Occupy Folk-Pop!
Der lässige Polit-Dandy Jason collett muss seine Songs schnell schreiben, sonst motzen die Kinder
Jammern zur Akustik-Gitarre, das könne ja fast jeder. Humor und Sexyness aber, das seien die beiden Tugenden, die einen großen Songschreiber von einem guten unterscheiden. Der Mann, der solches sagt, muss es wissen: Jason Collett, der zu Beginn seiner Laufbahn als Mitglied der kanadischen Freistiltruppe Broken Social Scene in Erscheinung trat, ist ein Großer und wenn es etwas gibt, was seine stets leichtfüßig daherkommenden Lieder ausmacht, dann die genannten Kriterien. „In der jüngeren Generation finde ich das momentan nur bei Father John Misty, bei den Älteren ist Nick Lowe der Meister“, informiert Collett, der kürzlich sein sechstes Album, „Reckon“, veröffentlichte.
Die lässige Hingeworfenheit seiner Songs verdankt sich dabei einem ganz praktischen Grund: Collett wurde bereits in jungen Jahren Vater und ist eigentlich ständig von seinen Kindern umgeben. Er scheine, wo auch immer er auftauche, ein Kind bei sich zu haben, schreibt denn auch sein Freund und Bewunderer Torquil Campbell, Sänger der Band Stars, in der Info über ihn. „Ja, das stimmt“, amüsiert sich Collett. „Wenn du Kinder hast, kannst du dich nicht zum Stückeschreiben zurückziehen. Ich schreibe die Lieder, während meine Kinder um mich herumwuseln. Entsprechend schnell muss ich zu Potte kommen.“ Doch das sei gut so: Er halte nichts davon, zu sehr an Musik herumzuschrauben. Vielleicht, so Collett, werde ihn sein ältester Sohn ja auch mal in der Band begleiten, „er ist nämlich ein ziemlich guter Schlagzeuger inzwischen“.
Das neue Album, wieder mit Colletts Kumpan Howie Beck aufgenommen, zelebriert abermals Colletts Stammsound: Ein cooles Ennui zieht sich durch seine Lieder, eine verpennte Lässigkeit, die natürlich nur deshalb funktioniert, weil der Mann ein Händchen für hochdosierte Eingängigkeiten hat. Wie immer bei Collett gibt es musikalisch nichts Neues zu hören: Seine Platten klingen stets wie Best-of-Westcoast-Sampler oder K-tel-Hit-Compilations von 1975. Doch der Mann aus Toronto demonstriert mal wieder aufs Schönste, dass es im Rock’n’Roll – und diese Vokabel zieht er zur Beschreibung seiner Musik vor -, je länger seine Geschichte währt, weniger um Kategorien wie „neu“ oder „alt“, „progressiv“ oder „rückschrittlich“ geht, als vielmehr darum, ob er eine Verbindung mit unseren tief verwurzelten Sehnsüchten eingehen kann.
Auch wenn Collett klingt wie immer – es ist einiges anders auf „Reckon“: Die Frage, ob dies sein bislang politischstes Album sei, bejaht er noch, bevor die Frage zu Ende gestellt ist: „Unbedingt! Die Welt ist 2008 mit dem ganzen ökonomischen Zusammenbruch aus den Fugen geraten. Es geht um die Vernichtung der Mittelklasse in Nordamerika. Aber in Europa passiert ja dasselbe.“ Doch Collett wäre nicht Collett, wenn er plötzlich anfinge, politische Brandreden zu halten. „Nein, so etwas ist ja grauenhaft auf Rock’n’Roll-Platten“, lacht er. „Ich versuche einfach weiter, persönliche kleine Geschichten zu erzählen.“ Und setzt nach einer Pause nach: „Die politischen Brandreden spare ich mir für die Ansagen auf der Bühne.“
Am offensichtlichsten findet sich das Thema der gesellschaftlichen Verarmung sicherlich im Gassenhauer „I Wanna Rob A Bank“; aber auch „When The War Came Home“ oder „Don’t Let The Truth Get To You“ erzählen von Menschen, die dem Zerbröckeln ihrer Welt zuschauen. Wenn die Occupy-Bewegung ein Folk-Pop-Album wäre, dann klänge es wohl so wie „Reckon“.
Doch nicht alles hier verhandelt die ganz großen Themen: Colletts Stärke auf seinen früheren Alben war stets seine Gabe, kleine Geschichten in rustikale Popsongs zu überführen. Ein Talent, das man auf der dem neuen Album beigefügten Bonus-Compilation mit diversen Karrierehöhepunkten noch mal überprüfen kann. Um Einblicke in die Abgründe von Zweierbeziehungen ist der alte Dandy noch immer nicht verlegen: „Das Fremdgeher-Dramulett „Ask No Questions“ etwa klingt beinahe wie eine klassische Lee-Hazlewood-Komposition. Noch so einer, der wusste, wie wichtig Humor und Sexyness für einen guten Song sind. Eric Pfeil