Obama: Das ROLLING STONE-Interview
Der Herausgeber des US-ROLLING STONE Jann S. Wenner traf Präsident Obama zum persönlichen Gespräch. Hier gibt es das vollständige Interview in deutscher Sprache. Übersetzung: Bernd Gockel.
Es war kurz nach 13 Uhr, als wir am Südwest-Flügel des Weißen Hauses ankamen. Der 17. September war ein sonniger Herbsttag, aber die Hauptstadt schien halb leer und geradezu verschlafen – wie es an einem Freitag im Sommer eigentlich üblich ist: Der Kongress ist im Urlaub. Der ROLLING STONE hatte zuvor bereits zwei Interviews mit Obama geführt, beide Male an Bord seines Wahlkampfflugzeuges – das erste im Juni 2008, als er die Nominierung der Demokratischen Partei gewonnen hatte, dann noch einmal im Oktober, einen Monat vor der Präsidentschaftswahl. Diesmal wurden Redakteur Eric Bates und ich im Oval Office empfangen – zwischen den Büsten von Abraham Lincoln und Martin Luther King. Das Gespräch dauerte 75 Minuten und wurde eröffnet durch ein Kompliment, das Obama mir beziehungsweise meinen mehrfarbigen, gestreiften Socken machte: „Wäre ich nicht Präsident“, sagte er lachend, „würde ich die auch tragen.“
Als Sie Ihr Amt antraten, hatten Sie die Hoffnung, mit dem politischen Gegner zusammenarbeiten zu können. Wann haben Sie festgestellt, dass die Republikaner keine Anstrengungen unternehmen, um einen überparteilichen Konsens herzustellen?
Angesichts der wirtschaftlichen Probleme war ich in den Monaten vor meiner Amtseinführung eigentlich davon ausgegangen, dass alle am gleichen Strick ziehen würden. Die Gefahr war beträchtlich, dass es im Finanzsektor zur einer Kernschmelze kommen würde, die das gesamte Land in eine Depression gerissen hätte. Wir mussten sehr schnell handeln und mit einem ganzen Maßnahmen-Katalog dafür sorgen, dass der freie Fall gebremst und der Verlust von Arbeitsplätzen minimiert wurde.
Unser Recovery-Paket basierte auf der Vorgabe, nicht aus ideologischen Motiven potenziell sinnvolle Maßnahmen auszuschließen. Folglich bestand etwa ein Drittel des Paketes aus Steuersenkungen. Und es waren die radikalsten Steuersenkungen in der Geschichte dieses Landes! Es waren Steuersenkungen, die vor allem der typischen Mittelklasse-Familie zu Gute kamen. Das war nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch der ökonomischen Intelligenz: Das sind nun einmal die Leute, die das Geld wieder in Umlauf bringen und dadurch die einbrechende Nachfrage beleben.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich die Fraktionsspitze der Republikaner besuchte, um ihnen unsere Ideen zu präsentieren und mögliche Vorschläge von ihnen zu integrieren. Als ich mich gerade auf den Weg machte, veröffentlichte die Fraktion ein Statement mit dem Inhalt, dass die gesamte Fraktion geschlossen mit einem „Nein“ stimmen würde. Und das, bevor überhaupt eine Diskussion stattgefunden hatte! Zu diesem Zeitpunkt wurde uns klar, dass wir nicht mit der Kooperationsbereitschaft rechnen durften, die wir eigentlich erwartet hatten. Ihre Strategie bestand darin, das Spielfeld zu verlassen und Entscheidungen einfach zu boykottieren. Angesichts der Schwere der wirtschaftlichen Probleme gingen sie wohl davon aus, dass sich die Situation so schnell nicht verbessern würde, auch 2010 nicht – und dass es von Vorteil für sie sein würde, uns den Schwarzen Peter zuzuschieben statt selbst an der Lösung der Probleme mitzuarbeiten.
Wie gehen Sie damit um, dass praktisch alle Ihre Vorschläge gegen eine Wand aus Widerständen prallen? Sind Sie frustriert – gar schockiert?
Als Schock würde ich es nicht bezeichnen. Ich war vorher ja schon im Senat tätig und habe miterlebt, wie der Filibuster (eine US-spezifisches parlamentarisches Manöver, um eine Diskussion endlos hinauszögern zu können. – Red.) zur Norm wurde, um unerwünschte Entscheidungsprozesse zu verlangsamen.
Was mich allerdings überrascht und auch enttäuscht hat – wobei ich zähneknirschend einräumen muss, dass dieses Mittel unglaublich effizient eingesetzt wurde – , ist die Tatsache, dass es Mitch McConnell (dem Vorsitzenden der republikanischen Senats-Fraktion) gelungen ist, die Fraktionsdisziplin so lange aufrecht zu erhalten. Am Ende haben wir ihre Gegenwehr dann doch gebrochen und wichtige Gesetze auf den Weg gebracht – wovon einige leider nicht die angemessene Beachtung gefunden haben: die Kreditkartenreform, die Regulierung der Tabakindustrie, das Gesetz gegen den Missbrauch bei der Hypotheken-Vergabe. Wir waren in der Lage, zwei oder drei Republikaner auf unsere Seite zu ziehen, die sich lieber für ihr Gewissen entscheiden wollten.
Aber die parlamentarischen Tricks und die Blockade-Mentalität trugen dazu bei, dass vieles erst mit Verspätung angeschoben wurde. Und selbst wenn man dann sein Ziel erreicht hatte, trug das zähe Ringen dazu bei, dass es bei den Wählern hieß: „Mein Gott, Obama wollte doch in Washington aufräumen, aber jetzt sind die Parteien genauso zerstritten wie früher, wenn nicht noch mehr.“ Alles scheint sich endlos dahinzuschleppen, selbst Standard-Prozesse wie die Ernennung von Staatsbeamten. Dadurch entstand eine Atmosphäre, in der die Öffentlichkeit – die ohnehin schon skeptisch die Regierungsarbeit verfolgte, nach meiner Wahl aber Hoffnung geschöpft hatte – sich desillusioniert fühlt und sagt: „Es ist doch nur das alte Lied.“