Okkervil River live in Berlin: Mobbing, Selbstmordgedanken und unschuldige Liebe
Schöner reisen mit Okkervil River. Die Geschichtenerzähler aus Texas lösen mit ihrem großen Indie-Rock Fernweh aus.
Mit „The Stage Names“ haben Okkervil River vor sechs Jahren ein Album geschaffen, auf das sich alle einigen konnten. Drei Alben später stehen sie wieder in Berlin auf der Bühne und zeigen keine Ermüdungserscheinung.
Will Sheff hat ja noch so viel zu erzählen. Auf der aktuellen Platte „The Silver Gymnasium“ verarbeitet er die Jugendzeit in Meriden, seiner US-amerikanischen Heimatstadt. Mobbing, Selbstmordgedanken und unschuldige Liebe sind die großen Themen. Die damalige Außenseiterrolle hat sich über die Jahre in sympathische Leidenschaft verwandelt. Seine abgenutzte Akustikgitarre schwingt er hinter den Rücken um sich mit beiden Händen am Mikro festzukrallen und mit dem Ständer zu tanzen, als wäre er der Elvis des Indie-Rock. Dabei ähnelt er mit seiner Strubbelfrisur und der dicken Brille viel mehr John Lennon. Die Songwriting-Qualitäten kommen da jedenfalls hin.
Sheff verpackt seine Geschichten in todtraurige Songs, die durch den energetischen Sound der Band aber in Hoffnungshymnen verwandelt werden. Das anfangs etwas verhaltene Publikum taut nur langsam auf; wenn die Hits kommen, wird aber auch laut mitgesungen, ganz zum Vergnügen der Band. Für Okkervil-Neulinge lässt sich diese Melancholie an diesem Abend jedoch nur erahnen. Die Stimme matscht durch die Boxen und macht es fast unmöglich die Texte zu verstehen. Nur bei den beiden Songs, die Sheff alleine vorträgt, kommen diese erstmals richtig zur Geltung.
Das ist schade, der Energie auf der Bühne tut das aber keinen Abbruch. Lauren Gurgiolo fegt so präzise über die Saiten und hüpft dabei im Kreis, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Sheff wirft lachend den Kopf in den Nacken, als er mit dem Kapodaster am falschen Bund ansetzt und zu spielen beginnt. Die Kollegen nehmen es ihm nicht übel, sie hätten sogar sofort darauf reagiert und in einer anderen Tonart den Song fortgesetzt. Spätestens hier erkennt man, welche Klasse von Musikern vor einem steht. Das ist keine choreografierte Show, das ist Rock’n’Roll. Fast drei Stunden davon. Sie zelebrieren jeden Moment. Die vorhin noch zurückhaltenden Zuschauer tauen langsam auf, bei Hits wie „Our Life Is Not A Movie Or Maybe“ oder „It Was My Season“ wird auch mitgesungen, was von der Band mit großem Grinsen zur Kenntnis genommen wird. „Unless It’s Kicks“ der Hit von „The Stage Names“ kommt als obligatorische Zugabe und beschließt den Abend mit einem Knall. Hoffentlich kann man die Texaner noch oft ihre Geschichten erzählen sehen.