Oasis-Reunion: Was wird eigentlich gefeiert – zwei gute Alben, drei Jahre gute Musik?

Über die Risiken einer Oasis-Wiedervereinigung bei einem mittelmäßigen Backkatalog

Was unterscheidet Oasis von The Police? Beide Bands lösten sich auf, die eine 1984, die andere 2009. Als Police sich 1984 trennten, blickten sie auf eine Strecke von fünf Alben zurück, von denen jedes erfolgreicher war als dasjenige davor (The Cure haben das sogar mit ihren ersten zehn Alben geschafft – haben sich aber nie aufgelöst). The Police haben außerdem das Kunststück vollbracht, die einzige Superstar-Band zu sein, die sich nach ihrer erfolgreichsten Platte, „Synchronicity“, auflöste (nein, das waren wirklich nicht die Beatles, und deren erfolgreichsten Alben waren nicht „Abbey Road“ oder „Let It Be“).

Oasis haben in 15 Jahren Studiogeschichte zwei gefeierte Alben veröffentlicht. Zwei in 15 Jahren. „Definitely Maybe“ im Jahr 1994 und gleich darauf, 1995, „(What’s The Story) Morning Glory?“. Das wäre eine exzellente Bilanz, wären danach nicht noch weitere Platten erschienen. Danach jedoch kamen zwei, die in Ordnung waren, aber nicht gefeiert und bis heute auch nicht als „geheime Meisterwerke“ wiederentdeckt wurden („Be Here Now“, 1997 und „Standing on the Shoulder of Giants“, 2000). Danach noch drei Studioalben, über die heute wirklich niemand mehr redet.

Zwei gute Oasis-Alben: Keine gute Statistik

Zwei Alben von Bedeutung also, das ist das Vermächtnis von Oasis, zwei von sieben. Keine gute Statistik. Ob Oasis eine erfolgreiche Karriere hätten starten können, wäre diese mit „Be Here Now“ begonnen worden? Eben. Die Tragik allein dieses, bei George Harrison entlehnten Albumtitels besteht darin, dass es „hier und jetzt“ für Oasis nichts mehr zu holen gab.

So, wie sich ihre Platten immer schlechter verkauften, wurden auch ihre Tourneen immer kleiner. 13 Jahre, ab „Be Here Now“ also, immer weiter abnehmendes Interesse, von Kritik wie Käufern, dafür ein immer sklavischer wirkender, fast schon tragikomisch erscheinender Druck auf die immer wieder ausgetauschten Oasis-Mitmusiker, doch allesamt mit perfekten Modcuts aufzutreten. Sicher, die Erstbesetzung von Oasis sah schratig und Schülerband-mäßig aus, aber ist in ihrer individuell ausgearbeiteten, stolz zur Schau gestellten Hässlichkeit doch besser gealtert als der Modeopfer-Stil von Britpoppern wie Gem Archer aus den späteren Oasis, und der damit fünf Jahre zu spät kam.

Am Ende hatte Liam Gallagher zumindest alle Frisuren durch, die die Beatles auf ihren Albencovern ab der „Blau“-Phase präsentierten. Als Liam und Noel Gallagher sich 2009 im Streit trennten, hatte niemand mehr geglaubt, dass ihn ihnen noch ein Oasis-Geniestreich stecken könnte. Das Timing der Verwerfung hatte also gestimmt.

L-R: Gem, Noel Gallagher, Andy Bell und Liam Gallagher

Man muss sich all das – Liam und Noel Gallagher tun das bestimmt auch – bei der voraussichtlichen Konzeption der „Oasis 25 live“-Konzerte vor Augen halten. Da wird wohl eher kein „Best of Oasis vom then to now“ abgefeiert, sondern das, was das einstige Lebensgefühl ihrer drei Jahre währenden Evergreen-Ära versprach. Lebensgefühle müssen ja niemals sterben. Laddism, Cool Britannia, Euro 96, Lager. Das sind die Jahre – auch die Oasis-Jahre – von 1994 bis 1996. Die kommenden Konzerte eröffnen sie vielleicht mit „Rock ’n’Roll Star“, gefolgt von „Cigarettes and Alcohol“, etwas cheesy wäre wohl „Hello“. Mit solchen Titeln Auftritte zu eröffnen, das hat sich inzwischen Adele gesichert.

So gut spätere, vereinzelte Vorab-Singles (vielleicht sogar dem Frühwerk überlegen?) wie „Go Let It Out“ und „The Shock Of The Lightning“ auch sind – es sind wohl nicht die Lieder, die ihre Jünger heute live hören wollen. „Morning Glory“ feiert im nächsten Jahr sein 30. Jubiläum, und Oasis werden das sicher zelebrieren. Und vielleicht gar nichts von „Dig Out Your Soul“ spielen. Als The Police im Jahr 2006 ihre Reunion feierten, traten auch sie in Stadien auf. Knüpften also dort an, wo sie 1984 aufhörten. Sie spielten Songs aus allen fünf Alben. Und man freute sich über alle jene Songs aus allen fünf Alben.

Anders als Oasis jedoch haben Police in ihrer Zeit zwischen 1978 und 1984 kein Lebensgefühl mitverkauft. Keine Mode, keine Frisuren, keine Abgrenzungsbemühungen zu drei Konkurrenzbands, so wie Blur, Pulp und Suede es für Oasis waren. Police wurden Stars entgegen dem Zeitgeist. Auf im Jazz geschulte Punkmusiker hatte keiner gewartet. Und Sting, der Chuzpe stets als Authentizität verkauft, textete immer schon mit Head in the Clouds. Das wirkte schulmeisterlich. Oasis-Fans mit schütter gewordenem Haar und mottiger Kutte werden sich in Wembley, im Heaton Park und all den anderen Orten erkennen. Bei Police-Fans war das nach deren Reunion nicht so.

Erstaunlich, wie gnädig über die quälenden letzten 13 Jahre zwischen „Be Here Now“ und dem kläglichen Ende hinweggesehen wird

Ist die Oasis-Reunion nun gut oder schlecht? Dass Oasis den so genannten „Fan-Service“ in den Mittelpunkt ihrer Sets stellen, wäre auch ihr gutes Recht; es ist nur erstaunlich, wie gnädig über die quälenden letzten 13 Jahre zwischen „Be Here Now“ und dem kläglichen Ende hinweggesehen wird. Es gab jetzt 14 Millionen Anfragen für eine Million Tickets, verteilt auf (bislang) 14 Konzerte, und das nur in England, Irland, Schottland, Wales.

Das sind Zuschauerdimensionen, die Oasis zu ihrer aktiven Zeit nie genossen. Wiedervereinigte Bands mit weit perfekterer Diskographie (Rage against the Machine, vier Alben, alle on point, The Velvet Underground, fünf Alben, alle gelungen, Genesis, egal, wie viele, ihre Gemeinde liebt sie alle) durften nach ihrer Reunion nie so groß aufspielen, wie die Gallaghers es bald können.

Selbst Blur, von deren neun Alben mindestens sieben sehr gut sind, zogen nicht so viele Menschen an. Ihre Einmal-pro-Jahr-Hyde-Park-Gigs stehen dem Oasis-Wunder von – mindestens – fünf Wembley-Stadion-Auftritten gegenüber, die alle innerhalb eines Jahres stattfinden. Der Oasis-Hype 2024 ist ein anderer als der Oasis-Hype von 1994. Der von damals gründete auf der Hoffnung jahrelang guter Musik. Der von heute auf das Gefühl, wieder ein Lad sein zu können.

Niemandem soll die Vorfreude auf die Oasis-Konzerte genommen werden. Der Autor dieser Zeilen hat selbst (erfolglos) versucht, für „London 1“ eine Karte zu kaufen, und, als er nach stundenlangem digitalen Anstehen in den Kaufbereich reingelassen wurde, dann kurz überlegt, ob er beim Stehplatzpreis von 350 Pfund nicht doch auf „Buy“ drücken soll. 350 Pfund: Das könnten die teuersten Stehplatztickets sein, die je für die schlechten, also im schlimmsten Fall ganz hinten befindlichen Stehplatzbereiche von Wembley in den Verkauf gegangen sind.

Oasis 1993

Es wäre wünschenswert, wenn einem bis zum Juli 2025 klare Gedanken kommen, welche Art „Erfolgsgeschichte“ dort auf der Bühne eigentlich gefeiert werden soll. Noel Gallagher hat durchblicken lassen, dass er ein neues Oasis-Album im Kasten hat. Dieses zu veröffentlichen wäre extrem mutig. Viel mutiger als Police, Rage oder Genesis es bei ihren Live-Comebacks waren, denn die präsentierten kein einziges neues Stück. Noch nie hat ein Künstler oder eine Band volle  eine Million Tickets für Konzerte verkauft, von denen nicht klar ist, ob sie nicht doch zu einem Setlist-typischen Viertel neue, unbekannte Lieder promoten.

Keines von Noels Soloalben hat sich so gut verkauft wie noch „Be Here Now“ von Oasis oder bessere Kritiken erhalten als, na klar, (What’s the Story) Morning Glory?“. Das lag nicht nur daran, dass Noel nur noch Noel solo und nicht mehr ein Teil von Oasis war, sondern vielleicht auch an der sinkenden Qualität der veröffentlichen Lieder.

Geld macht glücklich

Falls Oasis nun Album acht herausbringen, eröffnet Noel dieser Band vielleicht eine Zukunft. Falls er diese neuen Lieder aber im kommenden Jahr live aufführt, und sie – was wohl zu erwarten ist – nicht gaaaaaanz so abgefeiert werden wie „Live Forever“, könnte die Stimmung im Oasis-Camp schnell umschlagen.

Noel Gallagher ist ein Zyniker. Eigentlich ist er auch niemand, der gerne zurückschaut. „You Can’t Put Your Arms Around A Memory“ ist kein Punk-Grundsatz, der für ihn gilt.

Er könnte aber auch die Augen schließen, die 19 Songs runterperformen und einfach an die Kohle denken. Geld macht glücklich.

MIKE CLARKE AFP via Getty Images
James Fry Getty Images
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