Online Gaming boomt. Doch die Welt der digitalen Freizeitritter kommt zunehmend unter die Räder der ökonomischen Realität
Das Haus schien ein ventables Schnäppchen. Zwölf Zimmer, vier Bäder, ein Parkähnliches Grundstück, obendrein eine unverbaubare Traumlage am Rande der boomenden Metropole. Kein Wunder, dass sich die Interessenten auf Ebay geradezu überschlugen.
Die Begeisterung des glücklichen Gewinners, der das Anwesen schließlich für schlappe 2425 $ erstand, dürfte auch ob eines kleinen Schönheitsfehlers nicht ernsthaft gedämpft worden sein: Das Haus existiert nur in den Tiefen des virtuellen Raumes. Genauer gesagt: Es ist Teil des digitalen Mobiliars, ohne das Fantasy-Spiele wie „EverQuest“, „Dark Age Of Camelot“ oder „Ultima Online“ überhaupt nicht denkbar wären. Es war im Herbst ’97, als Electronic Arts mit „Ultima Online“ den Startschuss ins Online-Gaming-Zeitalter gab. Für einen monatlichen Obolus von $ 9.95 darf sich der todesmutige Freizeit-Ritter in ein mittelalterliches Scharmützel stürzen, er darf Drachen töten und Schurken bezwingen. Er kann aber auch die dort mühsam erworbenen
Gold-Nuggets in den Aufbau einer bürgerlichen Existenz stecken: Er kauft ein Grundstück, baut – Stein um Stein – sein kleines Häuschen und sorgt schließlich auch für das gepflegte Ambiente. Je höher das Game-Level, desto fetter das Punktepolster und die damit möglichen Annehmlichkeiten.
Was als Spiel begann, ist indes längst von der nackten ökonomischen Wirklichkeit eingeholt worden. Wer nicht monatelang vor dem Computer brüten und im Schweiße des Angesichts magere Punkte sammeln will, kann nämlich auch das Scheckbuch zücken. Auf der amerikanischen Ebay-Site finden sich täglich mehrere tausend Angebote, die dem müßigen Online-Gamer das Leben im Mittelalter erleichtern: E-Schuhe für fünf Dollar, E-Tische für zehn, E-Schwerter für 30. Oder eben ein komplett eingerichtetes Schlösschen für gerade mal 2425 Dollar. (Der Verkäufer trägt den Käufer dabei sozusagen in das digitale Grundbuch der jeweiligen Game-Welt ein.) Schon gibt es hauptberufliche Makler, die vor dem Bildschirm auf preiswerte Schnäppchen lauern, um sie anschließend auf Ebay wieder gewinnbringend zu verkaufen. Glaubt man einschlägigen Magazinen, so ist dabei ein sechsstelliges Jahreseinkommen durchaus nicht ungewöhnlich. (In Dollar, wohlgemerkt, nicht in Gold-Nuggets!) Immerhin weist „Ultima Online“ derzeit 225000 Abonnenten aus, während es „Ever Quest“ gar auf 430000 zahlende Mitglieder bringt.
Doch schon im fünften Jahr seines Bestehens beginnt das digitale Biotop bedrohlich zu kippen. Als wenig staatstragend erweisen sich dabei die bösen Hacker, die das Objekt der Begierde duplizieren und so die sorgsam ausgetüftelte Online-Ökonomie unterminieren. Die Parallen zur realen Welt sind erschreckend: Druckt Vater Staat zuviel Geld, ist die Inflation nun mal unausweichlich. Wer beim Türken ertappt wird, bekommt zwar lebenslang Spielverbot, kann sich aber immer noch eine andere Identität und Kreditkarte zulegen. (Was, zumindest im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, bekanntlich schon immer eine der leichteren Übungen war.) Doch die Geier lauern überall. Eine kalifornische Firma wurde unlängst vor den ganz realen Kadi gezerrt, weil sie im mexikanischen Niedriglohn-Land Dutzende von Handlangern beschäftigte, die – obendrein in drei menschenunwürdigen Schichten! – kostengünstig digitale Reichtümer erspielten, die anschließend vom großkapitalistischen Auftraggeber mit satter Gewinnspanne verscherbelt wurden. Kinderarbeit in pakistanischen sweatshops ist eine Bagatelle dagegen. Der Fall gehört vor den digitalen Gerichtshof.
Sony, der Anbieter von „EverQuest“, einigte sich daraufhin mit Ebay, dass die vermeintlich illegalen Requisiten in Zukunft nicht mehr offiziell auf der Auktions-Site angeboten werden dürfen. Schließlich ist man der geistige Urheber des Spiels – und sieht nicht ein, dass sich hergelaufene Game-Piraten an den sprudelnden Profiten bereichern.
Doch auch in diesem Punkte ist die clevere Konkurrenz von Electronic Arts bereits einen Schritt weiter: Für preiswerte $ 29.95 kann man auf der EA-Website eine High-Level-Spielfigur erwerben, die die Niederungen des kargen Online-Lebens bereits hinter sich gelassen hat.
Was fraglos eine feine Sache ist. Auf dem Weg vom Tellerwäscher zum Millionär kann man künftig die ersten, wenig erquicklichen Stationen mühelos überspringen. Welcome to the American dream, A.D. 2003.