Obama: Das ROLLING STONE-Interview
Der Herausgeber des US-ROLLING STONE Jann S. Wenner traf Präsident Obama zum persönlichen Gespräch. Hier gibt es das vollständige Interview in deutscher Sprache. Übersetzung: Bernd Gockel.
Wofür steht die Republikanische Partei Ihrer Meinung nach heute?
Nun, in Wirtschaftsfragen scheint der einzige Punkt auf ihrer Agenda das Steuergeschenk an die Wohlhabenden zu sein. Wenn man ihre Führungsspitze danach befragt, wie sie das Wachstum ankurbeln und die Zahl der Arbeitsplätze erhöhen wollen, heißt es nur: „Wir wollen die Steuersenkung für die reichsten Amerikaner. Das wird uns 700 Milliarden Dollar kosten, aber woher das Geld kommen soll, wissen wir auch nicht.“
Inzwischen sagen sie auch: „Wir wollen die Ausgaben kontrollieren.“ Nur: Wenn man 700 Milliarden ausgeben will, um den Leuten, die über eine Million jährlich verdienen, ein Steuergeschenk in Höhe von 100.000 Dollar zu machen – und nicht einmal weiß, wie das finanziert werden soll, wenn Mitch McConnell ein Steuerpaket in einer Gesamthöhe von vier Billionen Dollar ankündigt, wenn die republikanische Fraktion eine überparteiliche Kommission zur Haushaltssanierung ablehnt, die ursprünglich von Judd Gregg, dem republikanischen Vorsitzenden der Budget-Kommission, ins Gespräch gebracht wurde, dann hat man nicht das Gefühl, dass es ihnen mit der Ausgabenreduzierung ernst ist.
Was halten Sie von der Tea Party und den Leuten, die sie unterstützen?
Die Tea Party ist ein Amalgam, in der verschiedene Strömungen der amerikanischen Politik, die schon seit geraumer Zeit existieren, nun bunt zusammengewürfelt werden. Es gibt dort überzeugte und wohlmeinende Liberale, die grundsätzlich glauben, dass sich der Staat aus den Märkten und der Gesellschaft heraushalten sollte. Es gibt sozial Konservative, die mich genauso ablehnen, wie sie Bill Clinton abgelehnt haben – und die jeden demokratischen Präsidenten als zu liberal und progressiv ablehnen würden. Es gibt Tea-Party-Anhänger, die davon abgestoßen sind, wie die Interessen der Mittelklasse und der Arbeiter von den Lobbyisten in Washington mit Füßen getreten werden – auch wenn ihre Wut dabei in die falsche Richtung zielt. Und dann gibt es noch Elemente, die etwas suspekter sind, die sich über die Probleme der illegalen Einwanderer definieren beziehungsweise grundsätzlich irritiert sind von den Werten, für ich als Präsident stehe. Insofern fällt es schwer, die Tea Party als Ganzes zu charakterisieren, zumal die Bewegung noch damit beschäftigt sich, sich selbst zu definieren.
Glauben Sie, dass die Bewegung manipuliert wird?
Es kann keinen Zweifel geben, dass es sehr konservative, sehr einflussreiche Special-Interest-Gruppen gibt, die die Finanzierung und Bereitstellung einer Infrastruktur für die Tea Party gewährleisten. Ich denke, das ist kein Geheimnis. Dick Armey und die „Freedom Works“-Organisation, die als erste der Tea Party logistisch unter die Arme gegriffen hat, wird von industriellen Gruppen finanziert, die die Umsetzung der Umweltschutz-Regulierungen verhindern möchten, die sich einer neuen Energie-Politik jenseits fossiler Brennstoffe in den Weg stellen, die kein Interesse an neuen Sicherheits-Vorschriften am Arbeitsplatz haben und auch Gegner der Regulierungen in der Finanzindustrie sind, die wir inzwischen auf den Weg gebracht haben.
Es gibt auch keinen Zweifel, dass die größte Finanzkrise seit der Großen Depression in der Bevölkerung eine Welle der Wut und Frustration ausgelöst hat. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang noch einmal vor Augen halten, dass diese Rezession schlimmer ist als die Reagan-Rezession in den 80er-Jahren, die 1990/91er-Krise und die Rezession von 2001 zusammengenommen. Die Politik musste schwere Tiefschläge verdauen, die politischen Entscheidungsprozesse wurden in der Folge in Mitleidenschaft gezogen – was wiederum draußen im Lande für Unverständnis und Ärger sorgt. Aber die Tatsache, dass es nun finanziell bestens ausgestattete Gruppierungen gibt, die diesen Ärger fokussieren – ihn gezielt fehlleiten, wäre vielleicht das bessere Wort -, trägt sicher dazu bei, dass die Tea Party bei der kommenden Wahl eine ernst zu nehmende politische Kraft wird.
Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zu Fox News? Leistet dieser Sender einen positiven Beitrag für Amerika und die Demokratie?
(Lacht). Sagen wir’s so: Bei meiner Vereidigung habe ich geschworen, die Verfassung zu verteidigen, und Teil dieser Verfassung ist nun mal eine freie Presse. Wir haben in diesem Land traditionell eine Presse, die von ihrer subjektiven Meinung freizügig Gebrauch macht. Das goldene Zeitalter, in der sich die Presse um Objektivität bemühte, währte leider nicht lange. Vorher gab es schon Verleger wie Hearst, die ihre Zeitungen sehr gezielt zur Verbreitung ihrer subjektiven Positionen einsetzten. Ich würde sagen, dass Fox ein Teil dieser Tradition ist – einer Tradition, die einen fest umrissenen ideologischen Standpunkt vertritt. Es ist ein Standpunkt, den ich nicht teile. Und ein Standpunkt, von dem ich glaube, dass er langfristig schädlich ist für das Wachstum eines Landes, das über eine ausgeprägte Mittelschicht verfügt und auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig ist. Aber als Geschäftsmodell ist Fox natürlich überaus erfolgreich. Und ich vermute, dass Mr. Murdoch auf die Frage, wem oder was in seinem Konzern sein Hauptaugenmerk gilt, antworten würde, dass es der Erfolg von Fox ist.