendwann mal sagen können: Scheiß drauf!
Roehler: Nein, das konnte ich nicht wirklich. Da liest du dann irgendwo, was sie über dich sagt, dass du doch eh ein Idiot bist. Dass du doch überhaupt kein Talent hast. Dass du so’n kleiner bourgeoiser Hurensohn bist. Da bist du nicht gewappnet dagegen.
Altmann: Das Lieblingswort der deutschen Diplompsychologie lautet ja „Dinge aufarbeiten“. Aber du arbeitest das nicht auf. Du wirst damit leben müssen. Bis zu deinem letzten Schnaufer. Die Narben hören nicht auf zu schmerzen. Aber sie überwältigen zumindest mich nicht mehr. Ich habe ja acht Mal versucht, meinen Vater umzubringen. Bin immer wieder daran gescheitert. Ich hatte 20 Jahre lang nachts diese Träume, in denen ich ihn töte, am liebsten mit einer Garrotte. Weißt du, was das ist?
Roehler: Ja.
Altmann: Also, hinten wirst du angebunden, und dann kommt diese Schraube und dann knackst das so schön! Aber diese Träume sind seit Jahren vorbei. Jetzt träume ich nur noch Unsinn.
Roehler: Mein Leben annehmen, das kann ich inzwischen auch. Ich kenne meine Mängel, meine Defizite. Ich habe komischerweise mittlerweile ein Team an Schauspielern um mich herum, die eine ähnliche Lebensgeschichte haben wie ich. Der eine ist vom Vater im Stich gelassen worden, der andere quasi als Straßenkind aufgewachsen. Da gibt’s dann so Rückzugs- und Ruhebedürfnisse, auch so ein Defizit an sozialer Energie. Wo du dann merkst, du schöpfst die Kraft aus dem Alleinsein, aus dem Schreiben – aber eben nicht daraus, dass du jeden Abend Essen gehen musst mit Leuten oder viele Freunde hast. Ich vermisse das überhaupt nicht, im Gegenteil.
Altmann: Also, es muss ja auch irgendwann mal Ruhe sein mit den Schmerzen. Ich sage: Cut! Die Leute fassen es nicht, weil sie nach der Lektüre des Buches eigentlich einen gebrochenen älteren Herren erwarten, der am Rande seiner Möglichkeiten gerade noch so am Leben ist. Nein, so ist es nicht.
Schärft so eine Kindheit und Jugend, wie ihr sie erlebt habt, den Blick für die Dinge, die wirklich wichtig sind im Leben?
Altmann: Negative learning, das wäre mein Wort. Ich weiß nicht, was ich will, aber ich weiß, was ich nicht will. Und alles, was ich als Kind gesehen habe, war: Ich will das nicht. Deswegen habe ich auch keine Küche. Ich koche nie, nie. Bei mir gibt es nur so eine Maschine, mit der man Wasser warm machen kann. Wenn ich irgendwo lebe und da ist eine Küche drin, baue ich die Küche aus. Ich will keine Küche sehen in meiner Wohnung. All diese Scheiße, dieses Bürgerliche, dieses Weihnachten, diese ordinären Haushaltsgeräusche, diese Sofaecke mit Glotze, all dieser Kack, nie! Nie! Ist alles terrorbesetzt.
Kinder habt ihr ja beide nicht. Wäre das am Ende nicht auch eine Form von Rache gewesen? Selbst glückliche, mit Liebe erzogene Kinder zu haben?
Altmann: Ich spüre nicht die geringste Eitelkeit in dieser Beziehung. Bei der Beerdigung meines Vaters, 16 Jahre nachdem ich davongelaufen war, sah ich, dass meine drei Geschwister auch keine Kinder hatten. Dass das Altmann-Geschlecht also aussterben wird. Das ist ein sehr schöner und beruhigender Gedanke.
Oskar Roehler
ist einer der zugleich gefeiertsten und umstrittensten deutschen Kinoregisseure der Gegenwart. Bekannt wurde er 2000 durch seinen Film „Die Unberührbare“, der unter anderem den Deutschen Filmpreis erhielt. Hannelore Elsner spielt in dem schwarz-weißen Psychodrama die gescheiterte Schriftstellerin Hanna Flanders, deren Geschichte offensichtlich der Biografie von Roehlers Mutter Gisela Elsner nachempfunden ist. Roehler wurde 1959 in Starnberg geboren, Elsner und sein Vater, der Lektor und Autor Klaus Roehler, galten damals als Traumpaar der links-engagierten deutschen Literaturlandschaft. Als Roehler drei Jahre alt war, verließ Elsner die Familie, der Sohn wuchs fortan bei den Großeltern auf, kam erst 1967 wieder in die Obhut des Vaters, hatte ab Ende der 70er-Jahre auch wieder Kontakt zur Mutter. Roehlers autobiografisch geprägter, erster Roman „Herkunft“ ist im Ullstein-Verlag erschienen und kostet 19,99 Euro. Unter dem Titel „Die Quellen des Lebens“ soll Roehlers Verfilmung des Buches im Lauf des Jahres 2012 in die Kinos und ins Fernsehen kommen.
Andreas Altmann
ist einer der bekanntesten deutschen Reiseschriftsteller. 1949 in Altötting geboren, arbeitete er zunächst als Theaterschauspieler, schrieb dann erste Reportagen für die Zeitschrift „Geo“. Seit dem Band „Weit weg vom Rest der Welt“, der 1996 erschien, ist Altmann vor allem als Buchautor tätig, durchquerte mehrfach den afrikanischen Kontinent, bereiste per Bus die USA und per Bahn Indien. Seine traumatische Kindheit arbeitete er im 2011 erschienenen Buch „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ (Piper, 19,99 Euro) auf: Vom Vater, einem Rosenkranzhändler, wurden Altmann und seine Brüder schon in jungen Jahren schikaniert, gedemütigt und verprügelt. Auch in der katholischen Schule erlebte er nur Tyrannei und Bestrafungen. Die Mutter verließ fluchtartig die Familie, was das Elend der Kinder noch steigerte. Andreas lief mit 18 von zu Hause weg, musste sich anschließend vielen Therapien unterziehen. Sein Abrechnungsbuch wurde ein Besteller. Im Netz findet man ihn unter www.andreas-altmann.com.