Open Flair 2014: flutartige Wetter-Extreme und harter Sound in Eschwege
Hitze, Mückenstiche und sintflutartige Regenschauer machten Zuschauern und Bands zu schaffen - nichtsdestotrotz ein gelungenes Festival.
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Seit Jahren perfektioniert das Open Flair die Kunst, ein Festival ohne wirklichen Headliner auszuverkaufen. Auch zum 30-jährigen Jubiläum waren alle Karten vergriffen, lange bevor der finale Act des Wochenendes bekannt gegeben wurde. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Festival inmitten von Eschwege mit seinem bunten Programm von Rockshows bis Kleinkunst an ein großes Stadtfest erinnert, das alle Altersklassen anzieht.
Vielversprechende hippe Newcomer sucht man eher vergebens, Festivalliebling Casper bringt wie gewohnt alle Mädchen um den Verstand, Seeed besingen dicke Hintern und ihre Heimatstadt Berlin. Plumpe Klauerei bei M.I.A. („Paper Planes“), Justin Timberlake („Sexy Back“) und „Harlem Shake“ lässt jedoch erahnen, dass die Kombo um Peter Fox ihre besten Tage hinter sich hat. Nichtsdestotrotz flippen bei beiden Auftritten alle geschlossen aus – wenn jemand an diesem Wochenende die Bezeichnung „Headliner“ verdient hat, dann wohl sie.
Viel interessanter ist jedoch die große Bandbreite an Punk-, Rock- und Hardcore-Bands, die während des Open Flairs Eschwege unsicher machen. Während die ersten Besucher bereits am Mittwoch und Donnerstag mit Bands wie Ignite, Zebrahead und Madsen angelockt wurden, fällt spätestens mit dem Auftritt der Polit-Punker von Anti-Flag am Freitagnachmittag der Startschuss für ein Wochenende im Moshpit. Millencolin zelebrieren den typischen 90’s Pop-Punk, die Securities sind mit Wasserpistolen bewaffnet und werden sie an diesem Wochenende nur selten aus der Hand legen – bei der durchweg gnadenlos knallenden Sonne kann man ihnen dafür jedoch nur dankbar sein. Die Broilers sorgen am Freitagabend mit ihrem auf Rebellion getrimmten Stadionrock für die wohl lautesten Singalongs des Wochenendes.
Wer trotz fettem Sound keine Lust auf Parolen-Gebrüll hat, schlägt den Weg zur etwas weiter entfernten Seebühne ein. Dort warten mit Reel Big Fish nämlich schon die nächsten Helden des Punks der Jahrtausendwende auf feierwütige Besucher. Die Meute kann sich bei Ska-Punk-Hits wie „Beer“ noch einmal richtig verausgaben und nimmt dabei gern in Kauf, mit Mückenstichen übersät zu werden. The-Loved-Ones-Sänger Dave Hause sorgt später für einen ruhigen Ausklang des Abends.
Umso lauter geht das Programm am nächsten Tag weiter: Boysetsfire eröffnen den Pit, Bassist Robert Ehrenbrand verpasst extra für den Auftritt den Geburtstag seines Sohnes, wird jedoch mit einem Geburtstagsständchen entschädigt. Enter Shikari sorgen anschließend für totales Chaos: Gitarrist Liam Clewlow verbringt die ersten Songs im Publikum und kämpft anschließend mit Sand im Auge, Sänger Roughton Reynolds hält es sowieso nie auf der Bühne. In der Mitte des Sets reicht ihm der Bühnengraben nicht mehr aus und so klettert er auf die VIP-Tribüne und hangelt sich von dort wieder nach unten. Ein paar ältere Gäste auf der Tribüne scheinen nicht fassen zu können, was da geschieht.
Etwas entspannter geht es da bei den Berlinern von Kadavar zu, deren Psychedelic- und Stoner-Rock eine willkommene Verschnaufpause bietet, bevor die Seebühne von The Baboon Show in Schutt und Asche gelegt wird. Sängerin Cecilia Boström tobt über die Bühne und schreit sich die Seele aus dem Leib, kommuniziert mit viel Witz und Sexappeal mit dem Publikum und kippt sich zwischendurch zur Abkühlung eine Flasche Wasser über den Kopf. Am Bühnenrand steht Michael Star von Steel Panther und scheint sich mit ungläubigem Gesichtsausdruck zu fragen, wie seine Band das anschließend toppen soll.
Als Steel Panthers Auftritt schließlich mit Iron Maidens „The Number Of The Beast“ beginnt, hat sich der Zuschauerraum deutlich gefüllt. Bevorzugte Kleidungsstücke: Leggings und Jeanswesten. Routiniert liefert die Band ihre Parodie einer Glam-Rock-Band ab, niveaulose Witze und blankgezogene Brüste im Publikum inklusive. Ein paar Besucher scheinen jedoch keinen Spaß zu verstehen und suchen kopfschüttelnd das Weite.
Etwas weniger glamourös beginnt der letzte Tag des Festivals schließlich mit Feine Sahne Fischfilet, auch wenn die Band dem Publikum eine Sektdusche verpasst. Immer wieder erklingen „Alerta Antifascista“-Sprechchöre, Sänger Jan Gorkow zündet einen Bengalo und plötzlich ist jeder Anti-Faschist und singt laut mit. Als anschließend erste Regentropfen beim Auftritt von Apologies, I Have None vom Himmel fallen, scherzt Sänger Josh McKenzie noch, dass er froh sei, nicht vor der Bühne stehen zu müssen. Wenige Minuten später muss die Band ihr Set abbrechen, minutenlang wütet ein Sturm in Eschwege und das Festivalgelände steht anschließend komplett unter Wasser.
Die Feierlaune lassen sich die Besucher davon jedoch nicht verderben, genauso wenig wie Frank Turner, der mit etwas Verspätung die Bühne betritt. So richtig aufhören will der Regen jedoch erstmal nicht, darunter leiden vor allem Lagwagon, die wohl wetterbedingt vor einem recht überschaubaren Publikum spielen müssen, sich dafür jedoch umso mehr über den „Mudpit“ freuen, der optisch leicht an den 1994er Woodstock-Auftritt der Nine Inch Nails erinnert.
Anschließend ist es endlich so weit: der lang geheim gehaltene, doch eigentlich nie wirklich geheim gewesene Special Guest betritt die Bühne: Rise Against. Die Wolken verziehen sich endlich und dafür, dass viele Ticketkäufer im Vorhinein angeblich aus Enttäuschung über den „Headliner“ ihre Karten wieder verkaufen wollten, ist es ordentlich voll auf dem Gelände. Die Band wurde extra für den Auftritt eingeflogen, es ist das derzeit einzige Konzert in Europa. Zur Feier gibt es ein Hit-lastiges Programm von „Ready To Fall“ bis „Satellite“, für ein kurzes Akustik-Set von Sänger Tim McIlrath ist auch noch Zeit, bevor um 24 Uhr das 30. Open Flair Festival vorbei ist und man sich schon auf die nächste Ausgabe ohne „richtige“ Headliner freuen kann.