Oscars 2015: Das sind die Gewinner – gewählt von ROLLING STONE
Wer wird welche Trophäen mit nach Hause nehmen? Gibt es einen Erdrutsch-Sieg für "Boyhood"? ROLLING STONE macht die Prognose
„Grand Budapest Hotel“, „Boyhood“ und „Birdman“ gelten als Favoriten für die meisten Oscars. Aber wie oft schon hat ein Außenseiter unerwartet das Rennen machen können? ROLLING STONE wagt die Prognose für die wichtigsten Kategorien.
Bester Film
„Birdman (Or The Unexpected Virtue Of Ignorance)“ mit neun Nominierungen sowie „Boyhood“ mit sechs sind die Favoriten. Wahrscheinlich wird sich „Boyhood“ durchsetzen. Richard Linklaters über einen Zeitraum von zwölf Jahren gedrehte Coming-Of-Geschichte hat bei den Golden Globes schon gewonnen („Bestes Drama“); die Darsteller kamen bei den Screen Actors Guild Awards zum Zuge, aus Übersee gab’s die BAFTA Awards. Für einige der Academy-Mitglieder ist Linklater vielleicht zu left-field, jedoch wird der Drehaufwand des Films sowie dessen experimenteller Charakter gelobt. Dass „Boyhood“ amerikanische Familienwerte in Frage stellt, ist der Jury vielleicht noch nicht aufgefallen. Zu Linklaters Glück. „Birdman“ ist das bessere Werk, allerdings eines, das vom Theater handelt und die Rollen abgehalfterter wie aufstrebender Filmstars karikiert. Die mit wenigen Schnitten gedrehte Tragikomödie dürfte in technischen Oscar-Kategorien seine Vorteile ausspielen. Außenseiterchancen: „American Sniper“ von Clint Eastwood sowie „Grand Budapest Hotel“. Und obwohl Wes Andersons Film mit neun Nominierungen so viele verzeichnet wie „Birdman“, wird die für Amerikaner sehr europäisch anmutende Klamotte wenig gewinnen. Die Chancen sind sogar sehr hoch, dass Regisseur Anderson Zeit seines Lebens nie einen Academy Award als Regisseur kriegen wird. Vielleicht, wie Quentin Tarantino, auch „nur“ als Drehbuchautor.
Oscar: Boyhood
Bester Hauptdarsteller
Michael Keaton, der in „Birdman“ ausgerechnet eine Hollywood-Heldenrolle persifliert? Da wird die Jury es schon als Auszeichnung genug empfinden, dass er überhaupt nominiert wurde, „Golden Globe“ hin oder her. Keaton fällt in die Murray- und Carrey-Kategorie: Komödiendarsteller? Bis hierhin und nicht weiter! Ähnliches trifft auf Steve Carell zu („Foxcatcher“), der in einer ernsten Rolle brilliert – dennoch chancenlos. Bradley Cooper, der in „American Sniper“ den SEAL-Scharfschützen Chris Kyle spielt, ist möglicherweise der beste der diesjährig Nominierten. Allerdings verkörpert er eine kontroverse Figur; dem 2013 ermordeten Irakkriegs-Veteranen Kyle wurde von Kritikern eine faschistoide Haltung bescheinigt, die in Clint Eastwoods Drama nicht diskutiert wird. Die Oscar-Academy liebt dennoch Biopics, und deshalb sind Eddie Redmayne sowie Benedict Cumberbatch die Favoriten. Redmayne verkörpert in „The Theory Of Everything“ den Wunderphysiker Stephen Hawking, Cumberbatch stellt das Leben des britischen Analytikers Alan Turing dar, der im Zweiten Weltkrieg die Geheimbotschaften der Nazis entschlüsselte, wegen seiner Homosexualität jedoch in den Selbstmord getrieben wurde. Beide historischen Persönlichkeiten sind von unschätzbarem Wert. Und obwohl alle Cumberbatch lieben, weiß man auch: Dies ist die erste Nominierung für den 38-Jährigen, und viele werden folgen. Keine Eile. Der kann auf den Oscar warten. Bei dem unbekannten Eddie Redmayne, der wohl jetzt schon die Rolle seines Lebens spielt, sieht das anders aus. Kühl betrachtet: Er spielt einen vormals gesunden Mann, der durch eine Krankheit an den Rollstuhl gefesselt wird und zunehmend erlähmt. Da glühen doch schon die Oscars vor Erwartung! Behinderungen sind für die Jury ein klares Plus.
Oscar: Eddie Redmayne
Beste Hauptdarstellerin
Alle Zeichen stehen auf Julianne Moore, „Still Alice“. Moore, 54, hat jetzt schon fünf Oscar-Nominierungen auf dem Konto, ohne auch nur einmal ausgezeichnet worden zu sein. Durchaltevermögen ohne zu meckern zahlt sich aus. „Sie ist jetzt einfach dran“ – was unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistung angeschoben wird. Denn man darf sich fragen, ob Moores Darstellung einer abgestürzten Hollywood-Schauspielerin in Cronenbergs „Maps To The Stars“, ebenfalls 2014 erschienen, nicht besser ist.
Oscar: Julianne Moore
Bester Nebendarsteller
Viele Kritiker halten J.K. Simmons für einen der besten, und den idealen Nebendarsteller schlechthin. Alle kennen sein Gesicht, aber die wenigsten können aus dem Stand einen Film oder TV-Serie nennen, in denen er mitgespielt hat. Seine Rolle als wilder Schlagzeug-Trainer in „Whiplash“ hat Rezensenten euphorisiert, gewinnen wird er wohl leider nicht. Hier spitzt sich alles auf Edward Norton („Birdman“) und Ethan Hawke („Boyhood“) zu. Norton gilt in Hollywood als schwer zu steuernder Mime, seine ironische Selbstdarstellung könnte dem 45-Jährigen, der einst als größte Schauspieler-Hoffnung galt, zugute kommen. Ethan Hawke, der in „Boyhood“ strenggenommen zweiter Haupt- statt erster Nebendarsteller ist (dem in dieser Kategorie jedoch größere Chancen eingeräumt werden), spielt wieder mal sich selbst in seiner klassischen Linklater-Rolle: gehetzt, leicht ungepflegt und wirr im Kopf. Aber auch überzeugend. Dennoch leichter Vorteil für Norton.
Oscar: Edward Norton
Beste Nebendarstellerin
Emma Stone („Birdman“) ist zu jung, Laura Dern („Wild“) hat keine Lobby, Mery Streep („Into The Woods“) war zu oft dran (19 Nominierungen, dreimal gewonnen), und Keira Knightley ist Keira Knightley. Bleibt Patricia Arquette in „Boyhood“ – auch sie, wie ihr Kollege Ethan Hawke, eigentlich eine Hauptdarstellerin des Films. Auffallend häufig wurde von Kritikern ihre Wandlungsfähigkeit über den Zeitraum von zwölf Jahren gelobt, bezogen jedoch auf den körperlichen Wandel ihrer Figur und dem damit verbundenen „Mut“ ihn zu zeigen. Eine durchaus sexistische Bewertung, die ihre schauspielerische Leistung überdeckt.
Oscar: Patricia Arquette
Beste Regie
Die Entscheidung wird zwischen Richard Linklater („Boyhood“) und Alejandro G. Iñárritu („Birdman“) fallen. Mit ihnen macht man nichts falsch, man setzt sogar ein Statement. Denn beide haben relativ gewagte Filme gedreht, die beide hätten scheitern können. Linklater mit seinem Jahrzehnt-Projekt, Iñárritu mit seinem wie ein Theaterstück gedrehtes Werk der ewig langen Einstellungen und Kamerafahrten. Möglich ist auch eine Lösung wie im vergangenen Jahr: „12 Years A Slave“ bekam 2014 den besten Film, „Gravity“ die beste Regie. Würde übertragen auf 2015 bedeuten: „Boyhood“ wird „Best Picture“ und Iñárritu, der 2006 schon einmal für „Babel“ nominiert wurde, „Bester Regisseur“. Sieht irgendwie nach dieser vermeintlichen Und-alle-sind-glücklich-Regel aus.
Oscar: Alejandro G. Iñárritu
Bester Soundtrack
Hans Zimmer würde sich mit „Interstellar“ gerne nach oben lärmen, allerdings hat ein Mann namens Alexandre Desplat in diesem Jahr gleich zwei Nominierungen vorzuweisen: für „The Imitation Game“ sowie „The Grand Budapest Hotel“. Der Franzose hat damit acht Nominierungen in zehn Jahren angesammelt. Von Walzer bis Kriegsmusik beherrscht er alles – außerdem gäbe es hier die Gelegenheit, das neun mal nominierte „Hotel“ überhaupt auszuzeichnen.
Oscar: Alexandre Desplat
Bester Song
Der beste animierte Film des Jahres war das „Lego Movie“ – das in der Animations-Kategorie verblüffenderweise gar keine Nominierung erhielt. Insgesamt gab es für Lego nur eine, und die für den Song: „Everything Is Awesome“ von Shawn Patterson. Ein Ohrwurm, aber kein Gewinner-Lied. Größte Chancen hat ein amerikanisches Idol: Glen Campbell. In „Glen Campbell … I’ll Be Me“ geht es um seine Alzheimer-Erkrankung. Das berührende „I’m Not Gonna Miss You“, komponiert von ihm und Julian Raymond, dürfte das Rennen machen.
Oscar: Glen Campbell und Julian Raymond
Bestes adaptiertes Drehbuch
Paul Thomas Anderson gilt als der vielleicht talentierteste Filmemacher unter 50, außerdem hat er mit „Inherent Vice“ die bislang einzige Verfilmung eines Romans von Thomas Pynchon vorgelegt. Er hat jetzt sechs Nominierungen, vier davon für Drehbücher. Aber irgendwie möchte man seine abstrakten Gesellschaftsentwürfe in Hollywood nicht entsprechend honorieren. Wird wieder nichts, P.T.! Dabei ist das Feld in dieser Kategorie so dünn besetzt wie selten. Hier schlagen ja oft die Außenseiter zu. Größere Chancen haben Anthony McCarten („The Theory Of Everything“) und Damien Chazelle („Whiplash“).
Oscar: Anthony McCarten
Bestes Original-Drehbuch
Hier herrscht diesmal dichtes Gedränge, Alejandro G. Iñárritu kann sich für „Birdman“ Hoffnungen machen (wohl nicht, wenn er die „Beste Regie“ erhält), Richard Linklater für „Boyhood“ (welche Ereignisse gilt es in einem Zeitraum von zwölf Jahren zu berücksichtigen?), der ansonsten übersehene „Nightcrawler“ kriegt eine Trost-Nominierung (Drehbuch von Dan Gilroy) – aber womöglich wird Wes Anderson der lachende Fünfte sein. Weil das „Grand Budapest Hotel“ ansonsten möglicherweise leer ausgehen wird.
Oscar: Wes Anderson